Eine «Grande Dame», ohne es zu wollen

Eine «Grande Dame», ohne es zu wollen

1991 sass eine Frau im Könizer Parlament, die ausserhalb der Gemeindegrenzen noch wenig Bekanntheit genoss. Heute, 31 Jahre später, ist das gänzlich anders: Marianne Streiff verlässt als Nationalrätin das Politparkett. Und sie hinterlässt Spuren.

Man muss kein ausgewiesener Fährtenleser sein, um die Fussabdrücke eines Elefanten vor dem Wasserloch in der Savanne als solche zu erkennen. Man muss auch keine ausgewiesene Politkennerin sein, um zu erahnen, dass ihre Spuren in Grösse und Einzigartigkeit jenen des Elefanten ähneln. Auch in dem Punkt, dass weder die majestätischen Tiere Afrikas noch die Nationalrätin jemals darauf geachtet hätten, dass man ihre Spuren wahrnimmt. Vielmehr sind sie einfach da und gehören dazu, ohne Aufsehen, ohne Inszenierung – oder wie es Marianne Streiff sagt: «Es ist ein Privileg, im Nationalrat zu sein. Man übernimmt staatstragende Verantwortung, hat die Aufgabe, sich für das Volk einzusetzen und das sollte einem allgegenwärtig bewusst sein.»

Die Brückenbauerin

Nein, Marianne Streiff macht sich nichts aus Strategien, Hintertürchen und Nebenschauplätzen. «Ich mache Sachpolitik und nicht Machtpolitik», sagt sie kurz und knackig. Das klingt nicht nur gut, es lässt sich in ihrem Falle belegen. CH Media hat unlängst eine Untersuchtung gemacht, welche die erfolgreichsten Brückenbauerinnen und -bauer im Nationalrat aufzeigt. Die kleine Partei EVP besetzt die vordersten Plätze, Streiff selbst den zweiten Rang. Also kann man auch in einer kleineren Partei viel bewirken? «Auf jeden Fall. Wir sind zwar nicht in allen Kommissionen präsent, aber wir können uns voll auf die Sache fokussieren und müssen keine parteiinternen Strategien berücksichtigen», sagt sie so beschwingt und motiviert, dass es etwas komisch anmutet, weshalb die Nationalrätin und langjährige Schweizer Parteipräsidentin nun ihren Rücktritt bekannt gibt. «Ich will eine Weiterbildung machen», lacht sie und wirkt kein bisschen müde.

Die Respektvolle

Natürlich freut sie sich zudem – nach zwölf Jahren im Nationalrat – wieder mehr Zeit für die Familie zu haben. «Ich hatte oft ein schlechtes Gewissen meiner Familie gegenüber, weil ich so viel Zeit in die Politik investierte», räumt sie ein. Doch das gehört der Vergangenheit an. Heute blickt sie stolz auf Tochter Katja Streiff, die ebenfalls in der EVP ist, ebenfalls im Könizer Parlament, dieses präsidierte und heute im Grossen Rat des Kantons Bern einen Sitz innehält. «Es erfüllt mich mit Freude, dass sie aktiv politisiert, und zeigt mir, dass es nicht nur schlecht war, dass Politik zuhause ein Thema war», kommentiert sie. Vor allen Dingen, wenn es so sachlich und respektvoll gemacht wird wie von Streiff. «Politik ist die Kunst der kleinen Schritte, der Kompromisse und des Aufeinanderzugehens. Leider ist es heute etwas ruppiger geworden im Tonfall. Ich störe mich an der Tendenz, dass man einander schlecht macht. Man sollte wieder vermehrt aufeinander zugehen», meint sie mit Blick auf das Parlament.

Das Vorbild

Dafür trat sie selbst ein. Vor allen Dingen, wenn es ungerecht wird. Gerechtigkeit und Menschenrechte, das sind die Steckenpferde der EVP-Politikerin. «Insbesondere wenn es darum geht, jenen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden», ergänzt sie. Ihre Sachlichkeit, ihre Brückenbauerfunktion und der respektvolle Umgang haben ihr dazu verholfen, dass sie von allen Seiten geachtet sowie geschätzt wird und kurz nach Bekanntgabe des Rücktritts mit Danksagungen überhäuft wurde. «Du bist die glaubwürdigste Politikerin, die ich kenne», sagte nicht irgend jemand, sondern ein Kollege aus dem Nationalrat. Das ist aussergewöhnlich, das ist eine Frau, die eben grosse Spuren hinterlässt. Doch sie winkt ein wenig ab. «Eine einzelne Person bewirkt in der Politik wenig. Es ist das Zusammenspiel, die Arbeit in den Kommissionen, in denen die eigentliche Meinungsbildung stattfindet, das Schweizer System, das nur so funktioniert. Das sind die wertvollen Zutaten meiner Karriere», sagt sie selbst dankbar für diese Zeit.

Marianne Streiff ist eine grosse Persönlichkeit einer kleinen Partei. Eine Affiche, die sie aber nicht ganz so stehen lässt. «Die EVP ist eine sehr alte Partei, die schon viel erreicht hat», gibt sie zu bedenken. Und siehe da, ein Blick in die Geschichte zeigt: Der erste Klimavorstoss kam von der EVP. In einer Zeit, in der es die Grüne Partei noch gar nicht gab, sorgte ihre Partei für den Gewässerschutz. Damit wäre das Kleinsein als Gegensatz zu ihrer Politgrösse ein hinkender Vergleich. Die EVP und sie selbst haben schon Grosses bewirkt. Der springende Punkt aber ist jener, dass sich weder Elefanten noch Marianne Streiff darum scheren, wie ihre Spuren gedeutet werden. Selbstbestimmt; eine Grande Dame, ohne es zu wollen.

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