Ausgebremste Schuldenbremse

Ausgebremste Schuldenbremse

Nehmen wir an, Sie bestellen Turnschuhe. Weil die Wettervorhersage aber schlecht ist, schickt Ihnen der Lieferant Stiefel. Wären Sie entsetzt? Und wenn nun der Regen einsetzt? Sind Stiefel dann immer noch falsch? Im Parlament beschloss am 22. Februar eine Mehrheit, eine Schuldenbremse einzuführen. Gut zwei Jahre später präsentiert der Gemeinderat keine solche, sondern einen indirekten Gegenvorschlag: eine Finanzstrategie.

«Ich bin masslos enttäuscht», kommentierte Toni Eder (die Mitte). Und er war in guter Gesellschaft mit dieser Äusserung. Die Bürgerlichen sparten nicht mit harscher Kritik. «Der Gemeinderat entzieht sich dem politischen Dialog. Zugegeben, dieser ist nicht einfach. Die finanzielle Situation ist nur dank Sondereffekten besser geworden. Aber in dieser Verschnaufpause müssen wir das Problem lösen, und zwar nachhaltig. Ein Kind, das heute in Köniz geboren wird, hat bereits 3500 Franken Schulden. Aber wir haben nun etwas Luft, keinen Kanton vor der Türe und können demokratisch schauen, wie es weiter geht», blieb Fabienne Marti (GLP) sachlich. Aus gutem Grund: Sie gilt als die Expertin in Sachen Schuldenbremse, hat sie doch auf diesem Fachgebiet ihre Dissertation geschrieben. 

Das harte Urteil «ambitionslos»

Ihre Hilfe nahm der Gemeinderat bisher nicht in Anspruch. Denn dieser beschloss, gänzlich auf die Schuldenbremse zu verzichten und stattdessen eine Finanzstrategie zu präsentieren. Stellt sich also die Frage, wie gut diese ist. Vier Kennzahlen sollen als Kompass dienen: der Bilanzüberschuss, der Bruttoverschuldungsanteil, die Nettoschuld pro Einwohner und die Steueranlage. «Die Neuerung ist also kein reiner Text, sondern besteht aus Kennzahlen, und zwar auf vier Jahre hinaus. Solange haben wir Zeit, um zu reagieren. Zudem muss bei den meisten Entscheidungen das Parlament miteinbezogen werden», erläuterte Gemeindepräsidentin Tanja Bauer. Unterstützung fand der Gegenvorschlag des Gemeinderats vor allen Dingen bei der SP: «Die Finanzstrategie hat verbindliche Ziele und Interventionsgrenzen. Auf vier Jahre. So kann man Probleme frühzeitig erkennen und handeln. Es ist schwer einzuordnen, weshalb man dagegen ist», meinte Brigitte Rohrbach (SP). Die Sozialdemokraten standen aber etwas alleine da. Selbst der Grüne David Müller bezeichnete die Kennzahlen als zu wenig konkret. Sicherlich auch als Mitglied der parlamentarischen Finanzkommission bei. Diese ist der Ansicht, dass die Kennzahlen zu wenig ambitiös seien. Noch etwas deutlicher formulierte dies Florian Moser (SVP): «Die Finanzstrategie ist so kreiert, dass es gar keine Massnahmen mehr braucht. Es hätte etwas Griffigeres gebraucht», monierte er.

Funktioniert eine Schuldenbremse?

Aus Sicht der SVP, FDP, EVP, GLP und der Mitte gilt die Motion zur Einführung einer Schuldenbremse deshalb erst recht als nicht umgesetzt. Zudem sei diese Schuldenbremse eine Forderung gewesen, um vor gut zwei Jahren der Steuererhöhung zuzustimmen, meinten einige. Stimmt nicht, wehrten sich Grüne und SP. Das sei nie Bestandteil einer Abmachung gewesen, dem hätten sie schon vor zwei Jahren nicht zugestimmt. Die Protokolle bestätigen die Forderung der Bürgerlichen wie auch deren Ablehnung durch die Ratslinke. Dennoch bleibt es ein Nebenschauplatz, weil es nun darum geht, wie man mit dem Gegenvorschlag des Gemeinderats umgehen will. «Die Nicht-
erfüllung einer Motion schreit nach einer parlamentarischen Initiative», ärgerte sich Toni Eder. Dieses stärkste Mittel des Parlaments vermag den Gemeinderat zu beauftragen, etwas neu zu überarbeiten. Der Gemeinderat sah sich deshalb gezwungen, noch einmal zu erklären, weshalb eine Schuldenbremse aus seiner Sicht nicht funktioniert. «Es gibt ein grundsätzliches Missverständnis. Eine Schuldenbremse, wie sie der Kanton oder der Bund kennt, funktioniert nicht. Der Kanton überwacht schon heute, das ist unsere Schuldenbremse. Wir können nicht beliebige Fehlbeträge machen. Wir wollen also nichts einführen, was es schon gibt. Doch einzig eine übergeordnete Regelung reichte uns nicht, deshalb haben wir die Finanzstrategie erarbeitet», erklärte Bauer. Das Problem einer Schuldenbremse bleibt: Sie lässt bei notwendigen Investitionen kaum Handlungsspielraum offen. Deshalb wäre die Expertin Fabienne Marti vielleicht gefordert gewesen, hier Wege zu finden. So aber setzten sich die Bürgerlichen mit 21 zu 18 Stimmen durch und erzwingen nun per parlamentarischer Initiative einen erneuten Dialog zwischen Gemeinderat und Parlament, um die Finanzssituation mit griffigen Massnahmen aus Sicht aller Parteien zu verbessern.

Kakophonie

Parlament und Gemeinderat haben in der Vergangenheit vermehrt keinen zufriedenstellenden Weg aufeinander zu gefunden. Der Dialog findet statt, ohne dass er wirkt. Wenn der Koloss «Finanzen» traktandiert ist, wird dies ersichtlich. Es mag eine Binsenwahrheit sein: Legislative und Exekutive müssen sich nicht immer mögen, aber immer gut zusammenarbeiten. Vielleicht hätten die Parlamentarier die Stiefel anstelle der Turnschuhe eher akzeptiert, wenn dieser Dialog zwischen Finanzkommission und Gemeinderat zielführender verlaufen wäre. Denn eine Schuldenbremse auf Teufel komm raus wollen längst nicht alle im Parlament. Die Finanzen nachhaltig sichern ist ein Ziel, das alle wieder vereint, nur ist der Weg schwer zu finden und offenbar ist es eine Sackgasse, wenn es heisst: «Schuldenbremse ausgebremst.»

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