Wie Generationenwohnen gelingen kann

Wie Generationenwohnen gelingen kann

Er gehört zu den Urgesteinen der Könizer Politik. Der ehemalige Parlamentarier Christian Roth hat sich in seiner Abschlussarbeit des «Certificate of Advanced Studies» (CAS) in Gerontologie an der Fachhochschule Bern mit dem Thema «Altersüberschreitende Wohnkonzepte» befasst. Im Interview äussert er sich zum Thema Generationenwohnen und zeigt auf, wie das Thema in der Gemeinde Köniz umgesetzt werden könnte.

Herr Roth, was versteht man unter altersübergreifenden Wohnkonzepten?
Versucht man den Begriff des Generationenwohnens zu definieren, stellt man rasch fest, dass er sich in seiner Komplexität und Breite einer klaren Definition zu entziehen versucht. In der Schweiz wird beim Generationenwohnen vor allem von Wohnprojekten gesprochen, in denen mehrere Generationen miteinander statt nebeneinander wohnen. Um es präziser zu definieren, hat der Förderverein Generationenwohnen Bern-Solothurn eine Definition mit einer Kriterienliste erstellt. Ich nehme daraus, die in meinen Augen wichtigsten Kriterien, wie gesteuerte altersmässige und soziale Durchmischung, Autonomie und Partizipation der Bewohnenden, Wohnformen, die Begegnungen fördern, aber auch Rückzugsmöglichkeiten bieten, sowie preisgünstige Wohnungen.

Warum sollten wir Generationenwohnen fördern und was sind die Vorteile?
Im Rahmen meiner Abschlussarbeit bin ich auf zahlreiche Vorteile gestossen. Ein wichtiges Anliegen von Generationen-Wohnprojekten ist die altersmässige und soziale Durchmischung. Ziel ist eine nachhaltigere Lebensweise und das Miteinander- statt Nebeneinanderleben der Menschen. Dies führt dazu, dass mehr Begegnungen und Unterstützungen gewünscht sind und gefördert werden. So können speziell auch ältere Menschen vermehrt von nachbarschaftlichen Kontakten und Handreichungen profitieren. Umgekehrt hilft Familien die Anwesenheit älterer Menschen, wenn diese während den Ferien zur Wohnung schauen oder die Kinder beaufsichtigen. Diese Begegnungsmöglichkeiten tragen dazu bei, Vereinsamung und Isolation zu verhindern. Diese Erkenntnisse werden in Genossenschaften und Generationen-Wohnprojekten bewusst eingesetzt. Werden zum Beispiel Waschküchen und Trocknungsräume vom Keller in die Stockwerke verlegt, sind sie einsehbar und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich die Wege der Nachbarinnen und Nachbarn kreuzen. Ein Vorteil des Generationenwohnens ist auch die eingeplante Möglichkeit des Wohnungswechsels innerhalb des Wohnprojektes. Generationen-Wohnprojekte setzen sich zum Ziel, dass ein Umzug, zum Beispiel aufgrund von Haushaltverkleinerung beim Auszug der erwachsenen Kinder, innerhalb der Siedlung möglich ist.

Gibt es auch Nachteile?
Ja, die gibt es natürlich. Gerade in Generationen-Wohnprojekten besteht ein sogenannter systemimmanenter Zielkonflikt. Einerseits wird gezielt eine dem Durchschnitt der Gesellschaft nachempfundene, altersmässige und soziale Durchmischung der Bewohnenden gesucht und die Begegnungsmöglichkeiten werden architektonisch gefördert. Andererseits können Kinder und Jugendliche das erhöhte Ruhebedürfnis älterer Menschen – selbst wenn sie das Wohnen in einem solchen Projekt gezielt gesucht haben – stören. Eine gute Idee kann es sein, verschiedene Zonen zu schaffen, solche, wo es eher ruhiger ist, und solche, bei denen es lebendiger und lauter sein darf.
Die in Generationen-Wohnprojekten erwartete Mitwirkung und Beteiligung der Bewohnenden kann jedoch einen gewissen sozialen Druck bedeuten. Dies kann wiederum zu personellen Fluktuationen führen, da sich die Beteiligten nicht immer in ihren Vorstellungen einig werden.
Zudem ist der zeitliche Aufwand und das Engagement für das Wohnprojekt enorm: Viele Sitzungen, Besprechungen, Aushandlungsprozesse und auch Konfliktlösungsvorgänge gehören meist dazu.

Was gilt es bei der Umsetzung solcher Konzepte zu beachten?
Soll der Wohnraum bezahlbar – und damit für viele soziale Gruppen zugänglich – sein, kommen für Generationen-Wohnprojekte nur nicht-gewinnorientierte Rechtskörperschaften in Frage. Das können Genossenschaften, Stiftungen oder nicht profitorientierte Aktiengesellschaften sein.
Grosse Achtsamkeit ist auf das Gestalten der räumlichen Nähe und von Kontaktmöglichkeiten zu legen. Denn das gute und angenehme Zusammenleben ist kein Automatismus. Beziehungen zwischen Nachbarinnen und Nachbarn benötigen Zeit zum Wachsen. Wichtig sind zudem Bewohnende einer Siedlung, die aktiv und umsetzungsstark sind. Sie bilden eine Kerngruppe, welche die gemeinsamen Aufgaben koordinieren, Begegnungsmöglichkeiten schaffen und zur Teilnahme anregen. Solch treibende Aufgaben wie Vernetzungs-, Initiierungs-, Begleitungs-, Vermittlungs- und Moderationsaufgaben können auch professionelle sogenannte Siedlungsassistenzen übernehmen.
Zentral sind zudem generationenübergreifende Werte. Es braucht gemeinsame Vorstellungen von Aufgaben, Rechten und Pflichten, die eine nachhaltige Basis für das Entwickeln des Zusammenlebens sind. Der Wohnungsmix muss so gestaltet werden, dass sich eine Vielzahl von Menschen, Junge, Ältere, Einzelpersonen und Familien, angezogen fühlen. Es braucht also einen breiten Wohnungsmix, der dann fast automatisch dazu beiträgt, dass sich Menschen aus verschiedenen sozialen Situationen zusammenfinden. Gleichzeitig bildet dies auch die Voraussetzung für die Wohnungsmobilität innerhalb des Wohnprojektes, wenn sich die Lebensumstände ändern.
Wo liegen die Stolpersteine bei der Umsetzung?
Die Voraussetzungen für ein Generationen-Wohnprojekt sind je nach Gemeinde, je nach Kanton unterschiedlich. Es ist daher von grosser Bedeutung, die geltenden Eckwerte vor Ort zu kennen. So sind die Rahmenbedingungen in der Stadt Bern in Bezug auf Generationenwohnen, wo der genossenschaftliche Wohnraum schon länger gefördert wird, andere als in einer Berner Landgemeinde, wo Generationenwohnen möglicherweise noch weitgehend unbekannt ist.
Das Generationenwohnen erfordert eine gewisse Grösse der Siedlung. Je grösser diese und je attraktiver ihre Lage ist, desto einfacher ist es, die Durchmischungsziele zu erreichen. Ilja Fanghänel, ein Berner Vordenker des Generationenwohnens, kommt daher zum Schluss, dass die untere Grösse für ein Generationen-Wohnprojekt bei rund 200 Wohnungen liegt.
Auch die Überalterung des Wohnprojekts kann ein Stolperstein sein. Wenn die Menschen älter werden und aus Familien- wieder Paarhaushalte werden, muss sorgsam auf den Generationenmix geachtet werden. Dieser Prozess der Abbildung der durchschnittlichen Ortsbevölkerung beginnt bereits während der Erstvermietung und setzt sich bei der laufenden Wiederbesetzung freiwerdender Wohnungen fort.

Wo sind solche Wohnkonzepte bereits erfolgreich umgesetzt?
Die Idee des Generationenwohnens wurde bisher vorwiegend im Raum Zürich und Winter­thur umgesetzt. Die Ur-Siedlung, die nun schon auf viele Jahre zurückblickt, ist sicher die Giesserei in Winterthur. In der Stadt Zürich, wo der genossenschaftliche Wohnbau schon weit verbreitet ist, sind es diverse solcher Projekte wie die Kalkbreite, das Hunziker-Areal und das Heizenholz. In der Stadt Bern ist es das Warmbächliareal bei der ehemaligen Kehricht-Verbrennungsanlage (KVA), das heute «Holliger» heisst und von sechs Genossenschaften etappenweise realisiert wird. Im Gebäude der Wohnbau-Genossenschaft Warmbächli konnten im November die ersten 60 Wohnungen bezogen werden. Das Generationenwohnen wird über das gesamte Holliger-Areal möglich sein. Das sind über 300 Wohnungen. 

Wie sieht es damit in der Gemeinde Köniz aus?
Meines Wissens ist Generationenwohnen in Köniz noch kein grosses Thema und es gibt dazu keine konkreten Projekte. Derzeit erarbeitet der Gemeinderat eine Wohnbaustrategie. Ich gehe davon aus, dass Generationenwohnen dort ein Thema sein dürfte und bin sehr gespannt auf die Vorstellungen des Gemeinderates dazu. Politisch hat das Thema in Köniz noch viel Luft nach oben.

Wie muss man sich die Umsetzung eines solchen Projektes für Köniz vorstellen?
Da gibt es kein Patentrezept. Es braucht in meinen Augen eine Gruppe von Menschen, die dieses Thema in Köniz vorwärtstreiben will. Zudem braucht es ein geeignetes Areal. Das wäre eventuell in Liebefeld Mitte, beim Liebefeld Bahnhof. Dort besitzt die Gemeinde ein grösseres Stück Land, das gut durch den ÖV erschlossen ist. Es liesse sich dort in meinen Augen, allenfalls mit der zweiten grösseren Landbesitzerin, der BLS, unter anderem ein Könizer Projekt Generationenwohnen verwirklichen. Ein Workshop, wie ich ihn als Drehbuch in meiner Abschlussarbeit integriert habe, scheint mir die ideale Form, um mit Interessierten am Thema zu arbeiten und einen Prozess anzustossen. Genau darum geht es nun: in Köniz einen Prozess anzustossen, damit Generationenwohnen zum Thema wird.
In welchem Zeitraum ist das möglich?
Da muss in grösseren Zeiträumen gedacht werden. Das Thema Generationenwohnen steckt ja in Köniz noch in den Kinderschuhen. Bis wir auch die Erwachsenenschuhe daneben stellen können, braucht es noch einiges an politischer und konkreter Arbeit.

Wie geht es mit dem Thema Generationenwohnen in Köniz weiter?
Da bin ich selbst gespannt. Ich wünsche mir viele Menschen, die an diesem Thema weiterarbeiten möchten und irgendeinmal ein konkretes Projekt. Gerne stehe ich dabei als Ansprechperson zur Verfügung. Hilfreich ist natürlich, wenn aus der Politik zum Thema Generationenwohnen Unterstützung kommen würde. Das Generationenwohnen hat Potenzial, ich finde, dass sollten wir auch in Köniz nutzen.

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