Oben in der Scheune, zuhinterst im Heu, schläft eine kleine flauschige Waldkäuzin – nennen wir sie Leni. Sie ist jung, gesund und bereit, die Welt zu entdecken. Bald wird sie ausfliegen, so wie ihre fünf Geschwister es vor ihr schon getan haben. Genährt wird Leni von ihrer Mutter – jetzt und auch noch bis zu sechs Wochen nach Verlassen des Nestes, wenn sie vom Nestling zum Ästling wird. Das ist sie, sobald sie auf einem Ast und nicht mehr aus dem Nest gefüttert wird.
Sicher von den Feinden
Fritz Spycher staunte nicht schlecht, als er bemerkte, dass bei Dämmerung immer wieder ausgewachsene Waldkäuze in seinen Schuppen hinter die Heusäcke flog. Schon bald war klar wieso: Sie hatte sich eingenistet und musste ihre sechs Jungen füttern. Noch war nicht sicher, ob es alle schaffen würden. Doch Spycher und seine Jägerkollegen kamen ihnen zu Hilfe: sie fütterten die Kleinen zusätzlich und befestigten als Schutz vor dem Marder verschiedene Bleche am Schuppen. «Hier hat es Füchse, Katzen und Marder, die ihnen zum Verhängnis werden können», erklärt Spycher. Vor allem wenn sie das Nest verlassen, bevor sie überhaupt richtig fliegen können, werde es brenzlig. «Deshalb habe ich sie jeweils wieder ins Nest zwischen die Heusäcke gesetzt», erklärt er. In der Abenddämmerung wird Leni ihre Eltern rufen, damit diese sie füttern kommen.
Genug Nahrung, viele Tiere
Die Waldkäuze, die unsere häufigste Eulenart sind, kommen nicht so selten vor, wie es scheint: Entlang der Sense habe es alle zwei Kilometer ein Brutpaar, meint Samuel Meyer, ein Jägerfreund von Fritz Spycher. Insbesondere dieses Jahr gebe es besonders viele Waldkäuze, weiss Adrian Aebischer, der beim Amt für Wald und Natur im Kanton Freiburg arbeitet. «Letzten Herbst bildeten Buchen, aber auch andere Baum- und Straucharten besonders viele Früchte. In der Folge konnten sich Kleinsäuger wie Mäuse, die die Hauptbeute der Käuze darstellen, besonders vermehren. Dies führte dazu, dass wir nun ein gutes Waldkauzjahr verzeichnen und die Paare mehr Junge und eine höhere Überlebenschance haben, da für sie genug Nahrung vorhanden ist», fügt er an. Die hohe Anzahl erkläre auch, wieso einige der Tiere nun ausserhalb des Waldes – wie etwa in Scheunen – einen Nistplatz einrichten, ergänzt der Biologe weiter.
Leni liegt im Nest, die Augen leicht zu und es scheint, als geniesse sie die Ruhe. Als Spycher sie auf eine Holzstange setzen will, damit die Mutter sie wie im Wald als Ästling füttern kann, beginnt Leni mit ihrem Schnabel zu schnappen. «Klemmen tun sie, wenn sie gesund sind, das ist ein gutes Zeichen», meint Spycher und fügt an: «Es ist schön zu sehen, dass alle der sechs Jungen stark genug waren und überlebt haben.» Insbesondere, da normalerweise nur drei bis vier Junge in einem Nest zur Welt kommen. Bleibt zu hoffen, dass Leni und seine Geschwister dem Marder und ihren anderen Feinden immer einen Schritt – oder besser gesagt einen Flügelschlag – voraus sein werden.