«Ich kämpfe tagtäglich, damit man den deutschsprachigen Teil wahrnimmt», sagt Manfred Raemy ohne Umschweife. Mitunter bedeutet dies, dass er auch schon mal auf Hochdeutsch wechselt, wenn in Sitzungen wie selbstverstämdlich alles auf französisch erläutert wird.
Kulturunterschiede
Im Kanton Freiburg prallen zwei Welten aufeinander. Die französische Kultur und die deutschsprachige. «Beide Seiten haben ihre Kraft und ihre Schwächen. Die Kunst ist es in unserem Kanton die Stärken zu vereinen», weist er auf eine Eigenheit hin, die dem Kanton in der Vergangeheit öfters gelungen ist und zu einer positiven Entwicklung geführt hat. Den drittgrössten Bezirk bilden die «Seisler». Der Oberamtmann vertritt dabei nicht nur die Interessen der deutschsprachigen Minderheit, sondern bringt die Stärken des Sensetals mit ein und prägt immer mehr den ganzen Kanton.
Pionierprojekte
Seit 1978 gibt es den regionalen Richtplan. Mit diesem Instrument legt der Gemeindeverband im Sensetal seine Entwicklungsschwerpunkte fest. Er war damit der erste Bezirk im Kanton mit einem zukunftsgerichteten Plan. «Wir haben gemäss kantonalem Richtplan 15 Hektaren Gewerbe- und Industrieland zur Verfügung. Alle Gemeinden bringen ihre Bedürfnisse mit ein. Dann entscheiden wir gemeinsam, was das Beste für unsere Region ist und wo diese Flächen einzoniert werden», nennt er ein Beispiel dieser Zusammenarbeit. Klar herrscht nicht immer Einigkeit unter allen am Tisch. Die Diskussionen gehören dazu. «Am Schluss aber, ist es wichtig, dass wir nach aussen vereint auftreten um unsere Interessen durchzusetzen», betont er. Dass es bei den Entwicklungsideen oft um wirtschaftliche Themen geht, ist vielleicht ein wenig die Handschrift des Oberamtmanns. Raemy ist studierter Betriebsökonom und «das färbt vielleicht ein wenig ab», schmunzelt er.
Gleich und trotzdem anders
Die Vorreiterrolle, die der Bezirk mit seinem Richtplan einnimmt, hört aber keineswegs bei der Wirtschaftlichkeit auf. Das Sensetal hat als Ganzes das «Energiestadtlabel». «Wir sind die grösste Region in der ganzen Schweiz mit diesem Label», sagt er nicht ohne Stolz. Der Oberamtmann kann aber bei all den Pionierarbeiten nicht nur entwickeln und die Interessen seiner Region verteidigen. Ein Grossteil der Arbeit bilden kommunale Konflikte. Das Oberamt ist die erste Beschwerdeinstanz für die Gemeinden. Sie ist zudem zuständig für alle Baueingaben und alle anderen Pflichten, die ihm vom Kanton in Form von Gesetzen, Verordnungen und Reglementen aufelregt werden. Die Aufgaben decken sich weitgehend mit jenen des Regierungstatthalters im Kanton Bern. «Es ist der interessanteste Beruf, den ich mir vorstellen kann», fasst Raemy zusammen; dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass ihn all das was nicht im Gesetz steht, besonders fasziniert.
Vorreiter werden
Ein solches Beispiel ist der Finanzausgleich. Im Sensebezirk gibt es einen Index nach Steuern und Bevölkerung, mittels dem im Gemeindeverband finanzielle Auslgeiche geschaffen werden. So gelang es etwa, den Neubau der OS Sensebezirk zu realisieren mit vier Standorten für 15 Gemeinden. «Der Finanzausgleich auf regionaler Ebene ist eine Spezialität von uns», sagt er erneut. Stellt sich die Frage, ob die Entwicklungen aus dem Sensetal Schule machen und auf die anderen sechs Bezirke abfärben? «Alle Bezirke bewältigen ihre Aufgaben ein wenig anders. Allesamt verfügen aber über einen Gemeindeverband und natürlich werden unsere Ideen oft in diesen weitergetragen», erklärt Raemy. Vielleicht auch die angedachten Massentests im Zusammenhang mit Corona. Der Sensebezirk hat als erster im Kanton diese durchgängig auf Stufe Gemeinden und weiteren Organisationeneingeführt.
Es ist der Mut zu neuen und anderen Lösungen, der den Bezirk zu einem kantonalen Vorreiter hat werden lassen. Mitten drin der Oberamtmann Manfred Raemy. «Unser Geheimnis ist, dass wir zuerst miteinander diskutieren und uns gegenseitig beraten, damit wir anschliessend geeint und gestärkt auftreten können.» Er lässt keinen Zweifel offen, dass er sein Amt bestens im Griff hat. Fast wäre das der harmonische Schluss eines Besuchs im Oberamt Sense, als plötzlich ein Feueralarm auf dem Handy des Vorstehers just in diesem Moment die Harmonie durchdringt. «Da muss ich hingehen und mir ein Bild machen», sagt er kurz und ergänzt: «Die ständige Erreichbarkeit ist etwas, dass ich anfänglich wahrlich unterschätzt habe.»
Sacha Jacqueroud