Drahtesel nach Afrika

Drahtesel nach Afrika

Mit dem Export von Recyclingvelos fördert Velafrica nicht nur die Velomobilität in Afrika, sondern auch soziales Unternehmertum in diesen Ländern. Passend zum internationalen Tag des Fahrrads am 3. Juni spricht Velafrica-Gründer Paolo Richter über seine Arbeit. Zum Gespräch kommt er selbstverständlich mit dem Velo.

Wie und warum sind Sie «aufs Velo gekommen»?

Es gibt zwei Wurzeln: das Velo-Recycling und einen Arbeitseinsatz in Ghana. Schon während meiner Studienzeit – ich wohnte im Liebefeld – habe ich gerne Velos wiederverwertet. Ich begann zuerst mit einem Velo für mich und baute bald weitere Velos für meinen Freundeskreis. So hatte und habe ich eine starke Affinität dazu. Ich besass noch nie ein Auto und benütze das Velo als bequemes und rasches Fortbewegungsmittel. 

Während eines Arbeitseinsatzes in Ghana stellte ich fest, dass die Menschen dort alles – obwohl topf-
eben – zu Fuss erledigten, stundenlang mit Lasten auf dem Kopf, vor allem Frauen und Kinder. Zusammen mit einem ghanesischen Freund haben wir dann die Idee entwickelt, dass man ausgediente Velos, die es hierzulande im Überfluss gibt, reparieren und der dortigen Bevölkerung als Fortbewegungsmittel zur Verfügung stellen könnte. Diese beiden Umstände veranlassten mich, 1993 die Organisation Drahtesel zu gründen, woraus auch Velafrica entstand.

Inzwischen ist Velafrica in sieben Ländern Afrikas tätig.

Ja, Velafrica ist das Werk mehrerer hoch engagierter Menschen, die alles gemeinsam und mit viel Herzblut möglich gemacht haben und weiterhin ermöglichen. Ich habe damals bloss den Stein – oder treffender: das Velo – ins Rollen gebracht. Die Menschen in Afrika sind mit einem Velo vier- bis fünfmal schneller als zu Fuss und können dreimal mehr Gewicht transportieren, was ihnen den Alltag enorm erleichtert. So gelangen sie zum Beispiel zu Märkten, zur Schule oder zur Arbeitsstelle, zur Gesundheitsversorgung usw. Zudem ist dieses Fortbewegungsmittel auch für untere Einkommensschichten erschwinglich. Ein Velo trägt damit handfest und in mehreren Lebensbereichen gleichzeitig zur Reduktion der Armut bei.

Ist eine Expansion geplant?

Das hängt davon ab, ob wir noch mehr Velos sammeln können. Der Bedarf ist derart gross, dass wir ihn nicht decken können, obwohl in der Schweiz ein Velo-Boom herrscht. Zurzeit sind es über 20’000 Velos, die wir jährlich nach Afrika liefern. 

Welche Velokategorien sind am meisten gefragt?

Die Strassen in vielen Ländern Afrikas sind nicht so gut ausgebaut wie bei uns. Daher benötigen wird vor allem stabile, mehrgängige Fahrräder. Sehr begehrt sind Mountainbikes. Aber grundsätzlich nehmen wir alle Velos, in den Städten können wir City-Bikes gut einsetzen. Schulkinder brauchen etwas kleinere Modelle. 

Und E-Bikes?

Bis jetzt noch nicht. Es gibt noch keinen Entsorgungskreislauf für die Batterien. Diese würden wohl als Sondermüll irgendwo entsorgt. Aber das ist eine Frage der Zeit, denn die Sonne ist vorhanden für Solarenergie.

Können Sie garantieren, dass die Velos an die richtigen Personen gelangen?

Der Vorteil des Velos ist, dass es unverfänglich ist. Es ist kein Statusobjekt, sondern ein Gebrauchsgegenstand und daher nicht «korruptionsanfällig». Wir haben sehr verlässliche Partner vor Ort, welche die Verhältnisse gut kennen und wissen, welche Menschen das Velo am nötigsten haben. Durch unsere Besuche kennen wir alle Partner persönlich. 

Stehen grössere Projekte an?

Zurzeit läuft das Berufsbildungsprogramm in Burkina Faso, wo unsere Partner mit der Unterstützung von Velafrica eine staatlich anerkannte Ausbildung zum Velomechaniker im dualen Bildungssystem – Lehrbetrieb und Schule – realisieren. 

Ein weiteres aktuelles Projekt ist, dass wir in Madagaskar das Gesundheitspersonal mit Velos ausstatten.

Was sind zurzeit die grössten Herausforderungen?

Es sind zwei: Wir sind froh um jedes Velo, wir können die enorme Nachfrage nicht befriedigen. Dann sind die Kosten für den logistischen Aufwand in letzter Zeit massiv gestiegen, nicht zuletzt durch die Coronamassnahmen. Da sind wir dankbar für jede finanzielle Unterstützung. 

Wie und wann wird das 30-Jahr-
Jubiläum von Velafrica in diesem Jahr gefeiert?

Das Jubiläum feiern wir am
1. Juni zusammen mit unseren 30 Partnerwerkstätten, welche in der Schweiz die gesammelten Velos verarbeiten. Zugleich feiern wir das 300’000. Velo, das wir Ende April nach Ghana exportieren konnten. 

 

Zur Person

Paolo Richter, geboren 1965, wuchs im Zürcher Unterland auf und studierte Sozialwissenschaften, Sozialarbeit, Management und Innovation. 1993 gründete er im Liebefeld die Organisation Drahtesel und baute deren Entwicklungszusammenarbeit unter der Bezeichnung Velafrica kontinuierlich aus. 2019 übergab er die operative Leitung und ist seither Mitglied des Beirates. Heute ist er auf der Geschäftsstelle der Mütter- und Väterberatung des Kantons Bern tätig. Paolo Richter hat zwei Kinder und lebt in Spiez. 

Velafrica im Liebefeld

Velafrica verbindet erfolgreich Integrationsarbeit in der Schweiz mit Entwicklungszusammenarbeit in Afrika. Seit 1993 sammelt die gemeinnützige Organisation – ein Unternehmen der Stiftung Sinnovativ – ausgediente Velos an rund 400 Sammelstellen, stellt sie in sozialen Einrichtungen in der Schweiz instand und exportiert sie danach zu Partnerunternehmen in zurzeit sieben afrikanischen Ländern.

Weitere Infos: www.velafrica.ch

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