Die Gemeinde Kehrsatz wird seit längerer Zeit von Verkehrsproblemen geplagt, erklärt Gemeindepräsidentin Katharina Annen bei der Präsentation der Testplanung «Kehrsatz Mitte» vor den Medien. Durch die Einführung des 15-Minuten-Takts bei den BLS-Züge hätten die Schliesszeiten der Bahnschranken stark zugenommen. Davon betroffen sei insbesondere der Verkehr auf der Zimmerwald- und der Belpstrasse. Neben dem dadurch entstehenden Stau im Dorfzentrum sei die Situation mit der Umfahrungsstrasse ebenfalls unbefriedigend. Diese führt den Verkehr an der Gemeinde vorbei, allerdings fehlt ein Anschluss in der Dorfmitte, so Annen weiter.
Durchgangsverkehr reduzieren
2001 wurde der kantonale Strassenplan genehmigt, in dem bereits eine Anbindung der Zimmerwaldstrasse an die Umfahrungsstrasse im Dorfzentrum von Kehrsatz vorgesehen war. Doch die Realisierung scheiterte an der Finanzierung. Gut 10 Jahre danach (2014) prognostizierte die übergeordnete Korridorstudie Belp-Gürbetal ein grosses Siedlungs- und Verkehrswachstum für die Gemeinde. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, bei der sich zeigte, dass eine Verlegung der Zimmerwaldstrasse die beste Variante ist. Die Verkehrsführung über den «Inneren Chilchacher» sowie der Anschluss an die Umfahrungsstrasse «Kehrsatz Mitte» würden eine Entlastung des Bahnübergangs bringen und den Durchgangsverkehr durch das Dorf reduzieren.
Kreisel bei Umfahrungsstrasse
Mit dem neuen Anschluss «Kehrsatz Mitte» werde der Verkehr aus dem oberen Dorfteil und vom Längenberg im Bereich der «Bahnhofmatte» in einen Kreisel auf die Umfahrungsstrasse geleitet. Der Verkehr weiter ins Dorfzentrum soll dereinst über den neugestalteten Bahnhofplatz führen. Davon würden auch Reisende mit dem Postauto profiteren – die neue Haltestelle ist nämlich direkt auf dem Bahnhofplatz vorgesehen. Damit werde das Umsteigen auf die S-Bahn vereinfacht. Überzeugt vom positiven Nutzen einer Verlegung der Zimmerwaldstrasse kaufte die Gemeinde bereits eine Liegenschaft – und zwar die Parzelle an der Zimmerwaldstrasse 19. Über diese soll die neue Strasse führen. Das Stimmvolk gab im November 2017 an der Urne seinen Segen dazu.
Die neue Zimmerwaldstrasse wird in die gegebene Topografie des Landschaftsraumes als Ortsverbindung mit Überlandstrassencharakter eingebettet. Die alte Zimmerwaldstrasse wird zu einer verkehrsberuhigten Dorfstrasse mit wiederkehrenden Platzsituationen und Gestaltungselementen umgebaut.
«Bahnhofmatte» überbauen
Die Testplanung «Kehrsatz Mitte» beinhaltet neben der Verlegung der Zimmerwaldstrasse auch die Überbauung der Bahnhofmatte sowie die Neugestaltung des Bahnhofplatzes. Das Areal «Bahnhofmatte», das der Burgergemeinde Bern gehört, bildet aktuell die letzte grosse Baulandreserve der Gemeinde. Dem Areal «Bahnhofmatte» komme als «prioritäres Entwicklungsgebiet Wohnen» aus regionaler und kantonaler Sicht eine wichtige Rolle zu. Die Lage in direkter Nachbarschaft zum Bahnhof sowie die gute regionale Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr bieten die Chance, dass neue Wohn- und Arbeitsflächen entstehen. Mit der geplanten neuen Verkehrsführung und dem Anschluss «Kehrsatz Mitte» ist die Erschliessung für den motorisierten Individualverkehr ebenfalls sichergestellt. Vorgesehen sind eine Mischnutzung mit Wohnen und Arbeiten sowie ein grosszügig gestalteter Bahnhofplatz mit Bushaltestelle, Park+Ride-Parkplätzen, Veloabstellplätzen und Flächen zur öffentlichen Nutzung.
Als Basis für die weitere Planung haben die Gemeinde Kehrsatz und das Tiefbauamt des Kantons Bern zusammen mit der Grundeigentümerin, der Burgergemeinde Bern, eine Testplanung in Auftrag gegeben. Eine Testplanung liefert zwar kein fertiges Bauprojekt, sie bildet jedoch den ortsbaulichen Rahmen in Bezug auf Städtebau, Verkehr und Freiraumgestaltung. Zwei interdisziplinäre Teams, bestehend aus Architekten, Raum- und Verkehrsplanern sowie Landschaftsarchitekten erarbeiteten im Dialog mit der Bauherrschaft Beiträge, die sowohl die Verkehrsführung als auch die Entwicklung der «Bahnhofmatte» beinhalteten.
«Pétanque» hatte Nase vorne
Dabei wurde der Beitrag «Pétanque» des Teams van de Wetering zur Weiterbearbeitung gewählt. Diese Projektstudie zeigt, dass für das Areal «Bahnhofmatte» eine hochwertige Überbauung mit rund 300 Wohnungen, einer ausgewogenen Nutzungsdichte und Freiräumen entwickelt werden kann, die sich verständlich in den ortsbaulichen Kontext einfügt. Die vorgeschlagenen Gebäudehöhen mit drei- bis viergeschossigen Gebäuden und einem siebengeschossigen Gebäude als Akzent am Bahnhofplatz wirken für das Beurteilungsgremium stimmig. Der zwischen dem Blumenhof und dem Bahnhof gelegene Platz stärkt zudem den Ortskern und wird mit den publikumsorientierten Erdgeschossnutzungen zum Bindeglied zwischen Ortskern und neuer Überbauung. Der grosszügige Platz weist eine grosse Nutzungsflexibilität auf.
Startschuss 2023?
Die Gemeindeverantwortlichen sehen in dieser Planung eine grosse Chance für die Entwicklung des Dorfkerns. Die vorliegende Testplanung dient als Basis für die weiteren Planungsschritte. Die Gemeinde will das Projekt «Kehrsatz Mitte» dann im Rahmen der bevorstehenden Ortsplanungsrevision der Bevölkerung vorzulegen, so Gemeindepräsidentin Annen. Zur revidierten Ortsplanung soll noch dieses Jahr die öffentliche Mitwirkung gestartet stattfinden. Die Volksabstimmung ist für Ende 2020 geplant. Parallel dazu wird der Kanton einen neuen Strassenplan erarbeiten. Mit einem frühestmöglichen Baustart kann ab 2023 gerechnet werden. In einem nächsten Schritt werden auf Basis der Testplanung die weiteren Planungsschritte eingeleitet und die Kostenteilung Kanton, Gemeinde und Grundeigentümerin evaluiert.