«Diese Angebote sind nicht per se schlecht, ganz oft aber nicht auf die individuellen Bedürfnisse angepasst», meint der Experte. Gerade Letzteres wäre aber wichtig. So unterschiedlich wie unsere Lebensmodelle sind, so unterschiedlich müssen unsere Versicherungen sein, wollen wir uns wirklich – im Sinne dieses Wortes – versichert fühlen. Kommt dazu, dass sich unser Leben wandelt und unsere Schwerpunkte sich verlagern. Was macht man mit einem Standardprodukt, wenn es mit dem Leben mitgehen soll?
Persönlich
Die Branchenvertreter kennen die Lösung: mit einer persönlichen Ansprechperson. Brülhart nennt das Kundenschnittstelle: «Wir kennen die Menschen und haben sie zum richtigen Zeitpunkt bei uns. Das ist ein Bereich, der nach wie vor analog funktioniert.» Das heisst aber nicht, dass Versicherungsfirmen Berge von Papieren benützen. Die Digitalisierung hat auch bei den grossen Versicherungen begonnen.
Digitalisierung
«Wir verfolgen dabei eine Ökosystem-Strategie», erklärt der Experte. Das bedeutet, dass in gut abgrenzbaren Bereichen komplett digitale Lösungen angeboten werden, wo aber eine differenzierte Betrachtung sinnvoll erscheint, soll eine Beratung stattfinden. «Zudem haben wir ein Schema mit zentralen, digitalen Dienstleistungen und parallel dazu der regionale Bezug mit Menschen vor Ort», ergänzt Brülhart. Ausgefeilt ist das bei der Mobiliar für die KMUs der Fall. Sie haben ein Tool für Kleinunternehmer eingekauft, das im Self-Service eine eigene Administration seiner Unternehmung erlaubt. «Sobald aber Fragen auftauchen oder weitergehende Möglichkeiten von Nöten sind, greift dann wieder die persönliche Beratung, sei es durch den Versicherungsberater oder durch einen Treuhänder beispielsweise», nennt er ein Beispiel. Insofern sind digitale Schnelllösungen kein Alleinstellungsmerkmal dieser neuen Versicherungsmodelle, sondern eines, das allen Branchenvertretern gemein ist. Die Beratung hingegen, die dürfte bei den angestammten Versicherern doch noch etwas mehr gewichtet sein, als bei den Neuen.
Schadensfall
«Bei einer persönlichen Ansprechperson ist in aller Regel im Schadensfall auch eine unkomplizierte und unbürokratische Schadenerledigung zu erwarten, weil man die Kundin oder den Kunden kennt. Vermutlich können wir uns genau hier unterscheiden», glaubt der Branchenkenner. Beim neuen Trend fehlen diesbezüglich noch die Erfahrungswerte, wie sich diese Standardangebote im Schadensfall bewähren. Denn, was eine Versicherung wirklich wert ist, zeigt sich meist erst im Schadenfall. Was man aber weiss ist, dass es nicht die Firmen selber sind, die eine Versicherung anbieten, sondern die «Swiss-Re». Quasi klangheimlich hat der Rückversicherer im Hintergrund eine No-Name-Versicherung gegründet und bereitet für die Firmen die Policen auf. Ein Geschäftsmodell, dass sich zu lohnen scheint, denn bereits seien 40 Firmen aus zehn Ländern an Board, sagt die «Swiss-Re».
Also sind die neuen Modelle doch ein Trend, den es aus Sicht der Versicherungsbranche ernst zu nehmen gilt. «Ja, auf jeden Fall. Nur besorgt sind wir deshalb nicht», bemerkt Brülhart. Die Vorteile dieser Angebote sind ja die einfache, digitale Lösung und die unkomplizierte Abwicklung. «Diesen Trend wollen wir mitgehen und die Mobiliar investiert deshalb bis 2025 300 Mio. Franken in die Digitalisierung, um hier zeitgemäss aufgestellt zu sein.» Freuen dürfte das insbesondere die jungen Menschen und die eher städtische Bevölkerung, denen eine persönliche Beratung in der aktuellen Lebensphase als wenig nützlich erscheint. Der Vorteil ist dann aber, dass wenn sich das Leben doch mal ändert und neue Fragen auftauchen, bei diesen digitalen Lösungen wiederum Menschen dahinter stehen. Es gibt eine Beratung und Ansprechspersonen, ganz im Gegensatz zu einer No-Name-Firma aus dem Hintergrund.
Die Digitalisierung ist also in der Versicherungsbranche kein Hindernis, um das Erfolgsmodell einer regionalen Wirtschaft zu konkurrenzieren, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Dann zumindest, wenn eine regionale Firma die digitale Lösung erarbeitet und den persönlichen Kontakt weiterhin pflegt. Das ist nämlich auch eine Art Versicherung und so gesehen sind die neuen Modelle dann wohl eher Versicherungen ohne Versicherung.
Sacha Jacqueroud