«Heute ist Kühlewil ein Alters- und Pflegeheim – aber nicht einfach eines, wie es deren viele gibt. Durch seine Geschichte, seine Lage und Grösse besitzt es ein einzigartiges Profil», steht im Fazit des Buches von Anna Bähler über die Geschichte der Institution. Weiter sei sie offen für ältere Menschen aus allen Bevölkerungs- und Altersschichten und für Personen, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes, ihrer Demenz oder ihrer Sucht- oder psychischen Krankheit besonders verletzlich seien. Was sind also die Beweggründe für einen Verkauf eines scheinbar gut funktionierenden Heims?
Stadtberner bleiben fern
Die Institution, die über 149 Plätze verfügt, von denen derzeit 136 belegt sind, gehörte bis anhin der Stadt Bern und ist das einzige noch von der Stadt selbst geführte Alters- und Pflegeheim. Heute sind nur noch rund ein Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner Stadtberner. «Der Rest ist aus dem Aaretal, dem Längenberg oder von anderen Regionen in Bern. Vereinzelt sind Personen von anderen Kantonen bei uns», erklärt Pierre Steiner. Ältere Menschen aus der Stadt bleiben immer häufiger in ihrem bisherigen Quartier oder suchen Heime mit integrierter Versorgung aus, die auch Dienstleistungen für das Wohnen zuhause anbieten. So verlor Kühlewil, das oberhalb Kehrsatz in der Gemeinde Wald liegt, zunehmend an Attraktivität für die Stadtbevölkerung. Ausserdem ist Bern mit 39 Alters- und Pflegeheimen bereits gut ausgestattet. Pierre Steiner sieht den Standort ebenfalls als grösstes Problem für die städtische Bevölkerung, auch wenn er selbst diesen als grosse Chance sieht: «Ich bin mehr und mehr der Überzeugung, dass die Lage des Heims gut ist. Für die Patienten mit psychischen Beeinträchtigungen ist dieser ebenfalls von Vorteil.» Auf dem Hochplateau könne man ausserdem sehr gut spazieren, ohne viel Höhe zurückzulegen, obwohl man dort – verglichen mit der Stadt – schon ziemlich weit oben ist. Steiners Meinung teilt Franziska Teuscher: «Kühlewil hat keine grosse Bedeutung für die Versorgung der Stadt Bern mehr und, da es ein Einzelheim ist, sehe ich kaum mehr Chancen, dies noch kostendeckend betreiben zu können.» Womit auch schon der nächste Verkaufsgrund genannt wäre: die Finanzierung. Der Betrieb war in den letzten Jahren trotz Sparmassnahmen defizitär. Hinzu kommt, dass in naher Zukunft Investitionen nötig werden. Der Verkauf stelle für die Stadt eine «erhebliche finanzielle Entlastung» dar – rund 20 Mio. Franken – und das Heim habe mit der neuen Lösung eine gute Zukunftsperspektive, betont Teuscher.
Versorgungsketten im Trend?
Es soll nun Teil der Versorgungskette der Stiftung Siloah in Gümligen werden. Den Betrieb soll eine Aktiengesellschaft übernehmen, an die sich das Siloah zu 80 und die Stadt Bern zu 20% beteiligen. Die Mitarbeitenden und die Bewohner des Heims seien durch den Wechsel der neuen Trägerschaft nicht betroffen. «Gute Arbeitsbedingungen wird es weiterhin geben und die Heimtarife bleiben unverändert», verspricht Teuscher. Pierre Steiner zeigt sich ebenfalls zuversichtlich und wirkt optimistisch, obwohl diese Entscheidung vermutlich Änderungen in der gesamten Organisation mit sich bringen wird – wenn auch nicht für die Bewohner, wie er betont. «Nachdem das Geschäft extrem gut begründet und aufgearbeitet wurde, ist unser Ziel nun die Eingliederung in eine Versorgungskette. Vor 20 Jahren hätte ich noch nicht gedacht, dass wir mit unserer Grösse diesen Schritt einmal gehe würden», blickt der Heimleiter zurück. Jedoch liege es heute bei der älteren Bevölkerung im Trend, Versorgungsketten aufzusuchen, die von Pflege und Betreuung zuhause über einen Spitalaufenthalt bis hin zur Langzeitpflege alles ermöglichen. Die grösste Herausforderung sieht Steiner nicht bei der Volksabstimmung, die für den November vorgesehen ist, sondern bei den vorherigen Schritten: «Am meisten Sorgen habe ich wegen dem Stadtrat, der den Vorstoss zuerst überprüfen muss und die kritischen Fragen stellt», schmunzelt er.
Es scheint, als gäbe es für das Heim keine andere Alternative. Zur Freude der Stadt Bern, die nun finanziell entlastet wird und zum Trotz aller, die den Verkauf und die Integration des Heims in eine Versorgungskette kritisch betrachten. Denn zumindest ist klar, dass eine solche in Zukunft wahrscheinlich auch bei anderen Heimen erforderlich sein wird.
Nadia Berger