Neues Selbstbewusstsein für ein Dankeschön

Neues Selbstbewusstsein für ein Dankeschön

Karin Flückiger ist Inhaberin von «Flückigers HaarOase». Sie ist aber auch Mitglied der «Barber Angels Brotherhood» und schneidet Obdachlosen und Bedürftigen in der ganzen Schweiz gratis die Haare.

Ein Montagnachmittag in der Berner Altstadt: Der Aufenthaltsraum der AKIB, der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Region Bern, füllt sich mit Menschen. Kaffee und Kuchen werden genossen. Im hinteren Bereich des Aufenthaltsraums richtet sich derweil Karin Flückiger ein. Die Inhaberin von «Flückigers Haar­Oase» in Niederwangen bereitet sich vor, Haare zu schneiden; und zwar jene von den Besucherinnen und Besuchern des AKIB-Aufenthaltsraums. Schon nimmt der erste «Kunde», der sich die Haare trimmen lassen will, Platz. Rund 20 Minuten dauert es bis zum passenden Schnitt. «Eine gute Sache», findet er und gibt den Platz für den nächsten Haarschnittwilligen frei. Seit über 20 Jahren habe er sich die Haare nicht mehr geschnitten, erklärt Stefan* Karin Flückiger, die diese Aussage mit einem ungläubigen «Wirklich?» quittiert. «Ja, meine Haare wachsen eben nicht so stark», meint er lapidar. Die krause Mähne ist beträchtlich. Dichte Haarbüschel fallen, als Karin Flückiger den elektrischen Haarschneider einsetzt. Wie alle anderen an diesem Tag eingesetzten Berufsutensilien wird auch der Haarschneider ausschliesslich für solche Einsätze verwendet…

Mehr als ein Dankeschön erhält Karin Flückiger heute von niemandem. Die Coiffeuse macht diese Arbeit nämlich ehrenamtlich, als Mitglied der «Barber Angels Brotherhood». Diese Vereinigung wurde in Deutschland gegründet. Deren Mitglieder schneiden vor allem obdachlosen Menschen gratis die Haare. Auch in Österreich hat sich dieses Engagement bereits etabliert. In der Schweiz war Karin Flückiger die erste Coiffeuse, die dies tut. «Ja, ich bin stolz darauf», sagt sie im Brustton der Überzeugung.

Warten oder handeln?
Was hat sie aber eigentlich bewogen, mitzumachen? «Im Einkaufszentrum in Niederwangen, in dem ich mein Geschäft habe, wurden im vergangenen Jahr verschiedene Gewerberäume frei. Aus diesem Grund hatte ich vor allem im Dezember wenig Spontankundschaft. Deshalb stellte ich mir die Frage, ob ich mir wartend die Beine in den Bauch stehen will oder ob ich bedürftigen Menschen die Haare schneiden gehe. Denn am Abend hatte ich nicht mehr Geld in der Kasse», erzählt Karin Flückiger. Gesagt, getan: «Nach meinem ersten Einsatz in Bern ging ich sehr glücklich nach Hause. Per Zufall entdeckte ich dann in den sozialen Medien die ‹Barber Angels Brotherhood› aus Deutschland und habe mich bei ihnen gemeldet.»

Freiwillige gesucht
Mittlerweile engagieren sich insgesamt vier Coiffeusen und Coiffeure in der Schweiz. «Wir suchen aber natürlich noch mehr Berufsleute.» Eine Aufgabe, die nicht ganz so einfach ist, denn mehr als Dankbarkeit darf bei solchen Einsätzen wirklich nicht erwartet werden. «Ja, es ist eine rein ehrenamtliche Arbeit. Auch die Spesen werden vollumfänglich von uns getragen», meint Karin Flückiger. Die Bedürftigen können es oftmals gar nicht glauben, dass der Haar- oder Bartschnitt wirklich gratis ist. Aber bei diesem Einsatz zählen ohnehin andere Werte als Geld: «Ich habe Gefallen daran gefunden, Menschen für kurze Zeit aus dem harten Alltag auf der Strasse zu holen und ihnen ein Gefühl der Wertigkeit zu geben. Wir haben keine Berührungsängste. Letztlich machen wir es, weil diese Menschen in ihrer Situation auch immer dankbar sind; für den Haarschnitt, für das Gespräch auf Augenhöhe und für eine Umarmung.»

Karin Flückiger betrachtet ihr Leben nach den vielen Begegnungen mit Obdachlosen und Bedürftigen jetzt mit anderen Augen. Nicht nur, weil sie in den Gesprächen mit diesen auch viel über deren Schicksal erfährt. Sie ist ebenso fasziniert von der Verwandlung dieser Menschen. «Manch einer, der den Kopf vorher hängen liess, steht nach dem Haarschnitt mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht auf und geht erhobenen Hauptes wieder hinaus.» Es sei einfach toll, Menschen, die die Welt vergessen habe, ein Gesicht sowie Selbstwert und Würde zurückzugeben. «Wenn ich nach Hause gehe, habe ich das Gefühl, dass ich mehr erhalten als gegeben habe.»

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