Julia Kalenberg, wieso braucht es überhaupt einen Stichtag wie den 1. Januar, um schlechte Gewohnheiten und Unzulänglichkeiten über Bord zu werfen?
Gute Vorsätze kann man immer umsetzen. Hilfreich ist es, sich zu überlegen, was ich will, anstatt was ich nicht mehr will. Also die angestrebte, nützliche Gewohnheit im Visier haben, anstatt die schlechte bekämpfen.
Anfang Jahr erfreuen sich die Fitnessstudios eines regen Zulaufs. Doch schon bald verursacht das Jahresabo statt einem höheren Wohlbefinden eher ein schlechtes Gewissen…
Man sollte sich nicht zu viel auf einmal vornehmen. Lieber eine kleine Veränderung einüben, bis sie selbstverständlich geworden ist. Daraus Selbstvertrauen schöpfen – «ich schaffe das» – und später eine nächste nützliche Gewohnheit anpacken. So muss man nicht von heute auf morgen vom Fitnessmuffel zum Leistungssportler mutieren, sondern kann sich an kleinen Fortschritten freuen.
Und wie verhält es sich mit Rauchstopp, Gewicht reduzieren, Ernährung und Trinkgewohnheiten umstellen, weniger Hektik im Alltag usw.?
Auch hier ist es wichtig, sich das angepeilte Ziel vorzustellen und warum man das möchte. Das fängt mit der Formulierung des Ziels an: sich z.B. «mehr Gelassenheit im Alltag» genau vorstellen anstatt «weniger Hektik». Sich selbst wohlwollend begleiten und aufmerksam die kleinen nützlichen Veränderungen wahrnehmen, hilft dranzubleiben.
Ihrer Philosophie zufolge sollten zunächst nicht all die Schwächen und Fehler bekämpft werden. Vielmehr sollte man sich auf das konzentrieren, was bereits gut läuft.
Ja, es hilft sehr, genau hinzuschauen, was schon ein kleines bisschen funktioniert – oder zumindest ab und zu. Also die kleinen nützlichen Vorboten – wie Keimlinge des eigenen Vorhabens – mit der Lupe suchen und auf ihnen aufbauen!
Sie warnen vor radikalen Veränderungen. Wieso?
Ich möchte eher den Wert der kleinen Schritte betonen. Kleine Schritte gehen und wertschätzen kann Berge versetzen.
Was, wenn sich Leser kein professionelles Coaching leisten können oder wollen?
Sie können sich selbst gut auf ihrem Weg begleiten, etwa durch Visualisieren der gewünschten Zukunft. Die Skalenfrage – ein sehr beliebtes Instrument im lösungsfokussierten Coaching – kann man sich selbst stellen. Wo stehe ich in Bezug auf mein Vorhaben auf einer Skala von 1 bis 10? Was mache ich gut, dass ich zum Beispiel schon auf einer 4 stehe, statt mich zu fragen, was fehlt mir noch bis zur 10? Dann die kleinen nützlichen Veränderungen wahrnehmen und notieren – vielleicht sogar in einem Erfolgstagebuch.
Können Sie vielleicht ein Beispiel für einen guten Vorsatz nennen?
Lieber gebe ich Ihnen ein Beispiel für eine nützliche Gewohnheit, die ich seit 5 Jahren pflege: Ich führe ein Glückstagebuch, in das ich jeden Tag eine einzige Zeile schreibe und damit festhalte, was mich speziell gefreut hat und wofür ich dankbar bin.
Und wie halten Sie es selber mit guten Vorsätzen in der Silvesternacht?
Ich halte mich nicht an dieses Datum. Ich nütze eher die stillere Zeit «zwischen den Jahren» für einen wertschätzenden Rückblick: Wofür bin ich dankbar, was ist gut gelungen, welche nützlichen Entwicklungen will ich stärken und weiterentwickeln? Und was ist mir fürs neue Jahr wichtig? Dann plane ich gemeinsam mit meinem Mann konkrete Zeitblöcke ein für Dinge, die uns wichtig sind.