Die Leute halten den Atem an, der Schlussgang steht an. Das Fest nähert sich seinem Höhepunkt und die beiden Schwinger, die sich am Schluss gegenüberstehen, haben bereits viele Kämpfe überstanden. Dem einen werden in wenigen Sekunden alle auf die Schultern klopfen, dem anderen das Sägemehl vom Rücken. Anerkennung und Applaus gibt es für beide. Was diese Momentaufnahme mit Hans Jörg Rüegsegger, dem Präsidenten des Berner Bauern Verbandes, zu tun hat? Viel mehr als nur seine Freude am Schwingsport.
Bauern vereint
«Jetzt kommen jüngere und starke Leute», kommentiert er. Auf Antrag der jüngst einberufenen Findungskommission machen der Große Vorstand mit Vertretern aus allen sechs Regionen und Fachorganisationen Vorschläge für die Nachfolge des bald zurücktretenden Riggisbergers. Klingt ein wenig so, wie wenn ein «Böser» nach vielen Kränzen beschliesst, den Ring zu verlassen und den Blick bereits auf die jüngeren Kameraden richtet. Er spricht lieber vom Verband und den anderen Leuten als von sich selbst. «Wir, die Berner Bauernfamilien, haben einen Prozess gestartet, um zu agieren, progressiv zu sein, Antworten und Lösungen zu bringen», sagt er nicht ohne Stolz. Bestes Beispiel ist die Kulturlandinitiative. Diese kam nicht mal vors Volk, weil es dem Verband gelang, den wichtigen Schutz dieses Landes direkt im Baugesetz niederzuschreiben. «Bei Raumplanung und Boden können wir mitreden und sind am Verhandlungstisch, das ist eine schöne Errungenschaft», fasst er zusammen.
Aufgaben angehen
In der Agrarpolitik wird es aber nie langweilig. Die Konsumenten haben Wünsche, die Produzenten Bedürfnisse und die Politik die Rahmenbedingungen und Finanzen. Da ist es nur logisch, dass nicht alles Friede, Freude Nidelkuchen ist. Bald geht es um die Raumplanungspolitik 2, das letzte Politforum brachte zu Tage, wie schwer es gesetzlich für den ländlichen Raum ist, ihre Gebäude den heutigen Bedürfnissen anzupassen, die Menge der Pflanzenschutzmittel muss verringert und die Produktion muss mit den klimatischen Veränderungen fertig werden. Da ist noch viel zu tun und Sie wollen wirklich schon gehen, Herr Rüegsegger? «Noch immer wird in der Schweiz alle zwei Sekunden ein Quadratmeter Boden verbaut, noch immer wird zu wenig in die Höhe und die Tiefe gebaut. Die Massentierhaltungsinitiative steht vor der Tür. Ja es gibt noch viel zu tun», räumt der Landwirt ein. Weicht er demnach einem Kampf aus?
Nationale Bühne
Wer Rüegsegger kennt, weiss, dass diese Frage nur rhetorisch ist. Es gibt kaum einen anderen Vertreter der Landwirtschaft, der mehr Anlässe besucht, mehr hinhört und mehr ansät wie der umtriebige 51-Jährige. «Ich will selbstbestimmt den richtigen Zeitpunkt wählen und nicht als Sesselkleber gelten. Vor einem Jahr hatten wir die Gesamterneuerungswahlen im Großen Vorstand. Die neuen Leute vertreten unsere Haltung, wir sind auf gutem Weg mit geeigneten Personen», gibt er sich zuversichtlich. Alles ist das nicht, oder wie eines seiner Kinder es sagte: «Vater, was hast du noch im Gürbi?» Sagen darf er noch nicht allzu viel, dazu ist es zu früh und die Wiederwahl im Bernischen Grossen Rat noch frisch. Aber die oben aufgeführten Themen sind eigentlich nur auf dem nationalen Parkett zu lösen. Vor drei Jahren verpasste Rüegsegger die Wahl in den Nationalrat nur knapp, diesmal sollte es für den SVP-Politiker klappen. Um es in der Schwingersprache zu sagen: Wenn ein mehrfacher Kranzschwinger aus dem Kantonalen ans Eidgenössische geht, ist das nur die logische Konsequenz.
An Ideen fehlt es ihm nicht. Der Präsident des Berner Bauern Verbandes erzählt etwa von der Möglichkeit, dass jede Gemeinde mit einer eigenen Biogasanlage Energie produzieren könnte; er nennt Beispiele, wie man Gewässer sauber halten kann; er macht sich Gedanken zur Ernährungssicherheit und Regionalität. Dennoch tritt der Riggisberger 2023 zurück. Glücklicherweise hat er – getreu seinem Sohn – noch etwas im «Gürbi». Denn genau so kennt man ihn. Als einst Dagobert Cahannes als Speaker der grossen Schwingfeste den Satz «Manne id Hose» prägte, hat er sich wohl gleichermassen angesprochen gefühlt. Hans Jörg Rüegsegger, ein Mann, der die schweisstreibende Arbeit nicht scheut und den Stolz auf die bernische Landwirtschaft nicht versteckt.