Kühe, die knietief im Schnee auf der Weide stehen, sieht man weniger häufig, als Kühe, die in der Vegetationszeit auf saftigem Grün weiden. Dennoch müssen die Wiederkäuer im Winter an die frische Luft können.
Gut für die Psyche
Nich nur, weil es so in der Tierschutzverordnung steht, sondern auch, weil Kühe ein Bedürfnis nach Licht und Luft haben. «Man sieht es einem Tier an, wenn es lange im Stall war, selbst Kühen kann dies sonst aufs Gemüt schlagen», erklärt Röbi Haeni. Er war Demeter-Bauer und bewirtschaftete zusammen mit seiner Frau Marianne 32 Jahre lang den Steinacker-Hof in Guggisberg. Wenn es schön Wetter ist, gehen die Kühe täglich nach draussen, wenn aber die Bise über die Kante fegt und ein garstiger Wintersturm den Südhang des Hofs auf 1000 Meter über Meer heimsucht, dann bleiben sie im Stall. «Ich habe meine Tiere im Schnitt jeden zweiten Tag draussen, aber eben stets mit einem Blick auf das Wetter und das was den Kühen guttut», erklärt er ein Management, das die meisten Bauern so handhaben. Zumindest, wenn die Kühe im Stall angebunden sind. Nur dann nämlich, gilt diese Regel. Ausgenommen sind all jene Kühe, die in einem Freilaufstall leben. Sie haben einen befestigten Allwetterauslauf und entscheiden selber, wann sie nach draussen wollen und wann ihnen das Winterwetter keine Lust auf Auslauf schenkt.
Auslauf ist nicht gleich Weide
Ein solcher Allwetterauslauf ist jedoch keine Weide; es handelt sich dabei um einen befestigen Aussenbereich, der es den Kühen gestattet, bei jeder Witterung nach draussen zu gehen. Ob ein Landwirt einen Freilaufstall hat oder eine Anbindehaltung, der Weidegang ist ein eigenes Thema. Die Grünfläche oder im Winter eben manchmal die Weissfläche, steht den Kühen je nach Landwirt unterschiedlich oft zur Verfügung. Massgebend hierbei sind aber weniger die Labels, sondern mehr, wie viel Land der Bauer für seine Tiere zur Verfügung hat, wie die Topografie seiner Flächen verläuft und welche Wetterverhältnisse herrschen. Ist das Land steil, flach, nass oder trocken, das alles spielt zusammen mit dem Wetter. «Der Boden ist des Bauers Ertrag und es gilt darauf zu achten, dass die Beweidung und der Pflanzenwuchs einher gehen», erklärt Röbi Haeni. So ist eine von Kühen braungetrampelte Weide im Pflanzenwachstum gehemmt und verlangsamt. Das gilt natürlich insbesondere im Hinblick auf das kommende Frühjahr. «Deshalb ist es für einen Weidegang auf der Schneefläche wichtig, dass der Boden unter dem Schnee gefroren ist», erklärt Haeni. Befindet sich der Boden im frostigen Winterschlaf gilt für die Kühe: Gatter auf und los geht der Winterspass.
Die Kuh ist kein Pferd
Nur liegt es auf der Hand, dass solche Verhältnisse nicht den ganzen Winter über herrschen. Und so müssen viele Kühe in der Winterzeit oft mit dem Auslauf statt der Weide vorliebnehmen. Dann gibt es noch die Landwirte, die für das Wohl der Tiere bewusst einen Teil ihres Land «opfern», um ihren Tieren diese Möglichkeiten im Winter – dem Wetter zum Trotz – anzubieten. Für die meisten Kühe gilt aber, im Winter deutlich weniger Weidegang als während der Vegetationszeit.
Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Kühe darunter leiden müssen. Röbi Haeni zieht hierzu einen Vergleich: «Wenn man eine Kuh auf der Weide galoppieren sieht, so sieht das weniger elegant aus, wie wenn ein Pferd herumtollt.» Und das hat einen Grund, erklärt Haeni: «Die Bewegung der Kühe ist die Verdauung.» Kühe sind Wiederkäuer und erbringen bei diesem Vorgang enorme Leistungen im Körper. Nach dem Fressen suchen sie sich einen ruhigen Platz, um diesen Vorgang gewähren zu lassen. Ihr Bewegungsdrang ist damit deutlich weniger ausgeprägt als bei Equiden.
Der Sonne entgegen
Daraus zu schliessen, dass Kühe deshalb weniger nach draussen gehören, wäre aber trotzdem falsch. Kühe brauchen frische Luft, Licht und vor allem Sonne. «Wenn man die Tiere draussen beobachtet, so richten sie sich immer nach der Sonne aus und tanken regelrecht auf», erzählt Haeni aus seinem Alltag, bei dem die Beobachtung seiner Tiere eine wichtige Rolle spielt. Natürlich gilt das Gegenteil genauso: Ein ruppiger Wind verleitet die Tiere dazu, die Kruppe gegen den Wind zu parkieren, um sich davor zu schützen. Sonne ist also für die Kühe wichtig und der Hauptgrund, weshalb sie im Winter möglichst bei jedem Sonnentag nach draussen gehören. Nur halt nicht immer auf die Weide, je nach Wetter und Boden ist es oft der Allwetterauslauf. Weil Kühe von Natur aus keine allzu grossen Bewegungsathleten sind, finden sie auf dem Allwetterplatz als Sonnenstube ihre Zufriedenheit. «Bis die Kühe zeitig Mitte März im Stall zu rufen beginnen», verrät Haeni aus seinem Hofleben. Sie spüren die ersten warmen Tage in denen das Gras zu spriessen beginnt und wissen, bald sind die Weiden wieder wie ein üppiges Buffet gefüllt und ihre Freude und ihr Verlangen tun sie dann lauthals kund.
Kühe sieht man also nicht so oft im Schnee wie im üppigen Grün. Vor allen Dingen wegen der Bodenverhältnisse, aber auch, weil sie fressen und wiederkäuen und sich bei dieser Tätigkeit durchaus auf einem Allwetterauslauf wohl fühlen können. Hauptsache Sonne. Aber jedem Bauer ist auch bewusst: seine Kühe rufen nach der Weide. Würden sie ein Poster ihres schönsten Ortes im Stall aufhängen, es wäre ein Bild mit Sonne und reichlich Gras.
Sacha Jacqueroud