«Was ist eine Burg, was ist ein Schloss?» – Immer wieder stellt sich die Frage nach dem Unterschied, und auch der von den Historikern gerne verwendete Begriff «Herrschaft» ist oft unklar. Burgen wie Schlösser waren bis zum Ende des Ancien Régime 1798 nicht nur einfach Gebäude, sondern Zentren von «Grundherrschaften» oder abgekürzt «Herrschaften» – der damals üblichen Form der Regierung und Verwaltung von Adeligen über ihre Untertanen. Der Adelige war nicht nur Grundeigentümer, sondern er übte auch Verwaltungs- und Gerichtsrechte über seine Untertanen aus. Diese wiederum waren von ihrem Grundherrn abhängig und hatten ihm Abgaben und Frondienste zu leisten. Die Burg als Zentrum einer mittelalterlichen Herrschaft war der befestigte Wohnsitz des adligen Grundherrn und seiner Familie mit Gefolge. Obwohl sie mit ihren Türmen, Mauern und Gräben wie eine militärische Festung wirkte – und wirken sollte! – war sie vor allem auch Wohnbau, Verwaltungszentrum, Landwirtschafts- und Handwerksbetrieb sowie ein weithin sichtbares Symbol für die Macht und den sozialen Status seines adeligen Besitzers.
Ab dem 15. Jahrhundert empfand man Burgen mehr und mehr als unbequem und altmodisch. Man begann sie zu komfortablen, mitunter sogar prächtigen und luxuriösen Residenzen ohne Wehrcharakter umzubauen: das Schloss. Manchmal verliess man dafür die Burg, die zur Ruine wurde, und verlegte den Neubau näher zum Dorf. Die so entstandenen Schlösser blieben aber bis zum Ende des Ancien Régimes Zentrum der Grundherrschaft. Im Alten Bern bezeichnete man darüber hinaus alle Anlagen, in denen ein Landvogt residierte, als «Schloss», egal ob es sich dabei wie etwa bei Trachselwald um eine weitgehend mittelalterliche Burg, oder wie Büren an der Aare um ein neuzeitliches Schloss oder wie Fraubrunnen gar um ein ehemaliges Kloster handelte.
Herrschaft und Schloss Burgistein
Burgistein ist eine Aufsteigergeschichte, wie sie typisch ist für das Mittelalter: Ritter Jordan I. von Thun war im Dienst der Grafen von Kyburg zu Ansehen gekommen und besass verschiedene verstreut liegende Bauernhöfe. Durch eine systematische Erwerbs- und Tauschpolitik gelang es ihm 1260, Ländereien und Rechte am Südende des Gürbetals so zu konzentrieren, dass er sie zu einer eigenen Grundherrschaft zusammenfassen konnte. Als Zentrum wählte er die markante Hügelkuppe über dem Dorf Burgistein und errichtete dort seine gleichnamige Burg. Erstmals 1266 nannte er sich Ritter von Burgistein. Seine Söhne und Enkel herrschten weiterhin über Burgistein und waren Gefolgsleute der Kyburger und später der Habsburger. Als das Geschlecht 1397 ausstarb, gingen Herrschaft und Burg an die Münzer über. Von 1493 an war Burgistein jahrhundertelang im Besitz der Familie von Wattenwyl. Nach der Heirat von Juliana von Wattenwyl mit Emanuel von Graffenried ging das Schloss 1715 in den Besitz der Familie von Graffenried über und blieb es bis heute.
An der Stelle der mittelalterlichen Burg Burgistein erhebt sich heute, in grossartiger Lage weithin sichtbar, ein Schloss des 16. Jahrhunderts. Im Laupenkrieg belagerten bernische Truppen 1339 die Burg. Gemäss dem Berner Chronisten Konrad Justinger wurde dabei Jordan III. von Burgistein vom Schützen Ryffli getötet. Die Burg war aber nicht so zerstört, dass sie nicht wieder bewohnbar gemacht werden konnte.
Erst der Umbau zum heutigen Schloss brachte die Mauern der mittelalterlichen Burg Burgistein zum Verschwinden. Die Arbeiten begannen ab 1535 unter Reinhard von Wattenwyl und wurden von seinem Sohn Bernhard um 1580 abgeschlossen. Dabei entstanden der grosse Westbau mit seinem hohen Vollwalmdach, der bescheidenere Ostbau und der Verbindungstrakt um den gegen Süden offenen Empfangshof mit grossartiger Aussicht. Dieser Ehrenhof war damals architektonisch etwas Neues. Der Westbau und seine hofseitige Rundbogenloggia, aber auch der reich dekorierte Renaissance-Erker in der Mitte des Verbindungstraktes zeigte jedem Besucher, dass hier bedeutende Menschen lebten.
Unterhalb von Burgistein liegt das Schlossgut, der ehemalige Landwirtschaftsbetrieb des Schlosses. Er versorgte dessen Bewohner mit Lebensmitteln und war, wie die Schlossmühle im Weihergraben, ein unverzichtbarer Teil der Burg und des späteren Schlosses Burgistein.