Von der Getreidekammer zur Zierde

Von der Getreidekammer zur Zierde

Vor zwölf Jahren musste der denkmalgeschützte Speicher dem Bau von Einfamilienhäusern weichen. Er wurde versetzt und war danach weiterhin dem Verfall ausgesetzt. Dank sehr viel Engagement aller Beteiligten wurde er als Teil eines Ensembles mit dem dazugehörenden Bauernhaus originalgetreu wiederhergestellt.

Der Winter in den ersten Monaten des Jahres 1709 war ein Jahrhundertwinter, die eisigen Temperaturen reichten bis in südeuropäische Länder. Die Missernten als gravierende Folge daraus führten zu Hungersnöten. Auch die vorangegangenen Pestwellen hatten immer noch ihre Auswirkungen; als Folge der Epidemien wurden sehr viele Gehöfte aufgegeben und bedeutende Teile der Bevölkerung wanderten mangels Existenzgrundlage in die Städte ab. In diesem Jahr 1709 wurde vom Besitzer des Bauernhauses neben der Kapelle von Wallenbuch ein Speicher gebaut. Nachdem beide Gebäude lange Zeit verkümmerten, wurde im Jahr 2022 die Sanierung des Bauernhauses abgeschlossen und in diesem Frühling war die Wiederherstellung des Speichers an der Reihe. 

Hauptnahrungsmittel Brot

Jean-Pierre Anderegg ist Volkskundler und Gebäudehistoriker, hat eine Studie über Struktur und Entwicklung der Region verfasst und weiss um den historischen Hintergrund. «Damals lebte man in dieser Gegend vorwiegend von der Landwirtschaft, ausserhalb der Bauernhöfe gab es kaum Arbeitsplätze. Die Bauern betrieben vor allem Ackerbau, die Speicher dienten als Kammer für Brotgetreide, dem damaligen Hauptnahrungsmittel. Die gleiche Funktion hatten die Kornhäuser in den Städten.» Zugleich sei mit dem Verkauf von Getreide auch eine Verdienstquelle entstanden, wenigstens für Bauern, die sich den Bau eines Speichers leisten konnten. 

Als Einheit im Dorfkern 

Es war die Zeitenwende vom Ackerbau zur Viehzucht, die sich danach immer stärker entwickelte. Bei seinen Nachforschungen stiess der Historiker auf einen erstaunlichen Vertrag zwischen einem Bauern aus Wallenbuch und einem aus dem Berner Oberland: «Gemäss dem Vertrag musste der Oberländer dem Seeländer zeigen, wie man mit der Sense umgeht. Die Bauern hier mussten lernen, wie gemäht wird, wie Gras zu Heu und damit zu Tierfutter wird.» Für den Bau von Häusern mussten sich die Menschen aus dem Seebezirk keine fremde Hilfe aneignen – das können sie bis heute. Dies wird im Dorfkern von Wallenbuch sichtbar, nachdem das ebenfalls denkmalgeschützte Bauernhaus mit fünf Wohneinheiten vorgängig saniert wurde und mit dem wiederhergestellten Speicher eine Einheit bildet. «Ein unzertrennliches Ensemble», betont Bernard Fuhrer vom gleichnamigen Architekturbüro in Ulmiz, der das Projekt leitete und zusammen mit den Besitzern des Speichers initiierte. Der Architekt betont die sehr gute Zusammenarbeit aller Beteiligten, insbesondere, was die Umsetzung der bauhistorischen Vorgaben betrifft. Damit meint er die Holzbauarbeiten und vor allem Simon Känzig von der Holzbauwerk AG Mühleberg, der die Arbeiten am Speicher leitete und umsetzte. 

Denkmalpflege für die Identität

Er war schon bei der Versetzung des Speichers dabei und bezeichnet die ausführlichen Dokumentationen als wichtigste Grundlage des Projektes. «Sonst wäre die originalgetreue Wiederherstellung nicht möglich geworden, denn der Speicher war schon bei der Versetzung in sehr schlechtem Zustand und es vergingen weitere elf Jahre bis zum Beginn der Arbeiten. Danach wurde klar, dass der ganze Speicher zerlegt werden musste und eine Auslegeordnung sämtlicher Teile nötig war.» Känzig fotografierte jedes einzelne Holzteil und reparierte, was noch möglich war; für die zu ersetzenden Teile besorgte er jene Holzarten, die auch ursprünglich verwendet wurden. Da beim ursprünglichen Bau weder Nägel noch Schrauben aus Metall verwendet wurden, mussten diese aus Holz originalgetreu nachgeschnitzt werden. «Ja», bestätigt Känzig, «wenn man ein solches Projekt realisieren will, braucht es von allen Beteiligten sehr viel Herzblut.» Leidenschaft ist das eine, hinzu kommt der geleistete Aufwand bei solchen Projekten. Ob sich dieser grundsätzlich rechtfertigen lässt, beantwortet Anderegg: «Jede Form der Denkmalpflege ist der Versuch, die Identität eines Ortes an denjenigen Elementen festzumachen, die das Leben vergangener Jahrhunderte zeigt. Für Touristiker ist dies ein Alleinstellungsmerkmal, für die Bevölkerung ist es sehr wichtig, um sich mit ihrem Ort zu identifizieren. Die Identität eines Ortes und seiner Geschichte hat stark mit seinen Gebäuden zu tun.»  

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