«Waldbaden»? Was soll das denn sein? Hat das etwas mit Baden zu tun? Und warum im Wald? Wer sich diese Fragen stellt, der hat noch nicht den Anschluss an den neuesten Trend aus Japan gefunden. «Shirin-Yoku» nennt man dort das Eintauchen nicht ins Wasser, sondern in die Atmosphäre des Waldes. Tiefes beruhigendes Grün, Vogelgezwitscher, der Geruch von Erde und Moosen, schon eine halbe Stunde bewusstes Spazierengehen im Wald senkt Blutdruck und Kortisolwerte, Stress wird abgebaut, das Immunsystem gestärkt. Damit das funktioniert, sollte man jedoch bewusst abschalten, für eine kleine Weile aus dem alltäglichen Gedankenkarussel aussteigen und den Kopf frei kriegen für die Schönheit des Waldes und seine Farben, Geräusche und Gerüche. Dass das gelingt, dafür sorgt Carmen Bezençon.
Entspannungsübungen
in der Natur
Die 43-Jährige war bis vor kurzem Gymnasiallehrerin in Thun, wo sie 17 Jahre Geographie unterrichtete und auch als Beraterin für Jugendliche mit Problemen arbeitete. Immer wieder hatte sie Teenager in der Sprechstunde, die nicht schlafen können, gestresst sind und sogar Fälle von Burnout waren darunter. Das weckte in Carmen Bezençon den Wunsch, sich zur Entspannungs- und Mentaltrainerin weiterzubilden, und schon bald kamen neue Ideen hinzu: «Ich habe gedacht, dass es schön wäre, die Entspannungsübungen draussen zu machen», sagt Bezençon. Bei der Recherche stiess sie auf das Buch «Der Biophilia-Effekt» von Clemens G. Arvay, der von einem «heilenden Band» zwischen Mensch und Natur spricht, und ihr Interesse war geweckt. Gleichzeitig dachte sie jedoch «Da kommt nie jemand», wie sie lächelnd erzählt, vor allem, da sie sonst keine weitere Literatur zum Thema finden konnte.
Die Heilkraft der Natur
Diese Situation hat sich nun geändert. 2018 und 2019 sind bereits 54 Bücher zum Thema «Waldbaden» publiziert worden und alle beschwören den wohltuenden Effekt der Natur auf unsere Gesundheit und unser Gemüt. Auch wissenschaftliche Studien wurden verfasst, die davon berichten, wie Duftmoleküle des Waldes mit unserem Immunsystem interagieren und die Waldluft uns gesund und ausgeglichen macht. Carmen Bezençon freute sich, als eine Anfrage des Naturparks Gantrisch kam, ob sie nicht etwas zum Thema «Waldbaden» anbieten könne, denn das war ja ihre eigene Idee. Sofort machte sich die zierliche Frau auf die Suche nach interessanten und schönen Orten im Wald und wurde beim Gurnigelbad fündig, dem wunderschönen Fleckchen Erde bei Riggisberg mit seiner Geschichte als Luftkurort und seinen Schwefelquellen. «Ich habe einfach geschaut, wo der Wald mich anspricht», so Bezençon.
Elemente aus Achtsamkeitstraining, Qi Gong
Hier leitet sie nun jeden ersten Samstag im Monat Interessierte dabei an, gemeinsam mit ihr den Wald intensiv zu erleben. «Wir beurteilen sehr viel und sind sehr rational», findet die Entspannungstrainerin, dabei geht es doch beim Entspannen gerade darum, aus dem Denkmodus rauszukommen und die Sinne zu aktivieren. Das gelingt zum Beispiel gut, indem man mal eine kurze Strecke barfuss läuft über Moose und feuchte Erde. «Das sind alles Dinge, die wir als Kinder ganz selbstverständlich gemacht haben», findet Bezençon. Die Reaktionen der Menschen, die sich darauf einlassen, den Wald mit allen Sinnen zu erfahren, sind auch dementsprechend positiv. «Man kann gar nicht gross denken mit Erde zwischen seinen Füssen. Man spürt viel.» Angeleitete Entspannungsübungen im Sitzen und im Liegen kommen dabei genauso zur Anwendung wie Elemente aus dem Qi Gong. Montagmorgens bietet sie das «Waldbaden» ebenfalls im Längenbühlwald an und wünscht sich, dass sich vielleicht eine feste Gruppe ergeben könnte, um auch aufeinander aufbauende Übungen anbieten zu können.
Bewusst sollen die Gruppen klein gehalten werden, denn so bleibt die Atmosphäre intensiv. Damit sich jeder auch auf sein Erleben konzentrieren kann, ist das Angebot ausschliesslich für Erwachsene. Interessierte brauchen keine Vorkenntnisse und nur bequeme Schuhe, durch die man den Waldboden spüren kann, und zum Schutz lange Hosen. Bei Interesse, meldet man sich bei Carmen Bezençon an und erhält so auch eine Absage, falls es Regen geben sollte. Beim Gespräch mit der Pädagogin, merkt man schnell die tiefe Ruhe, die sie ausstrahlt. Sie, die nach 17 Jahren im Schulbetrieb nun hauptberuflich in der elterlichen Dittligmühle mitarbeitet und neu auch eine Ausbildung in der Greifvogel- und Eulenhaltung in Angriff nimmt, inspiriert durch die entspannte Art, wie sie dem Leben begegnet. Sollte der Wald dazu beitragen, ist es höchste Zeit das «Waldbaden» einmal selbst auszuprobieren!