«Ich bin mit der grossen Weide in Oberscherli nah am Siedlungsgebiet. Hirtenhunde bellen. Die Reklamationen würden nicht lange auf sich warten lassen», ist sich der Halter von 70 Schafen sicher. Hunde sind eine der Massnahmen, die der Bund den Halterinnen und Haltern von Nutztieren als Wolfsschutz empfiehlt. Eine weitere sind Zäune. Die auf 108 Zentimeter erhöhten Umrandungen bergen aber ebenfalls ihre Tücken, wie Anken weiss: «Wir stehen hier vor einer steil abfallenden Wiese. Für den Wolf ist es dank des Gefälles ein leichtes, diesen Zaun zu überwinden.» Seine Worte sind keine Annahme, sondern beruhen auf einem Erfahrungswert. Anken zeigt auf die Einstiegsstelle, an der «F78» unlängst den Zaun wegen der Steilheit ohne Kraftaufwand vom angrenzenden Wald aus überwinden konnte.
Zwei Wallache
Während er auf der Weide steht, blöken nicht nur einige Schafe um die Wette, auch die beiden Lamas verlassen ihren Wachposten unweit eines grossen Baumes und gesellen sich dazu. Mit strammen Schritten nähern sie sich. «Sie sind wirklich furchtlos und gehen auf jede Situation zu, um sie zu analysieren», meint er und nur wenige Sekunden später halten sie knappe 20 Zentimeter vor Ankens Gesicht. «Spucken tun sie nur, wenn sie sich bedroht fühlen», begründet er, weshalb er stoisch stehenbleibt. Kurze Zeit später geben die beiden Tiere Entwarnung und schnüffeln wieder an ihren Schafen. Ruhe kehrt ein. «Das hat mich von Anfang an beeindruckt, sie sind in kurzer Zeit mit der Herde eins geworden», kommentiert er das freundliche Miteinander. Kaum hat er gesprochen, drehen sich die beiden Wallache um und beobachten wieder den Waldrand, ehe sie sich ein paar Büschel Gras genehmigen. «Es müssen zwei Lamas sein, bei denen die Rangordnung geklärt ist, damit sie sich nicht dauernd Rangkämpfe liefern. Wallache eigenen sich zudem besonders gut für den Herdenschutz», begründet er die Wahl seiner Tiere.
Noch keine Unterstützung
Der Bund unterstützt die Landwirte bei der Beschaffung von Hunden oder Wolfszäunen. Für Lamas aber fehlt diese Unterstützung. «Das ist bedauerlich, weil ich vermutlich längst nicht der einzige bin, der mit dieser Variante besser fährt», kommentiert er. Das sich ein Lama als regelrechter Wolfschreck erweisen kann, ist aber hinlänglich bekannt. Das bestätigt auch der Herdenschutzbeauftragte. Anken hat in den eigenen Sack gegriffen, um seine Schafe zu schützen. Immerhin, die Warntafeln für die Bevölkerung hat er bekommen. «Lamas an der Arbeit: Wir beschützen unsere Herde, wir sind ruhig, aufmerksam und sehr neugierig. Wir stampfen, schreien und spucken nur, wenn wir uns bedroht fühlen», steht darauf geschrieben.
Ernstfall steht noch bevor
Wird also ein Wolf angespuckt und reicht das tatsächlich aus? Wie die bisherigen Erfahrungswerte zeigen, scheint allein die imposante Erscheinung der hochbeinigen Lamas für den Wolf abschreckend zu sein. Hinzu kommt, dass sie gänzlich furchtlos auf eine mögliche Gefahr zugehen und sich dieser stellen. «Ob es wirklich funktioniert, weiss ich nicht genau, das wird sich erst noch zeigen müssen», sagt der Schafliebhaber abschliessend. Den Ernstfall müssen Ruedi Ankens Lamas also noch erbringen. So lange dürfte es aber nicht mehr dauern, bis dieser eintreten könnte. Mehrere Bewohnerinnen und Bewohner aus der Gantrisch Region berichten von einem neuen Wolf. Fast schwarz soll das neue Grossraubtier sein, heisst es von den Beobachtenden. Gut möglich, dass dieses Tier den Weg auf Ankens Weide von seiner Vorgängerin «F78» findet. Dann wird sich zeigen, wie mutig Ankens Lamas reagieren werden. Im Idealfall bleibt das ganze Schauspiel unbemerkt und die Schafe unversehrt. Das wäre ganz nach dem Wunsch von Ruedi Anken, denn rückblickend meint er: «Den Anblick eines gerissenen Tieres möchte ich den Menschen lieber ersparen, das ist wahrlich kein schönes Bild.»
Deshalb schützt er seine Schafe und geht einen neuen Weg. Der Oberbalmer könnte durchaus zum Trendsetter für eine ganze Region werden, die für Grossraubtiere wie geschaffen ist, aber gleichzeitig schon seit jeher von Schafen beweidet wird. Eine Koexisenz könnte möglich werden. Zwei Lamas und ein Wolf, das könnte funktionieren.
Sacha Jacqueroud