Achtung, Superbakterien

Achtung, Superbakterien

Antibiotikaresistente Bakterien sind zu einer der grössten Gefahren für die Gesundheit geworden. Massnahmen und Forschung ermöglichen Lichtblicke. Doch Wachsamkeit und grenzübergreifende Zusammenarbeit sind unabdingbar.

Angina, Blaseninfekt oder Mittelohrentzündung: Kaum jemand, der nicht schon das Wundermittel Antibiotika eingenommen hat. Als der britische Bakteriologe Alexander Fleming 1928 das Penicillin entdeckte, begann ab 1940 ein Siegeszug in der Medizin: Krankheiten, die einst tödlich endeten oder nur durch Amputation zu stoppen waren, wurden heilbar. Doch je häufiger Antibiotika eingesetzt wurden, desto besser passten sich die Erreger an – mit fatalen Folgen.

10 Mio. Tote pro Jahr?

Resistente Keime sind weitverbreitet, ohne dass sie Schaden anrichten. Gelangen sie jedoch in eine Wunde, kann es kritisch werden, besonders für anfällige Menschen wie chronisch Kranke. Gemäss Modellrechnungen verursachen resistente Bakterien in der Schweiz jährlich rund 300 Todesfälle. Eine britische Studie stellte 2016 fest: Bis 2050 könnten jedes Jahr 10 Mio. Menschen aufgrund von Antimikrobieller Resistenz (AMR) an den Folgen von bislang gut behandelbaren Infekten sterben, wenn keine globalen Gegenmassnahmen ergriffen werden. Dann würden Resistenzen mehr Todesfälle verursachen als Krebs. Der WHO-Bericht von Mitte Oktober spricht Klartext: «Antibiotikaresistenz ist eine der zehn grössten globalen Gesundheitsbedrohungen.» Weltweit sei jeder sechste im Labor bestätigte bakterielle Infekt durch antibiotikaresistente Erreger ausgelöst. Auch in der Schweiz verfolgen Spitäler und Behörden die Entwicklung aufmerksam. Operationen, Kaiserschnitte, Krebsbehandlungen oder Organtransplantationen würden aufgrund von AMR riskanter, schreibt das Unispital Basel Anfang November. Es könne zu verzögerten oder gar erfolglosen Behandlungen kommen. Neben der höheren Sterblichkeit führen längere Spitalaufenthalte bzw. Krankheitsverläufe auch zu steigenden Kosten und grösserem Aufwand in Sachen Isolation und Hygiene.

Importierte Superkeime

Doch wie konnte es so weit kommen? «Je mehr Antibiotika, desto mehr Resistenzen», fasst es Prof. Dr. med. Andreas Kronenberg zusammen. Der Infektiologe ist Leiter des Schweizerischen Zentrums für Antibiotikaresistenzen ANRESIS und Hausarzt in Bern. Alle in der Schweiz gesammelten Daten zum Antibiotikaverbrauch in der Humanmedizin und zu Resistenzen landen bei ihm; er übermittelt sie an die WHO und trägt so zum wichtigen Monitoringprogramm GLASS bei, an dem 110 Länder teilnehmen. Anfang November hielt er in Köniz einen Vortrag zum Thema «Antibiotikaresistenz – Gibt es einen Weg zurück?» Im Gespräch mit dieser Zeitung sagt er: «Im Vergleich zu den südlicheren und östlicheren Ländern Europas geht es uns noch sehr gut. Doch die ‹Käferli› halten sich nicht an Landesgrenzen.» Die ganz schlimmen, die multiresistenten Keime, würden häufig importiert. Etwa von Patienten, die im Ausland hospitalisiert werden mussten und in die Schweiz repatriiert werden. In Ländern mit hohem Antibiotikakonsum, besonders dort, wo sie ohne Rezept erhältlich sind, gäbe es auch am meisten Resistenzen. Gerade in Südostasien sei die Lage dramatisch. «Früher oder später kommt das auch zu uns, egal, was wir machen.» Umso schöner ist es für ihn, wenn er auf internationalen Kongressen das vorbildliche Schweizer System vorstellen könne.

Beispiel Nutztierhaltung …

Doch auch bei uns entstehen Resistenzen; ein prominentes Beispiel ist die Nutztierhaltung. 2023 verabreichten Tierärztinnen und Tierärzte laut BLV-Bericht fast 18 Tonnen Antibiotika. Problematisch ist auch der Einsatz sogenannter Reserveantibiotika, die bisher auf weniger Resistenzen treffen. Über Fleisch oder belastete Gülle gelangen resistente Erreger in den Umlauf. Eine im Mai veröffentlichte Studie fand in 9 % der Schweizer Pouletproben ESBL-bildende Bakterien. Sie können resistente Keime oder Gene auf den Menschen übertragen. Eine Schweizer Studie vom August fand in 804 roh essbaren Fleischprodukten 177 resistente Bakterien – «mehrheitlich multiresistent».

… und Massnahmen

Politik und Branche haben Massnahmen ergriffen. So verkündete der Schweizer Bauernverband bereits vor drei Jahren, der Antibiotikaverbrauch in der Nutztierhaltung habe seit 2008 um 60 % abgenommen, bei den kritischen Wirkstoffen gar um 75 %. Der jüngste BLV-Bericht bestätigt die hohe Sensibilisierung, zeigt aber Unterschiede zwischen den Tierarten: Während der Einsatz kritischer Wirkstoffe beim Geflügel weiter sinkt, hat er bei Rindern leicht zugenommen, und bei Schweinen ist nach Jahren des Rückgangs erstmals wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Im Sinne des «One Health»-Gedankens – dem Betrachten der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt im Zusammenhang – läuft seit 2016 die Umsetzung der bundesamtübergreifenden Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR). «ReLait» ist ein weiteres Beispiel für das wachsende Bewusstsein in dieser Problematik. Im von 2018 bis 2023 durchgeführten Freiburger Projekt wurden die 150 teilnehmenden Betriebe im Bestreben unterstützt, weniger Antibiotika einzusetzen. Wenn auch die gesteckten Ziele «nicht  durchgängig» erreicht wurden, seien in der Sensibilisierung und Vernetzung Fortschritte erzielt worden, so die Autoren im Bericht. Auf nationaler Ebene gilt seit diesem Sommer die Impfpflicht gegen Rindergrippe für Kälber, die in den Handel kommen, vorerst als dreijährige Versuchsphase. «Anhand fundierter Daten soll überprüft werden, ob die Impfung tatsächlich zu einer signifikanten Reduktion des Antibiotikaeinsatzes führt», schreibt der Verband der Schweizer Milchproduzenten SMP.

Spitäler in der Region

Nur auf die Landwirtschaft zu fokussieren, wäre jedoch einseitig – in unserer globalisierten Welt bringen Touristen wie auch Geschäftsreisende manch resistentes Mitbringsel zurück in die Schweiz. Auch unsachgemässe Anwendung der verschriebenen Antibiotika führen zu Resistenzen. Dies sei soweit nichts Ungewöhnliches, erklärt Dr. med. Jörg Paul Isenegger, Chefarzt Medizin im Spital Riggisberg. «Bakterien haben sich immer schon angepasst. So ist es ein ständiges Wettrüsten.» Er und sein Team sind täglich mit AMR konfrontiert, doch im Vergleich zu früher sei in der Medizin viel passiert. So gibt es heute digitale Systeme, auf die Ärztinnen und Ärzte zurückgreifen können. Das nationale, frei zugängliche Tool guide.anresis.ch ist das beste Beispiel dafür. «Es zeigt auch Resistenzdaten in der Veterinärmedizin sowie bei Pilzen und ist mit den aktuellen Guidelines verknüpft», erläutert Andreas Kronenberg. Auch jenes des Inselspitals gibt aktuelle Behandlungsempfehlungen. «Es ist wichtig, ein möglichst lokales Tool zu verwenden, denn die Aktivität der Bakterien ist dynamisch. Ich kann die Lage in Genf nicht mit Riggisberg vergleichen», sagt Isenegger. Je nach Krankheit und Patiententyp – ambulant oder stationär, immunsupprimiert oder beatmet – rät das System zu einem anderen Wirkstoff. Habe er jedoch einen Patienten vor sich, der vorher in einem anderen Land hospitalisiert war, konsultiere er die dortigen Daten. Bakterien seien nicht per se böse, ruft er in Erinnerung. Doch sei die Abwehr bereits geschwächt, könne es schnell gefährlich werden. Um nicht kopflos Breitbandantibiotika einzusetzen, wird – wo immer möglich – eine Blutprobe genommen und im Labor auf Bakterien untersucht. Bei Multiresistenzen werde in Zusammenarbeit mit der Infektiologie im Inselspital Bern ausgetüftelt, «welche Hämmer wir am besten kombinieren» – und zwar so gezielt wie nur möglich. Was übrigens viele nicht wüssten: «Die meisten resistenten Keime kommen nicht von unsauber arbeitenden Ärzten oder Pflegenden, sondern von den Patienten selbst.»

Das Spital Tafers berichtet auf Anfrage, dass es im Vergleich zu anderen Spitälern ähnlicher Grösse einen insgesamt tiefen Antibiotikaverbrauch aufweise. «Am HFR, einschliesslich des Standorts Tafers, ist die Inzidenz von Infektionen mit multiresistenten Keimen gering. Das Thema ist jedoch für alle medizinischen Fachpersonen ein wichtiges, das uns im Allgemeinen Sorgen macht. Wir sehen es vordergründig als Herausforderung an und sind uns unserer Verantwortung für die vorsichtige Verschreibung von Antibiotika bewusst», so die HFR-Mediensprecherin. Die Behandelnden in Tafers folgen bei der Antibiotikatherapie den nationalen Richtlinien und behandeln multiresistente Keime zusammen mit den Spezialistinnen und Spezialisten für Infektiologie des Freiburger Spitals. «Wichtig ist auch, Resistenzen durch einen guten Umgang mit Antibiotika zu verhindern.»

Es braucht ein gemeinsames Anpacken von Politik, Medizin und auch von Patientenseite – grenzübergreifend. Die Forschung wird das ihre dazu beitragen. Sodass sich die Menschheit hoffentlich nicht in eine postantibiotische Ära bugsiert, sondern schneller dazulernt als es die Bakterien tun.

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