«Das ist fast ein bisschen Safari», scherzt Tanja Bauer, als sie in den roten Kombiwagen steigt. Es ist ein verhangener Dienstagnachmittag auf der Deponie Teuftal in Mühleberg. Gemeinsam mit ihrem Amtskollegen René Maire aus Mühleberg nimmt Tanja Bauer, Könizer Gemeindepräsidentin, am «Jobtausch» der Gemeindepräsidien teil. Die Regionalkonferenz Bern-Mittelland führt die Initiative diesen Herbst bereits zum vierten Mal durch. Um die regionale Identität zu stärken, geben je sechs Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten aus ländlichen bzw. aus städtischen Gemeinden einen Einblick in ihr Amt.
Ein Tal verschwindet
Der Nebel verzieht sich langsam. Aus dem Autofenster lassen der rostige bis schwarze Sand, die grossen Sortierungsmaschinen und dahinter ein junger Wald kaum vermuten, dass es sich hierbei um die grösste Deponie ihrer Art in der Schweiz handelt. Seit Jahrzehnten werden hier unter anderem unverbrennbare Reststoffe abgelagert und so füllt sich das Tal mit einem Fassungsvermögen von ungefähr 7,2 Mio. m³ langsam mehr und mehr. Zum Vergleich: Ein olympisches Schwimmbecken fasst etwa 2500 m³ Wasser, die Deponie könnte also rund 2880 solcher Becken füllen. Warum aber besuchen zwei «Gemeindepräsis» eine privatwirtschaftliche Deponie? «Die Gesellschaft trägt täglich dazu bei, dass dieser Haufen ein bisschen grösser wird, und ist sich dessen nicht bewusst. Wir müssen den Umgang mit Ressourcen lernen», meint Maire. Es war seine Idee, die Amtskollegin aus Köniz hierhin mitzunehmen. «Diese Deponie geht uns alle etwas an, es ist eine Art Service Public», erklärt Bauer. So landeten auch unverbrennbare Reststoffe aus Köniz hier und wir alle seien froh darum.
Atomkraft? Nein danke
Mühleberg ist nicht wegen der Deponie, sondern vor allem wegen des Atomkraftwerks bekannt. «Diese Gemeinde hat einige national und regional bedeutende Infrastrukturen», stellt Bauer fest. Auch wenn das AKW seit 2019 stillgelegt ist: Bis es vollständig zurückgebaut und das Gelände wieder genutzt werden kann, soll es noch bis 2034 dauern. Bei den Einwohnenden der Gemeinde seien das AKW und die Deponie zwar ein Thema, stören oder gar Angst haben die Mühlebergerinnen und Mühleberger aber keine, versichert Maire. Ob gar ein neues AKW in Frage käme? «Das ist kein Thema», sind sich die beiden einig.
Ein Graben verschwindet
Die Fahrt geht weiter durch einen jungen Wald und nur die aus dem Boden ragenden Rohre verraten, dass es sich hier um den bereits verschlossenen Teil der Deponie handelt. «Gemeindepräsidenten sind so ein Schlag Menschen, offen und kommunikativ. Da versteht man sich auch über politische Grenzen gut», meint Bauer. Rein objektiv scheinen die beiden nicht viele Gemeinsamkeiten zu haben. Tanja Bauer hat Politologie in Genf studiert, ist SP-Gemeindepräsidentin und mit 41 Jahren jung im Amt. René Maire von der SVP steht mit 64 Jahren kurz vor der Pensionierung und tritt Ende Jahr nach 12 Jahren als Gemeindepräsident von Mühleberg zurück. Er hat eine Ausbildung als Käsermeister sowie als Betriebswirtschafter gemacht und ist Betriebsleiter einer Käserei. Wie die beiden Amtsinhaber unterscheiden sich auch deren Gemeinden in vielerlei Hinsicht: Köniz gehört mit rund 44’000 Einwohnenden zu den grössten Gemeinden der Schweiz, Mühleberg ist mit etwa 3000 Einwohnenden eine kleine, ländliche Gemeinde. Das hat auch zur Folge, dass das Gemeindepräsidium in Köniz ein Vollzeitjob ist, wogegen der Mühleberger Gemeindepräsident seine Arbeit nur im Nebenamt ausübt. «Dafür ist ein riesiges Engagement nötig – das ist beeindruckend», meint Bauer über das Amt ihrer Kolleginnen und Kollegen in kleineren Gemeinden. «Die Leute hier scheinen René Maire gut zu kennen. Dazu ist er ein grosser Fürsprecher für Mühleberg», anerkennt Bauer weiter. Trotz aller Unterschiede stehen die beiden jetzt am Rand des jungen Waldes, der die Deponie eines Tages komplett überwachsen wird, und finden ausschliesslich positive und interessierte Worte für die Aufgaben und Herausforderungen des Gegenübers. Hinter dem Wald in der Ferne schimmert das Wasser des Wohlensees und das Projekt «Jobtausch» scheint seinen Zweck zu erfüllen. Auf der Safari durch die Deponie ist vom manchmal tiefen Graben zwischen Land und Stadt nichts zu spüren.
«Wie die Kommunikation mit der Bevölkerung in einer Gemeinde mit der Grösse von Köniz funktioniert, nimmt mich sehr wunder», freut sich Maire auf seinen Besuch eine Woche später in Köniz. Tanja Bauer zeigt dem Mühleberger Gemeindepräsidenten dann die Verwaltung einer fast 15-mal grösseren Gemeinde und das Zusammenspiel von Kultur und Gewerbe in den Vidmarhallen.