«Das Leben ist wie eine Fadenspule.»

«Das Leben ist wie eine Fadenspule.»

Zum ersten Mal unterhalten wir uns heute mit jemandem aus dem Lesekreis des Sensetalers. Bernhard Binggeli ist 77-jährig, wohnt in Laupen. Ich habe ihn zufällig im Restaurant auf dem Bramberg angetroffen. Das wirklich Verrückte: Erst nach genauem Hinsehen habe ich in ihm meinen Oberstift von 1966 erkannt. Hiess: Ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber hervornehmen.

Bäne, für dieses Interview reden wir nicht über die letzten fast 60 Jahre, das machen wir anschliessend abseits der Öffentlichkeit. Wie geht es dir?

(Es dauert eine Weile, bis sich sein Erstaunen gelegt hat. Er überlegt) Das Wichtigste im Leben eines Menschen ist Zufriedenheit. Zufrieden sein, mit dem was man hat, sonst verpasst man das Leben (schmunzelt). Im höheren Alter heisst das auch, zufrieden sein, wenn man nicht unbedingt jeden Tag eine halbe Apotheke einwerfen muss. Ich bin zufrieden, mit allen «Bräschteli», die das Alter halt so mit sich bringt.

Ist das Ableben für dich ein Thema?

Nein, sonst würde ich einiges verpassen, für das es sich zu leben lohnt. Ein Philosoph hat es präzise ausgedrückt. Das Leben ist wie eine Fadenspule. Zieht man am Faden, gleich zu Beginn bei einer vollen Rolle, dreht sich das Rad langsam, wird dann immer schneller, bis der Faden schliesslich ausfädelt. Das ist bei mir nicht der Fall. Noch nicht.

Die Welt droht aus den Fugen zu geraten. Wie ordnest du das ein? 

(Lacht) Einordnen! Das ist seit wenigen Jahren das Modewort im Journalismus, immer ordnen irgendwelche zum Teil selbsternannte Experten ein. Tönt gut. Ein anderes Schlagwort: exklusiv. Da werden Exklusiv-News angekündigt, obwohl andere Medienschaffende sie zum Teil bereits veröffentlicht haben. Aber das war ja nicht deine Frage. Ich denke, dass ich ein falscher Ansprechpartner bin.

Weshalb das?

Weil wir beide unsere Entwicklung abgeschlossen haben, wir verwalten nur noch, erinnern uns an früher, wo anscheinend alles besser war. Ich denke nicht, dass es besser war, nur halt anders. Auch unsere Eltern und Grosseltern mussten staunend zur Kenntnis nehmen, was da plötzlich um sie herum geschah. Die ersten Computer, die Mondlandung, Pop-Musik, der Kommerz, der immer mehr Überhand gewann, Gastarbeiter und vieles andere mehr. Wohl verstanden: Damals kommunizierte man bei wichtigen News noch per Telegramm – Jugendliche verwechseln das heute mit dem Onlinedienst Telegram auf ihrem Handy (lacht). Nichts von Smartphones oder Info- und Unterhaltungskanälen bis zum Abwinken 24/7. Denken wir an die Fadenspule: Sie dreht immer schneller, damit haben ältere Menschen Mühe, ich schliesse mich nicht aus. Alles erfährt man sofort, vor allem das Grauenvolle unserer Zeit. Die Frage lautet einzig: Wie soll das weitergehen?

Hast du eine Ahnung?

Ich behaupte: Im Moment entsteht eine neue Weltordnung, die längst begonnen hat, wenn ich nur daran denke, welche Länder sich China unter den Nagel reisst, entlang der neuen Seidenstrasse. Was aber passiert in Europa? Wir streiten uns nonstop, haben das Ganze längst aus den Augen verloren, und damit meine ich insbesondere die EU. Die traditionellen Parteien schauen nur für sich, verlieren mehr und mehr den Bezug zur Realität, zur Basis, zu den Menschen. Und da wundern wir uns, dass allein im deutschsprachigen Raum die AfD oder die FPÖ laufend bessere Resultate erzielen und Zeitenwenden einläuten? Wirklich?

Was ist die Schweiz für dich?

(Spontan) Heimat! Meine – deine! – Generation hatte das Glück, die beste Epoche der Menschheit erleben zu dürfen. In der Schweiz. Keine Kriege. Keine wirklichen Naturkatastrophen. Vollbeschäftigung. Ein funktionierendes Sozial- und Gesundheitssystem. Hochkonjunktur. Und jetzt beziehen wir Rente und AHV. Seien wir dafür dankbar. Wie aber wollen wir die Zukunft unserer Heimat gestalten, mit alledem, was gerade passiert? In Details mag ich gar nicht erst gehen. Das ist aber nicht mehr Sache unserer Generation, denn mit der Vergangenheit kann man die Zukunft nicht bewältigen. Solidarität und Gemeinsamkeit wären gefragt. Wirkliche Weitsicht, kein kurzfristiges Denken. Ich bezweifle, dass unsere Politik sich dessen bewusst ist. Kann es Sinn der Sache sein, dass jede und jeder nur noch auf sich schaut, dass Firmen nur dann erfolgreich sind, wenn sie den Gewinn maximieren, die Menschen dabei auf der Strecke bleiben?

Auch bei dir in Laupen?

Ja, eigentlich ist Laupen ein Abbild der Schweiz. Eine Ortsplanrevision und Zonenplanänderungen, die das Städtchen seit Jahren und für weitere Jahre zur Grossbaustelle degradieren. Logisch, (schmunzelt) nicht alle werden sich darüber beklagen… Und hiermit schweigt des Sängers Höflichkeit.

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