Das passiert, wenn Mister Murphy einen Flughafen baut…

Das passiert, wenn Mister Murphy einen Flughafen baut…

Das Gesetz des Herren Murphy lautet: «Alles, was bei einem Vorhaben schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.» Was allerdings in Berlin noch immer abgeht, das übertrifft vermutlich selbst die Vorstellungskraft des Herrn Murphy. Es ist Realsatire pur.

Eines muss man den Leuten des Flughafenbetreibers Berlin-Brandenburg BER lassen: Dass sie überhaupt Führungen durch diese «Ruine» zulassen, verdient Anerkennung und Respekt. Grenzt an Masochismus. Sicher haben Sie, liebe Lesende, schon von den Schwierigkeiten rund um den Bau und den Betrieb des neuen Berliner Flughafens «Willy Brandt» (der sich im Grab umdreht) gelesen. So auch ich. Wenn man aber selber dort steht, so wird einem das ganze Ausmass des Desasters bewusst. Stellen Sie sich vor, Sie stehen am Flughafen Zürich – und ausser Ihnen ist niemand zu sehen. Die totale Leere, in den Terminals, den Geschäften, den Parkhäusern, den Restaurants, am Bahnhof. So ist BER, schauen Sie sich das grosse Bild an. Es macht fassungslos. Sprachlos.

«Wir schaffen das!»
Ein nicht zu unterschätzender Grund für diese unglaubliche Leidensgeschichte ist wohl darin zu suchen (ähnlich dem Niedergang einer bekannten nationalen Fluggesellschaft), dass zu viele Politiker zu Beginn «von Amtes wegen» in den Vorstand berufen wurden, obwohl unwissend, was die Ausführung von Grossprojekten betrifft. Und genau mit diesem Unwissen haben sie bewusst darauf verzichtet, eine international renommierte Generalunternehmung zu verpflichten. Aufträge wurden regional vergeben, allein für die Technik an 96 verschiedene Firmen. «Wir schaffen das!», ihr Slogan. Warnende Stimmen während der Projektierung und der Bauphase wurden als Nestbeschmutzung abgetan. So einfach ist das, wenn man «von Amtes wegen» nicht belangt und behaftet werden kann.
Berüchtigt wurde der Flughafen Berlin-Brandenburg BER spätestens einige Wochen vor der offiziellen Inbetriebnahme im Juni 2012, als sich herausstellte, dass die Brandschutzanlage – heute intern nur noch als «Monster» bezeichnet – nicht wie vorgesehen funktionierte. Inzwischen weiss man: Fast nichts ist so, wie es sein sollte, weshalb der Eröffnungstermin immer wieder hinausgeschoben wurde – und weiterhin wird. Momentan spricht man von einer Eröffnung voraussichtlich in der zweiten Hälfte 2017, aber auch daran darf ohne grosses Risiko gezweifelt werden.

Voraussichtlich. Ambitiös.
Mit bemerkenswerter Offenheit wurde unsere 30-köpfige Gruppe über das Gelände und durch die Terminals geführt (ein Tag nach unserer Visite wurde bekannt, dass das Dach der Haupthalle einsturzgefährdet ist, weil offenbar viel zu schwere Ventilatoren eingebaut wurden – und der Terminal bereits einen Tag vor unserer Führung aus Sicherheitsgründen für Besuchende und Arbeiter hätte gesperrt werden müssen). Mit einer gehörigen Portion Ironie lässt uns der Führer wissen, dass vor allem zwei Wörter seine Erklärungen prägen werden: «Voraussichtlich». Und «ambitiös». Er sollte sich nicht täuschen.
Was Sie wissen müssen: Berlin hat drei Flughäfen: Tempelhof – bekannt von den «Rosinenbombern» nach dem Zweiten Weltkrieg –, der aber seit vielen Jahren ausser Betrieb ist und heute als Freizeitoase für die Bevölkerung dient. Tegel, der völlig überlastet ist. Und Schönefeld auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, der vor allem von Billigfluggesellschaften genutzt wird. Der neue Flughafen Brandenburg BER liegt unmittelbar neben Schönefeld. Sollte er jemals eröffnet werden (…), wird Tegel geschlossen und zum urbanen Technopark umgebaut, Schönefeld wohl zu einem Anhängsel von BER.

Pannen über Pannen
Und nun zu den besagten Pannen. Womit beginnen? Damit, dass seit der vorhergesehenen Eröffnung 2012 das 4-Stern-Hotel Steigenberger zwar fertig, aber seither geschlossen ist? Und dass dennoch Angestellte das Geisterhaus mit seinen 322 Zimmern und Konferenzräumen «im Schuss» halten müssen? Dass am Flughafen Rolltreppen zu kurz bestellt wurden und man der Einfachheit halber – um nicht neue bestellen zu müssen – am Ende fünf zusätzliche Stufen einbetoniert hat? Dass der Bahnhof mit zu kurzen Perrons für den ICE gebaut wurde und dazu regelmäs-
sig von einem leeren Zug befahren werden muss, um Standschäden und offenbar auch um das Ansiedeln von Fledermäusen zu verhindern? Dass man für einen neuen Taxiway vergessen hat, dass Wartungshangars von Bombardier und Lufthansa im Weg stehen und jetzt verlagert werden müssen? Dass die riesigen Einstellhallen – vollgepfercht mit Fahrzeugen aller Art – ihrer Bestimmung warten? Dass der wichtigste Gebäude-Ausrüster – und Spezialist für Brandschutzanlagen – kürzlich Insolvenz angemeldet hat? Dass unzählige KMU wegen der Verzögerungen in Konkurs gingen? Dass grosse Firmen – es ist laut «BILD» die Rede von Siemens und Bosch – hingegen grosszügige Entschädigungen erhalten haben? Dass sich die Natur die unbenutzten Aussenparkplätze zurückerobert? Dass in gewissen Bereichen das Licht 24/7 brannte, weil niemand wusste, wo abstellen? Dass die Förderbänder für die Gepäckausgabe nicht die erforderliche Kapazität aufweisen (gleiches gilt für die Check-In-Schalter)? Dass eine geplante Unterführung zu niedrig für den A380 ist? Und dass der A380 weit grösser als andere Flugzeuge ist und der ursprünglich vorgesehene Standort beim Terminal deshalb zwangsverlegt werden musste? Dass die «Jettys», die schwenkbaren Zugangsbrücken für Passagiere zum Flugzeug, regelmässig bewegt werden müssen, ebenfalls um Standschäden zu vermeiden? Erstaunt, dass ein bestimmter BER-Mitarbeiter, seit Projektierungsbeginn 1996 mit dabei, in knapp 20 Jahren 26 (!) verschiedene Chefs hatte? Und, und, und… Wie gesagt, unglaublich.

Es wird ausgebaut
Man wusste und weiss es: Bei seiner Eröffnung im Juni 2012 wäre BER bereits zu klein gewesen. Will heissen: Für weit über eine Milliarde Euro wird der Flughafen gegenwärtig ausgebaut – und das, obwohl noch kein Passagier jemals abgeflogen ist… Meinte ein Besucher: «Und wenn dereinst und wider Erwarten BER doch noch eröffnet werden sollte, wird man merken, dass alle vorhandenen Informatiksysteme inzwischen veraltet sind.» Party! Ausgebaut wird bekanntlich auch in Dubai. Man kann sich vorstellen, dass jene Verantwortliche, die zu Besuch in BER waren, eindrückliche Beispiele vorgeführt erhielten, wie man es nicht machen sollte.
Ach ja, veranschlagt war BER ursprünglich mit 2,1 Mia €, inzwischen steht der Zähler auf 5,6 Mia €. Der Steuerzahler freut sich. Und Ihre Frage ist berechtigt: Wäre es nicht gescheiter gewesen, zurück auf Startfeld 1 zu gehen und alles zurückzubauen? Diese Frage mochte unser Führer nicht beantworten. Kunststück.
Zum Schluss noch dies: Während unserer Führung komme ich auf dem Vorfeld unter einem «Jetty» mit einem Deutschen ins Gespräch: «Wissen Sie, uns Schweizern wird ein Deutschlandkomplex in die Wiege gelegt. Es ist deshalb irgendwie tröstlich, dass sowas in Deutschland passiert.» – «Ach wissen Sie, dieser Flughafen ist keine Einzigartigkeit. Sagt Ihnen die Elbphilharmonie in Hamburg etwas?» Tut es, ist auch so ein Desaster, aber ein schlechtes Beispiel, denn das Haus wird nämlich von Schweizer Architekten gebaut.

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