«Wir Menschen sind voller Widersprüche», sagt der Künstler ohne dabei analytisch zu wirken. Im Gegenteil: er spricht aus dem bodenständigen Leben eines jeden von uns. Denn Hand aufs Herz: sind wir nicht alle gerne ruhig und besonnen, um dann doch enerviert zu sein; sind wir nicht alle gerne vorausschauend und weise, um dann ab und an doch übertölpelt zu werden. Sind wir nicht fähig, komplex zu denken, um im nächsten Augenblick einem naiven Gedanken zu verfallen?
«Nid ufrege»
«Ich will beide Seiten sehen», erlöst uns Rickenbacher ein wenig vom Gefühl der Scham. Noch mehr, in dem er uns auf der Bühne die Ambivalenz ein wenig abnimmt, überskizziert und uns damit erleichtert und erheitert zugleich. Doch wie gelingt das dem Künstler? «Es ist ein wenig eine Rolle, die ich einnehme», sagt Rickenbacher. Etwa jene Rolle des WG-Bewohners, der von seiner vegetarischen Mitbewohnerin in den Schlachthof gezerrt wird, nachdem er sich eine Woche lang von Schweinefleisch ernährt hat, um die Erlebnisse dann im vegetarischen Restaurant zu teilen: «Bei der Hälfte der Nahrungsmittel dort – Bulgur, Quinoa oder Shiitake – hatte ich keine Ahnung, um was es sich genau handle und wählte deshalb überfordert nach Farben aus. Als meine Mitbewohnerin mich fragte: , lächelte ich schweigend und dachte mir verärgert: Beige!» Ja, dieses heimliche Denken ist so eine Sache. Während in unseren Gedanken ein Gewitter an Wortfetzen wütet, verlassen den Mund wohlgeformte Cumuluswölklein. Kein Grund, sich zu schämen, sondern menschlich. Rickenbacher greift diese «Menschlichkeit» auf und spielt auf der Bühne mit diesem Wetterunterschied zwischen Gewittern der Innenwelt und eitlem Sonnenschein in unseren Worten.
Bodenständig
«Im Rampenlicht habe ich das Bedürfnis energisch zu sein, meinen Körper einzusetzen; umso entspannter bin ich neben der Bühne», resümiert er und die gemütliche Pose im Sessel unterstreicht seine Worte. Im Prinzip ist sein Schaffen weit mehr als nur Unterhaltung. Er hilft uns zu entspannen, er hilft uns zu erkennen, wie wir den Unmut in uns verarbeiten können und dass wir damit nicht alleine sind; im Gegenteil, es ist vollkommen normal. Rickenbacher ist nicht nur bühnenständig er ist damit auch bodenständig.
Doch für den Wortakrobaten ist dieses Zwanglose noch mehr als nur unsere Menschlichkeit zu inszenieren, um dann wieder ein beschauliches Leben neben der Bühne zu führen: «Ich fliege nicht gerne, von daher ist mir jeder Boden lieber», schmunzelt er und ergänzt: «Bodenständig heisst für mich auch immer wieder von den vielen Reisen nach Hause zu kommen. Von der Hektik in die Ruhe zu kommen, Bern ist gemütlicher als Wien.»
Remo International
Mit diesem Beispiel übertreibt er nicht. Die Auftritte im deutschsprachigen Ausland häufen sich und der Wortkünstler gewinnt zusehends an Bekanntheit. «Gross» geworden ist er am «Thuner Slam», die Poetry Slam Show im «Café Mokka» ist ein national bedeutender Anlass, den Remo Rickenbacher mittlerweile leitet. Ein Anlass mit einer Mischung von internationalen und aufstrebenden Schweizer Künstlerinnen und Künstlern. Letztere liegen dem bodenständigen Rickenbacher besonders am Herzen. Er leitet Workshops, geht in die Schulen und engagiert sich besonders für die Jugendlichen. «Es ist beeindruckend, wie in einer Projektwoche junge Menschen etwas für sich entdecken, das sie eigentlich gerne machen und sich plötzlich entfalten», spricht er etwas weniger ruhig, als noch wenige Augenblicke zuvor. Insbesondere im ländlichen Raum. «Oft haben diese Schüler noch nie etwas von dieser Kunstform gehört und was daraus entstehen kann, fasziniert mich immer wieder», freut er sich.
Ländlicher Rahmen
Diese Schulprojekte sind nicht die einzigen Bezüge zur Landwirtschaft bei diesem Künstler aus einem urbanen Umfeld. Als erstes erwähnt er seine Esskultur. «Ich bin ein Liebhaber lokaler Kost, speziell von Käse», betont er. Doch letzterer kann ihn auch schon mal in die Bredouille bringen. Dann nämlich, wenn er mit seiner Gemütlichkeit beim Fondue mit dem Tempo der anderen nicht mithalten kann, «dann essen sie mir das Fondue weg», klingt er fast ein wenig ernst.
Er ist ein aufstrebender Künstler, der nicht gerne abhebt, sondern am Boden bleibt. «Spoken Word Artist» ist ein Künstler des gesprochenen Wortes. Remo Rickenbacher ist ein eben solcher Mund-Künstler. In seinem Falle aber noch treffender: ein Werker. Der Mundwerker.
Sacha Jacqueroud