Wer ist nicht froh, dass Covid-19 nicht mehr unseren Alltag bestimmt? Doch während die meisten bereits wieder vergessen haben, was ein R-Wert bedeutet oder was genau der Unterschied zwischen Corona- und Influenzaviren ist, beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen, Diagnostiker und Laborangestellten im Institut für Virologie und Immunologie (IVI) täglich mit Erregern aller Art. Schon lange vor Covid – und wohl auch noch bis in die ferne Zukunft hinein. «Die Vielfalt der Viren ist enorm», sagt Artur Summerfield. Der Leiter der Immunologie am IVI will mit seinem Team einer möglichen nächsten Epidemie oder Pandemie stets einen Schritt voraus sein. Darum betreiben sie Grundlagenforschung, immer im Austausch mit ähnlichen Institutionen auf der ganzen Welt. «Wir möchten zum Beispiel herausfinden, warum verschiedene Viren verschiedene Organe infizieren, oder warum manche Erreger nur Primaten schaden, während andere vorwiegend in Vögeln vorkommen», erklärt er. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die tierische oder menschliche Abwehr: «Wenn wir verstehen, wie eine Immunantwort funktioniert, können wir etwas entwickeln, das diese verstärkt, und so einen Schutz bietet.»
Viren kennen keine Grenzen
Dass den IVI-Leuten die Arbeit nicht ausgeht, hat mit der Globalisierung zu tun. Auch verschafft die Klimaerwärmung vielen Trägern von Viren – etwa Mücken – neue Lebensräume. Zudem breitet sich die wachsende Weltbevölkerung immer mehr in von Wildtieren bewohnte Gegenden aus, wodurch Erreger einfacher auf den Mensch überspringen können. «Wir halten darum auch Krankheiten im Blick, die noch weit weg sind, denn Viren machen an der Grenze keinen Halt», betont Summerfield. Ein Beispiel ist das West-Nil-Virus. In Uganda entdeckt, breitete es sich ab den 50er-Jahren in Afrika, Asien, im Mittleren Osten und in der Mittelmeerregion aus. Meist zirkuliert der aus der Familie der Flaviviren stammende Erreger nur zwischen Mücken und Vögeln, steckt aber manchmal auch Säugetiere, namentlich Pferde oder Menschen, an, wo es zu Hirnentzündungen kommen kann. Nach gehäuften Fällen in Italien war es für die hiesigen Behörden und Forschenden keine Überraschung, als er im vergangenen August erstmals im Tessin nachgewiesen wurde. Weitere Schwerpunkte der IVI-Arbeit sind die Japanische Enzephalitis, die Vogelgrippe, die Afrikanische Schweinepest oder das Wesselsbron-Virus, um nur einige zu nennen.
Ferienrisiko Tollwut
Nebst der Forschung spielt die Diagnostik eine wichtige Rolle. Proben mit Verdacht auf eine hochansteckende Tierseuche werden in der Schweiz ausschliesslich am IVI untersucht. In anderen Fällen, etwa bei der Vogelgrippe, sequenzieren die Labore in Mittelhäusern positive Proben, um herauszufinden, ob die gefundenen Viren als hochansteckend gelten. In einem solchen Fall können die Konsequenzen einschneidend sein – etwa dann, wenn ein betroffener Geflügelmastbetrieb sämtliche Tiere keulen muss.
Claudia Bachofen ist die Abteilungsleiterin Diagnostik und Entwicklung am IVI. Jetzt, wo die Ferienzeit naht, läuft bei ihrem Team die Tollwut-Impfstofftiterkontrolle heiss. «Tollwut ist die tödlichste von Tieren auf den Menschen übertragbare Krankheit», sagt sie. Deshalb wird an der Schweizerischen Tollwutzentrale im IVI jeder Verdachtsfall untersucht – beim Menschen und beim Tier. Die Schweiz gilt seit 1999 als tollwutfrei. Doch ein grosses Problem sind wohlmeinende Menschen, die streunende Hunde oder Katzen aus den Ferien mitbringen, ohne auf Quarantäne- oder Impfbestimmungen zu achten. Oder Reisefreudige, die sich ohne Impfung in typische Ferienländer begeben, welche Risikogebiete sind – zum Beispiel Thailand. Besonders dann, wenn sie ihr Haustier mitnehmen. «Sie müssen früh genug daran denken, eine Titerbestimmung oder die Impfung zu machen», rät Bachofen.
One Health: Mensch, Tier, Umwelt
Tiergesundheit bedeute auch Menschengesundheit, betonen Summerfield wie Bachofen. Ebenfalls hat die Gesundheit der Umwelt einen grossen Einfluss. Darum sprechen Behörden, Wissenschaftler oder NGOs häufig von «One Health». Mensch, Tier und Umwelt beeinflussen sich gegenseitig und hängen voneinander ab. «Darum unterstützten wir die Bemühungen, die Veterinär- und Humanmedizin zu einer stärkeren Zusammenarbeit zu bringen», sagt die Diagnostikexpertin. Bei der Entwicklung von Überwachungssystemen etwa sei dies unerlässlich. Im Hinblick auf das im Tessin gefundene West-Nil-Virus haben Entomologen – Insektenforschende – einen wichtigen Beitrag geleistet.
Eine enge Zusammenarbeit findet man bereits im IVI, wie Bachofen betont: «Wir versuchen, unsere Ziele multidisziplinär und gemeinsam zu erreichen.» Summerfield ergänzt: «Mit dem notwendigen Wissen über das Verhalten von Viren und über Bekämpfungsmassnahmen bis zu rascher und exakter Diagnostik, können wir gemeinsam dazu beitragen, dass die Schweiz und Europa gut auf neu auftretende Erkrankungen vorbereitet sind.» Dies sei die Aufgabe, die der Bund ihnen aufgetragen habe, und man wolle verantwortungsvoll mit der ihnen übertragenen Infrastruktur umgehen. «Wenn wir international führend sind auf unseren Gebieten, können wir einen wertvollen Beitrag leisten.»