«Ihr habt uns gehörig geprügelt», fasst die Gemeindepräsidentin Annemarie Berlinger die anderthalbstündige Debatte zusammen. Aus gutem Grund. Die Bürgerlichen und die Mitte halten mit Kritik am Gemeinderat nicht zurück. «Die beiden vorgeschlagenen Varianten des Gemeinderats sind eine Zwängerei. Der zweite Vorschlag mit Steueranlage 1,58 und Sparmassnahmen, die alle betreffen, gleicht einer Provokation», meint etwa Reto Zbinden (SVP). «Diese Varianten sind inakzeptabel. Drohungen von Schliessungen und Kürzungen wirken wie ein Verzweiflungsakt», erklärt auch Dominc Amacher (FDP) unmissverständlich. «War das Kalkül?», fragt Ronald Sonderegger (FDP) den Gemeinderat, ob er vielleicht gar nicht so abgeneigt wäre, wenn der Kanton das Zepter übernehmen müsste und dieser vermutlich eine noch deutlichere Steuererhöhung einführen würde. «Naiv oder unbedacht?», stellt Matthias Müller (EVP) eine eher rhetorische Frage.
Der runde Tisch
«Nein, wir sind konsequent geblieben», entgegnet Berlinger und begründet: «Die Mehrheit der Kosten sind Leistungen, die wir erbringen müssen; sparen können wir nur bei den freiwilligen Leistungen.» Aus diesen Gründen brachte der Gemeinderat zwei Varianten ins Parlament; eine mit Steueranlage 1,60, nahezu identisch zu jener, die vom Volk im November abgelehnt wurde, und eine mit Steueranlage 1,58 mit der Konsequenz von zusätzlichen Einsparungen bei den freiwilligen Leistungen in der Höhe von 1,4 Mio. Franken. Die Finanzkommission prüfte als erste diese Vorlagen und empfahl dem Parlament, diese abzulehnen. «Beide wären vor dem Volk chancenlos», begründet der Präsident David Müller (Grüne) und bedauert weiter, dass keine aktuelleren Zahlen vorgelegt wurden. Die Parteispitzen waren gefordert. An einem runden Tisch, zu dem die Mitte einlud, wollte man nach gemeinsamen Lösungen suchen und diese dann in die Parlamentsdebatte einbringen. Das Resultat dieser Bemühungen gleicht aber auf den ersten Blick eher einer Kapitulation. «Rückweisungsantrag» steht auf einem Papier geschrieben. Auf den zweiten Blick jedoch, ist es «der vermutlich längste Rückweisungsantrag den es je gab», kommentiert Casimir von Arx (GLP). Der Grund steht in der zweiten Spalte, erstreckt sich über drei Seiten und umfasst 14 Punkte. Die Forderung an den Gemeinderat lautet, eine neue Variante (nur eine) mit einer Steueranlage von 1,56 bis 1,57 zu erarbeiten, verbunden mit Kürzungen in verschiedenen Budgetposten, der Einführung einer Schuldenbremse und keinen weiteren Einlagen mehr in den Topf der Zinsschwankungsreserven. «Diese Rückweisung verlangt Einsparungen. Diese müssen für alle tragbar sein, damit die Gemeinde nicht kaputt gespart wird. Ohne Steuererhöhung geht das nicht», argumentiert von Arx.
Rückweisung statt Antrag
Dem Absender des Papiers war zu entnehmen, dass sich nicht alle Parteien mit diesem Vorgehen einverstanden erklären konnten. Der Rückweisungsantrag ist die Konsenslösung von SVP, FDP, die Mitte, EVP und GLP. Sowohl die SP als auch die Grünen nahmen zwar am runden Tisch teil und arbeiteten an Lösungen mit, doch mit dieser können sie sich nicht identifizieren. «Wir haben zehn Jahre an Sparübungen hinter uns und wissen, dass es nicht ausreicht. Es braucht eine deutliche Steuererhöhung, mit dieser Vorlage droht der Leistungsabbau», wehrt sich Vanda Descombes (SP). Immerhin, inzwischen seien auch die SVP und die FDP zur Einsicht gekommen, dass es eine Steuererhöhung braucht, meint sie zum Schluss. Das begrüsst Iris Widmer (Grüne) ebenfalls; alles andere hingegen weniger. «Köniz hat sich bisher dank mehrerer Einmaleffekte durchgeangelt, getreu einer alten Bauernregel, was ‹lödelet› geht nicht kaputt», beschreibt sie den Ist-Zustand und die permanente Unsicherheit, die sich mit solchen Varianten einstellen würde. Für die Grünen ist jedoch klar, dass auch die zweite Variante des Gemeinderates mit 1,58 untragbar wäre, weil «diese Liste mit den Kürzungen und Streichungen toxisch ist», beschreibt sie das vermutete Unverständnis der Bevölkerung zu mehr Steuern trotz weniger Leistungen. «Köniz ist mit knappen Finanzen unterwegs und das hat man sich mit Sparen erkauft. Vieles ist schon schlecht finanziert und soll nun noch mehr zusammengestrichen werden. Dahinter stehen Existenzen und wir lassen sie einfach hängen. Das ist unfair». Der Unmut in Tanja Bauers (SP) Worten ist spürbar. SP und Grüne hätten lieber nur einen Abänderungsantrag statt einer Rückweisung gefordert. Verglichen mit der anderen Vorlage einen denkbar einfachen: Die Steuern werden auf 1,58 erhoben, jedoch unbefristet. Dafür könnte man auf die Sparmassnahmen im Sozialen, Kulturellen und im Umweltschutz verzichten. Das wäre schon eher nach dem Geschmack des Gemeinderats gewesen. «Ihr hättet heute konkrete Anträge machen können, stattdessen kommt eine Rückweisung», bedauert Berlinger.
Die Massnahmen
Das Budget und damit die Varianten in Bezug auf die Steuererhöhung müssen jedoch vom Parlament angenommen werden. Damit stehen die Grünen und die SP mit ihrem Vorschlag auf verlorenem Posten, zumal sich die in Köniz so breite und starke Mitte am runden Tisch mit den Bürgerlichen einigen konnte. Entsprechend nimmt das Parlament den Rückweisungsantrag mit 21 zu 17 Stimmen an. Der Gemeinderat ist nun gefordert, die 14 Punkte zu berücksichtigen, wobei «gewisse in der Kompetenz des Gemeinderats sind», gab die Präsidentin zu bedenken und warnt, dass der Zeitplan ein Spiel mit dem Feuer sei. Das Parlament wird voraussichtlich im April über die neue Variante des Gemeinderats befinden, damit im Juni die Abstimmung stattfinden kann. Weil Köniz in einem budgetlosen Zustand ist, tickt die Uhr des Kantons. Nur wenn es gelingt, vor dem 30. Juni über ein abgesegnetes Budget zu verfügen kann das Eingreifen des Kantons noch abgewendet werden. Eine harte Debatte steht also noch bevor, denn einiges an diesem 14-Punkte-Plan dürfte noch zu reden geben. Die von den Bürgerlichen geforderte Schuldenbremse etwa. Die dafür notwendige dringliche Motion ist eingereicht, aber «mit dieser wird es mit dem Sparkurs immer schlimmer, das ist kein Köniz mehr, das sozial ist», gab Tanja Bauer schon mal zu bedenken. Dominic Amacher sieht das anders: «Das ist eine wichtige flankierende Massnahme, die Ausgaben müssen sich nach den Einnahmen richten.» Die weitere Frage ist, ob der Punkt 4 mit dem Auftrag an die Gemeinde, Kürzungen in der Höhe von 750’000 Franken beim Personal, Strassen, nicht aktivierbaren Anlagen und Sachaufwand vorzunehmen, so einfach möglich sein wird. Die gleichen Leistungen zu einem tieferen Preis zu bieten ist zumindest eine Herausforderung.
Der Konsens
In einem Punkt herrscht allerdings Einigkeit von links bis rechts. Es braucht keine weiteren Einlagen mehr in die Zinsschwankungsreserven. In finanziell schweren Zeiten will das Parlament nicht noch Beträge in Millionenhöhe auf die Seite schaffen, sondern freihalten, um das Loch zu stopfen. Entsprechend nimmt es einen Antrag des Gemeinderats an, den Fonds bei 10 Mio. Franken zu deckeln. Ein Könizer Kompromiss, die Linken hätten gerne nur 6 Mio. Franken gehabt, die SVP lieber 20. Hat der mit der Rückweisung verbundene neue, bevorstehende Vorschlag im April das Potenzial, ebenfalls eine derart deutliche Mehrheit zu finden? Der Druck ist auf alle Fälle gross genug, damit man sich einigt. Dass es ohne Steuererhöhung nicht geht, darüber ist man sich schon einmal einig. «Wir haben das Parteibüchlein auf die Seite gelegt», kommentiert Amacher, weshalb die FDP einer Steuererhöhung zustimmt. Die SVP sehe, dass es leider nötig sei, begründet Reto Zbinden. «Wir haben am runden Tisch bei intensiven Gesprächen um einen Kompromiss regelrecht gerungen», erklärt Iris Widmer und meint: «Einer für alle wäre ein starkes Signal gewesen» und bedauert, dass der Leistungsabbau in diesen 14 Punkten nun für die Grünen zu heftig sei. Hierbei nimmt auf etliche Briefe Bezug, welche die Parlamentarier von verschiedenen Personen, Vereinen und Institutionen erhalten haben. Eben von jenen Existenzen, die – wie es Tanja Bauer sagte – bedroht seien.
«Wir sind nah beieinander», richtet von Arx versöhnliche Töne an die Adresse der Linken und mit Blick auf den angenommenen Vorschlag einer Steueranlage von 1,56 oder 1,57 und auf jenen der Grünen und SP von 1,58. Dass man mittels Steuererhöhung die Einnahmen erhöhen will, darüber herrscht nun Einigkeit über alle Parteien hinweg. Wo, wie und ob man überhaupt an den Ausgaben sparen will, da gehen die Meinungen noch auseinander. Bis auf die Zinsschwankungsreserve. Demnächst wird der Jahresabschluss 2021 erfolgen. Fällt er geringer als befürchtet aus, wird er zum politischen Spielball der angedachten Sparmassnahmen. Der Gemeinderat hat erneut unter Hochdruck eine neue Variante zu präsentieren und die Parteien werden wieder am runden Tisch sitzen, um sich im Sinne einer mehrheitsfähigen Lösung zu beraten. Nur hat die erste Runde dieser Gespräche gezeigt, dass der runde Tisch eigentlich doch ziemlich eckig ist.
Die 14 Punkte des Rückweisungsantrags:
1. Das Budget wird basierend auf den wesentlichen Erkenntnissen aus der (nicht revidierten) Rechnung 2021 und weiteren wesentlichen Neuerungen seit der Erarbeitung der ersten Budgetvorlage überarbeitet. Insbesondere werden die neusten Erkenntnisse zum Steuerertrag, zu den FILAG-Zahlen und zu Zinsaufwand und -ertrag eingearbeitet. Zudem legt der Gemeinderat dar, ob seine Annahmen zur Auswirkung der Corona-Pandemie auf den Steuerertrag noch aktuell sind.
2. Mindestens für folgende Kontogruppen werden dem Parlament die effektiven Zahlen des ersten Quartals sowie eine Hochrechnung für 2022 präsentiert, die einen budgetlosen Zustand im ersten Halbjahr berücksichtigt: 311 «Nicht aktivierbare Anlagen», 313 «Dienstleistungen und Honorare», 314 «Baulicher Unterhalt und betrieblicher Unterhalt» und 315 «Unterhalt Mobilien und immaterielle Anlagen».
3. Sparvorschläge aus Variante 2 des Gemeinderats: a) Folgende Budgetposten werden gekürzt: Fuss Velo Köniz um 50’000 Franken, Betrieb Schwimmbad Köniz Weiermatt (Gebührenerhöhung): um 50’000 Franken (keine Erhöhung der Abonnementspreise für Familien, auch Kostendeckung statt Gebührenerhöhung möglich), Grünflächen, Spielplätze, Friedhöfe um 50’000 Franken, Ferienhaus Kandersteg Betriebskosten und Verkauf um 50’000 Franken. b) der Gemeinderat legt für folgende von ihm vorgeschlagene Sparmassnahmen dar, wie genau der Spareffekt erzielt werden soll: Fachstelle Beratung 100’000 Franken. c) Alle nicht unter Bst. a oder b aufgeführten vom Gemeinderat vorgebrachten Sparvorschläge werden nicht umgesetzt (gilt auch als Vorgabe für Ziffer 4 des Rückweisungsantrags).
4. Der Gemeinderat nimmt weitere Kürzungen wie folgt vor: a) Personalaufwand um 100’000 Franken, b) Strassenunterhalt um 100’000 Franken, c) Nicht aktivierbare Anlagen um 300’000 Franken, d) Weiterer Sachaufwand um 250’000 Franken. Der Gemeinderat legt dem Parlament übersichtlich dar, was er auf welchen Konten gekürzt hat.
5. Auf eine Einlage in die Zinsschwankungsreserven wird verzichtet.
6. Der Gemeinderat legt eine Steueranlage im Bereich von 1,56 bis 1,57 fest, sodass das Budget ausgeglichen ist.
7. Auf eine Variantenabstimmung wird verzichtet.
8. Die Liegenschaftssteuer beträgt 1,2 Promille des amtlichen Werts.
9. Eine neue Beschlussziffer wird eingefügt: Das Parlament beschliesst im Sinne eines Grundsatzentscheids, eine Schuldenbremse für die Erfolgsrechnung einzuführen. Dieser Beschluss wird den Stimmberechtigten als Bestandteil der Vorlage zur Steuererhöhung zur Kenntnisnahme unterbreitet. Er wird auf die dringliche Motion «Einführung einer Schuldenbremse für die Erfolgsrechnung» verweisen.
10. Das Total aller bewilligten Vollzeitstellen der gesamten Gemeindeverwaltung vom 1.1.2022 wird bis 31.12.2022 eingefroren. Das heisst: a) vakante bewilligte Stellen dürfen besetzt werden, b) neue Stelle dürfen nur im selben Umfang bewilligt werden, wie Stellen, die am 1.1.2022 bewilligt waren, aufgehoben werden. c) Ausnahme 1: Tagesschulstellen dürfen neu bewilligt werden, wenn die Nachfrage dies erfordert, d) Ausnahme 2: Im Rahmen von nachweislich kostensparenden Internalisierungen dürfen neue Stellen bewilligt werden.
11. Die Botschaft ist entsprechend Ziffern 1 bis 10 zu überarbeiten.
12. Die AHV-Zweigstelle wird ab 2023 nicht mehr defizitär betrieben, damit ab 2023 ein Ersatz für jene Sparmassnahmen gemäss Ziffer 4 besteht, die 2022 nur aufgrund des budgetlosen Zustands möglich sind.
13. Der Gemeinderat legt dem Parlament das überarbeite Geschäft rechtzeitig vor, damit das Budget den Stimmberechtigten im ersten Halbjahr 2022 zur Volksabstimmung unterbreitet werden kann.
14. Das Parlament wünscht, dass die Volksabstimmung über das Budget 2022 an einem separaten Termin im Juni 2022 angesetzt wird.