Die Geschichten hinter den Steuern

Die Geschichten hinter den Steuern

Wer Rechtswissenschaften studiert, will immer recht haben. Ein Klischee, dessen sich viele Studierende bedienten, um die juristische Fakultät zu beschreiben und von ihren eigenen Stereotypen abzulenken. Iris Widmer ist der Beweis, dass es aber Juristinnen gibt, die nicht recht haben wollen, sondern gerecht handeln wollen. Diese Einstellung hat sie zur Bundesrichterin werden lassen.

Es mag deshalb nur logisch erscheinen, dass ein Soziologe herhalten muss, um das Phänomen Iris Widmer zu verstehen. Einer Frau, die unlängst bei ihrer Verabschiedung aus dem Könizer Parlament mit Komplimenten überhäuft wurde. Die Gründe sind so einfach wie erstaunlich: es ist ihre Fähigkeit, Probleme bis zu deren Ursprung zurückzuverfolgen und ursächlich zu verstehen. Aus Sicht des Gelehrten Max Weber wäre sie demnach eine Soziologin, denn seine Definition hierzu lautet: «Soziologie ist eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.»

 

Staubtrocken

Nun klingt alleine der Begriff Verwaltung nicht sonderlich prickelnd. Dennoch ist die Grüne Politikerin als Gerichtsschreiberin im Jahr 2007, als Juristin im Bundesamt für Justiz, als Simonetta Sommaruga dieses leitete, und nun schliesslich sogar als Bundesverwaltungsrichterin die Verwaltungsleiter emporgestiegen und nie umgestiegen. «Ich bin gegenüber Verwaltungsstrukturen kritisch und will diese ursprünglich verstehen», sagt sie und verweist auch auf viele politische Statements, die sie in Köniz vertrat. Woher aber kommt die Faszination für eine Welt, die von aussen betrachtet wenig einladend wirkt? «Ich wollte nie Anwältin werden. Richteraufgaben haben mir von Anfang an mehr zugesagt. Die Rechtslage zu klären und dann abzuwägen, das hat mich schon immer fasziniert», sagt die gebürtige Luzernerin. Im Studium war dies ein Grund, weshalb sie eine Dissertation geschrieben hat und als Assistentin an der Universität Zürich tätig war. «Dann kam ich zurück nach Bern, als das Bundesverwaltungsgericht geschaffen wurde.» Eine Entscheidung, die ihr Leben prägen sollte.

 

Buch mit sieben Siegeln

Hand aufs Herz, wer weiss eigentlich genau, was das Bundesverwaltungsgericht macht, kennt dessen Bereiche und Funktionen? Die Könizer Richterin verrät es: «Es ist zuständig für Beschwerden gegen Entscheide in Anwendung des Bundesrechts. Entscheide, welche die Eidgenossenschaft verabschiedet.» Ins Rampenlicht rückt dabei immer wieder das Asylrecht. Doch es gibt auch das Wettbewerbsrecht oder das Sozialversicherungsrecht. «Die Abteilung I, in der ich arbeite, hat zwei Abteilungen, eine rund um die Infrastruktur und eine für das Steuerrecht», verdeutlicht sie. Mehrwert-, Stempel-, Verrechnugssteuer, Zoll, Schwerverkehrs-, VOC- und CO2-Abgaben, Amtshilfe. Eigentlich müsste der Begriff staubtrocken wieder fallen. Eigentlich. Aber wenn Widmer erklärt und das Umfeld versteht, spriesst plötzlich die Erkenntnis aus dem trockenen Umfeld: «Hinter jedem Fall steckt eine Geschichte. Die sind ergreifend, vom grossen Unternehmen bis zum Kebabstand», klingt sie motiviert.  

 

Richterspruch

Genau hier greifen nun die Stärken der Richterin. Etwas ursächlich zu verstehen und zu lösen für die höchste Instanz des Landes. Eigentlich könnte sie es sich einfach machen und könnte das Urteil der Vorinstanzen abschreiben. Es erstaunt aber nicht, dass sie entschieden sagt: «Genau das mache ich nicht. Ich schaue es unvoreingenommen an, nehme mir Zeit, trage es mit mir rum, will es verstehen, nachvollziehen und schliesslich lösen.» Wer so handelt und denkt, wird eines Tages Bundesrichterin. Doch der Weg in dieses hohe Amt ist von mehreren Faktoren abhängig. Iris Widmer war schon bei den Grünen, als diese noch keinen Anspruch auf einen Richtersitz hatten. Inzwischen hat sich das verändert und nach den Hearings der Partei stand die Könizerin als Kandidatin fest. «Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe», meint sie selbst. Aber eine Frau, die dem Lösungsweg so viel Freiraum lässt und den Drang hat, die Dinge nicht nur oberflächlich zu erkennen, sondern tiefgründig zu verstehen, muss sich nicht wundern, wenn sie eines Tages Bundesrichterin wird. Das wird dann offensichtlich, wenn sie ein Urteil schreibt: «Eine komplexe Sache», räumt sie ein. «Das Herauskristallisieren was relevant ist, es auf einen roten Faden bringen und verständlich zu machen, ohne das Rechtliche ausser Acht gelassen wird. Ich versuche, dass es 20 maximal 30 Seiten sind und nicht mehr», fasst sie zusammen. Wenn das kurz und knackig ist, dann vermögen Aussenstehende vielleicht annähernd zu erahnen, wie komplex die Aufgaben am Bundesverwaltungsgericht sind.

 

Soziologie und Jurisprudenz. Zwei vermeintliche Gegenspieler, die in Abwägung zu einer Symbiose von Menschlichkeit und Gerechtigkeit werden können. Zumindest, wenn man Iris Widmer heisst. Eine Frau, die selbst Max Weber erstaunt haben dürfte. Gerade eben, weil sie die Geschichten hinter den Steuern verstehen will.

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