Ein kleines Gedankenspiel: Wer ist mündiger, um abzustimmen? Der 92-jährige Mann mit Demenz oder die 16-jährige Jugendliche, die sich in der Freizeit im Jugendparlament engagiert? Der feine Unterschied zwischen den beiden ist jener, dass der 92-Jährige ein «Ja» oder «Nein» auf die Vorlage kritzeln kann, ungeachtet dessen, ob er nun genau weiss, worum es geht. Die 16-Jährige hingegen erhält keine Unterlagen, kein Mitspracherecht und muss zusehen, wie eine ältere Generation über ihre Zukunft bestimmt. Zugegeben, das ist ein extremes Beispiel und ja, man könnte auch im Umkehrschluss argumentieren, wer nun mündiger sei, die 92-jährige Frau, die belesen, bestens informiert und polit-erfahren ist, oder der 16-jährige Teenager, der sich bisher erfolgreich sämtlichen Informationen und News verweigert hat?
Was bedeutet mündig?
Es gibt vermutlich genauso viele Jugendliche, die in der Lage sind, Vorlagen zu verstehen und sich eine Meinung zu bilden, wie solche, denen die Politik am Allerwertesten vorbeigeht. Wie sollen sich Frau und Herr Berner nun entscheiden bei der Vorlage «Stimmrechtsalter 16»? Die «Könzer Zeitung» hat alle Grossrätinnen und Grossräte des Verteilgebiets nach ihrer Meinung gefragt. Während die Befürworter grossmehrheitlich geantwortet haben, kamen aus dem gegnerischen Lager weniger Stimmen ein. Hat man Angst, sich unbeliebt zu machen, wenn man sich gegen Jugendanliegen stellt? Dabei wäre man doch in bester Gesellschaft. Unlängst hat das Zürcher Volk eine entsprechende Vorlage versenkt, frühere Bemühungen blieben immer erfolglos und auch weitere Gradmesser skizzieren die Vermutung, dass die Vorlage beim Volk scheitern dürfte. Den Mut sich negativ zum Stimmrechtsalter 16 zu äussern hatte der Könizer FDP-Grossrat Hans-Peter Kohler: «Noch nicht mündig, aber stimmberechtigt? Nein, denn Volljährigkeit und das Stimmrechtsalter gehören zusammen. Zudem ist das Alter 16 willkürlich gewählt.» Seine Begründung liefert einen interessanten Begriff: Mündigkeit. Laut «Duden» ist mündig, wer «nach Erreichung eines bestimmten Alters gesetzlich zur Vornahme von Rechtshandlungen berechtigt ist». Oder aber, wer «als erwachsener Mensch zu eigenem Urteil, selbstständiger Entscheidung befähigt ist». Dass gemäss diesem zweiten Passus auch 16-Jährige diese Mündigkeit erfüllen, daran glaubt GLP-Grossrat Casimir von Arx und formuliert es so: «Wer Staatskundeunterricht hatte, soll das Gelernte auch praktisch anwenden können. Darum ist 16 das richtige Alter für das Stimm- und aktive Wahlrecht.»
Rückblick
Es gibt also zwei Haltungen zur Mündigkeit, jene nach Hans-Peter
Kohler und jene nach Casimir von Arx. Nun ist Bern nicht unerfahren in dieser Frage. Im Jahr 2009 scheiterte eine entsprechende Vorlage deutlich. Zudem zeigte sich der Regierungsrat bei der Einreichung dieses Vorstosses ablehnend und schrieb unter anderem: «Die Entwicklung in den letzten Jahren habe jedoch gezeigt, dass sowohl in der Bevölkerung als auch in den Parlamenten eine verbreitete Skepsis gegenüber der Senkung des Stimmrechtsalters besteht (…) die Forderung scheint politisch chancenlos. Der Regierungsrat beantragt daher Ablehnung.» Auf einem anderen Blatt Papier müsste man dann noch gesondert anschauen, ob es wirklich die Aufgabe der Regierung ist, weil etwas chancenlos scheint, auch gleich darauf zu verzichten. Mutig wirkt das auf alle Fälle nicht. Nur geht es hier nicht um dessen Haltung, sondern um die Mündigkeit der 16- und 17-Jährigen. Bisher hat in der Schweiz einzig der Kanton Glarus Stimmrechtsalter 16 eingeführt, und zwar bereits im Jahr 2007. Auf nationaler Ebene gestattet Österreich den 16-Jährigen abzustimmen. Nicht vollumfänglich, aber in Teilen erlauben dies auch Belgien, Estland, Grossbritanien und gewisse Bundesländer in Deutschland. Neben Bern haben Basel-Stadt, -Land, Neuenburg, Uri und Zürich eine entsprechende Vorlage schon gehabt und bachab geschickt. In der Mehrheit scheint also Mündigkeit eher mit 18 Jahren verbunden zu sein als mit 16.
Ausblick
Schon fast eine Art Schlussfolgerung daraus macht Grossrat Reto Zbinden (SVP): «Ich werde das Stimmrechtsalter 16 ablehnen, weil die Bürgerrechte und -Pflichten gleichzeitig wahrgenommen werden sollen, wenn schon müsste auch das Mündigkeitsalter gesenkt werden. Einem solchen Vorstoss würde ich sogar zustimmen.» Philosophisch betrachtet könnte hingegen mit dem Herabsenken des Stimmrechtsalters sich auch die Mündigkeit mitverändern. In diese Richtung denkt Grossrätin Sarah Gabi Schönenberger (SP): «Ich machte als Lehrkraft an der Oberstufe die Erfahrung, dass das Erlernte angewendet werden will und das nicht erst nach jahrelanger Warteschleife. Politische Bildung gehört auf den Stundenplan. Die Jugend soll mit politischer Teilhabe in die Demokratie eingebunden werden. Politische Bildung und Stimmrechtsalter 16 tragen dazu bei.» An der Basis und in der Bildung geschieht etwas. Der Blick in die Region bestätigt das: Klimagruppen beschäftigen sich eingehend mit der Politik, die Jugendarbeit in verschiedenen Gemeinden hilft, die Anliegen der jüngsten Gesellschaftsschicht mit in die Politik zu tragen und Gemeinden wie Kaufdorf oder Burgistein haben längst auf kommunaler Ebene ein Mitspracherecht für Jugendliche eingeführt, weitere dürften folgen. Einer der auch immer schon mitreden wollte, ist der Mitte-Grossrat André Roggli: «Ich selbst war als 16-Jähriger bereits an Gemeindeversammlungen und durfte dort miterleben, was lokale Politik heisst. Gerne hätte ich auch abgestimmt. Ich finde es richtig und wichtig, dass sich auch ganz junge Menschen politisch beteiligen können. Sie haben mein Vertrauen und wenn sie nicht immer meiner Meinung sind, dann ist dies auch gut. Die aktive Teilnahme ist wichtiger.»
Was bringt’s?
Und Teilnahme ist das Stichwort. In jenen Gebieten mit dem Stimmrechtsalter 16 ist die Wahlbeteiligung nicht merklich gestiegen. Grossrat Kohler sagt es so: «Die Stimmbeteiligung ist bei den 18- bis 25-Jährigen bereits sehr tief. Die Jugendlichen haben also kein Bedürfnis, sich früher zu beteiligen.» Dieser Logik folgend müsste man dann auch über die Stimmbeteiligung von bildungsfernen Gesellschaftsschichten nachdenken, die ist zumindest teilweise ebenfalls sehr tief; ausgeschlossen werden sie demokratischerweise trotzdem nicht. Anderseits hat Kohler natürlich auch die Folgen dieser Einführung im Blick, Mehrkosten und Aufwände, weil etwa kantonale und nationale Vorlagen nicht mehr gleichzeitig verschickt werden können. Ein Mehraufwand, nur für ein paar wenige? Solche Überlegungen stellen die Befürworter eher nicht an. Für Schönenberger ist klar: «Es muss ein zentrales Anliegen sein, die politische Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu fördern, ihnen eine Stimme zu geben, sie haben nämlich keine Lobby.» Solche Aussagen unterstreichen das, was Kohler hinter dieser Vorlage vermutet: «Die Forderung entspricht eher einem linksideologischen Gedankengut, als einem Bedürfnis potentiell Betroffener.» Es reicht aber tief in die Mitte hinein, denn auch EVP-Grossrätin Katja Streiff befürwortet das Stimmrechtsalter 16: «Interessierte Jugendliche ab 16 Jahren sollen über ihre Zukunft mitbestimmen können. Darum unterstütze ich eine Anpassung des Stimmrechtsalters.» Sie bringt einen neuen Begriff in die Diskussion ein: «interessierte Jugendliche.» Klar die anderen nutzen die Möglichkeit gar nicht erst. Sie sieht aber allein die Tatsache, dass es eben «interessierte Jugendliche» gibt, als wichtig genug, die Vorlage zu befürworten. Das findet auch der Grossrat Jan Remund (Grüne): «Geben wir der Zukunft eine stärkere Stimme in unserer Demokratie. Die 16-Jährigen sind aufgrund ihrer guten Informationsmöglichkeiten und ihrer Bildung urteilsfähig und reif. Die Jugend ist unsere Zukunft und der Motor für gesellschaftliche Veränderungen. Sie kümmert sich um die Zukunft.» Zumindest jene, die sich interessieren, müsste man vielleicht noch ergänzen.
Wie sehen das die Jugendlichen selbst? Jene, die bereits – wie Roggli – politisch frühzeitig partizipieren, dürften sich anhand dieser Diskussion eher zur linken Seite oder der Mitte hingezogen fühlen, zumal ein Grossteil der FDP und die SVP sich dagegen aussprechen. Beschert das den bejahenden Parteien mehr Nachwuchs? Und ist das Teil dieses ideologischen Gedankenguts? Wer darüber urteilt wird zum Propheten kommender Legislaturen. Klar ist aber, dass der Dachverband der Schweizer Jugendparlamente mit der «Mission Takeover» an der Basis mehr junge Menschen in die Gemeindepolitik bringen will. In kleineren Gemeinden, die es oftmals schwer haben, etwa in Kommissionen alle Posten zu besetzen, eröffnet das gar Chancen. Und die Jungparlamentarierinnen und -parlamentarier sind gekommen, um zu bleiben. Eine Nachwuchs-
abteilung der Politik, einfach im Vergleich zu einem grossen Sportklub eine verhältnismässig kleine. Spannenderweise sind in diesen Parlamenten alle Parteien vertreten. Interessierte gibt es also von rechts bis links, Mündige auch, aber nicht nur. Egal wie die Abstimmung am 25. September deshalb ausfällt, vom Tisch ist das Stimmrechtsalter 16 auch bei einem «Nein» noch lange nicht. Es ist eine Bewegung von unten im Gange, die mit Sicht auf die einzelnen Gemeinden an Dynamik gewinnt. In der Politik wollen deshalb viele das Stimmrechtsalter 16, das Volk hingegen dürfte zu einem beachtlichen Teil den Überlegungen von Zbinden und Kohler folgen.