Eine Politikerin die eigentlich gar keine ist

Eine Politikerin die eigentlich gar keine ist

Politiker reden gern, schmieden Strategien und scheuen sich nicht, im Rampenlicht zu stehen. Kathrin Gilgen hingegen redet nicht sonderlich gern, mag keine Spielchen und überlässt den Mittelpunkt lieber anderen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist sie eine geschätzte und respektierte Frau im Amt.

Es ist bitter kalt an diesem Winternachmittag. Der Nebel hüllt den Hof der Familie Gilgen in eine friedliche Stille. Nur eine ignoriert das Idyll im emsigen Auftrag, ihren Ball wiederzufinden: Hündin Kyra. Eigentlich verwunderlich, dass die Border-Collie-Dame noch nie im Könizer Parlament zu sehen war, denn sie folgt Kathrin Gilgen auf Schritt und Tritt. Ruhe findet sie erst, als der Kaffee auf dem Tisch steht und die SVP-Politikerin über ihr neues Mandat spricht.

Passende Rolle
«Ich bin mit der Rolle, nicht politisieren zu müssen, ziemlich wohl», sagt Gilgen und stellt die Tasse wieder auf den Tisch. Genau das ist es nämlich, was die Parlaments­präsidentschaft voraussetzt: eine Person, die durch die Traktanden führt, koordiniert und darauf achtet, dass die Regeln eingehalten werden. Politische Voten haben in einem Präsidialjahr keinen Platz. Im Mittelpunkt steht man trotzdem. Also gerade das, was ihr eigentlich fern liegt. «Ich musste in der Vergangenheit als Fraktionspräsidentin oder in der Finanzkommission oft reden und habe dabei sicherlich viel gelernt. Nach wie vor muss ich aber eine Rede gut vorbereiten», verrät sie. Vorbereiten ist also das Stichwort, das sie für ihre neue Rolle mitnehmen kann. Denn genau das muss sie als Präsidentin mehr als irgendwer sonst im Rat. Doch wer glaubt, Kathrin Gilgen würde das nun gross kommentieren, der kennt die bodenständige Bäuerin und gelernte Floristin nicht. «Jemand muss es sich ja zeitlich einrichten können», lautet ihr knapper Kommentar.

Freiheit
Es sind diese Bemerkungen, oft mit einem Augenzwinkern versehen, die so etwas wie ihr Markenzeichen geworden sind. Ein Beispiel gefällig? Der Hof, den sie zusammen mit ihrem Mann Stefan und den beiden Söhnen Daniel und Michael betreibt und der später einmal an die beiden übergehen soll, liegt oberhalb von Oberwangen in etwa dort, wo sich Wiese und Wald treffen, dort, wo die Zivilisation endet und die Natur beginnt. Diese Lage fasst sie mit vier Worten zusammen: «Wir sind zentral abgelegen.» Kathrin Gilgen liebt es, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht unnötige Schnörkeleien einzubauen. Es ist ein wenig so, als ob sie sich vieles der Natur und den geliebten Tieren abschaut. Zu ihrem 50. Geburtstag erhielt sie eine Jersey-Kuh geschenkt. Mit Begeisterung zeigt sie auf das eigenwillige Tier, das als einziges verkehrt im Boxenlaufstall liegt und sich nicht um die Gruppendynamik der anderen schert. Freiheitsliebend und eigenwillig sind sie, die Jersey-Kuh «Cleopatra» und ihre Besitzerin.
Erfahrung
Die gebürtige Bauerntochter aus dem Köniztal hat sich diese Eigenschaften nicht ausgedacht, sondern ist so aufgewachsen. «Meine Kindheit war voller Naturerlebnisse und Tiere, mühsam war eigentlich nur die Schule», schmunzelt sie. Deshalb war es auch gar nicht so einfach, diese Frau nach Oberwangen zu bekommen, weiss Ehemann Stefan. «Du musst schon etwas bieten, dass ich aus dem Köniztal gehe», meinte sie. Genauso schlagfertig war jedoch seine Antwort: «Ich kann dir nur das bieten, was ich habe, aber das ist wunderschön.» Jahre später ist der Beweis da: Sie teilt diese Ansicht. Auch nach einschneidenden Erlebnissen. So musste sie ihren Blumenladen und ihre grosse Passion aus gesundheitlichen Gründen aufgeben, überstand einen Sturz beim Strohladen sowie eine anschliessende Rückenoperation. «In dieser Zeit ist viel passiert in meinem Kopf», verrät sie. Die Einsicht, das Leben so zu nehmen wie es kommt und sich dort einzusetzen, wo es geht. All diese Erfahrungen nimmt sie mit ins Parlament, eigensinnig, freiheitsliebend und pragmatisch.

Morgenmensch
Das einzige, was der Parlamentsbetrieb im Leben von Kathrin Gilgen ändert, ist ihren Rhythmus. «Ich bin ein Morgenmensch, aber am Abend um acht bin ich dann auch mal müde», weiss sie. Dann aber, wenn auf den Wiesen und Wäldern rund um den Hof der Tag erwacht, ist sie oft schon mit Hündin Kyra unterwegs; mit scharfem Auge für die Details der Natur. Der Status auf Whattsapp zeigt oft das eine oder andere Stimmungsbild. Wie gut sie die Natur beobachten kann, zeigt der Melkstand. «Ich wollte diese grauen Wände nicht sehen», kommentiert sie, weshalb sie ein raumfüllendes Landschaftsbild mit der heimischen Bergkette aufgemalt hat.

Wenn Kathrin Gilgen in diesen Tagen das erste mal das Glöcklein im Parlament läutet und die Sitzung eröffnet, dürfen die Politikerinnen und Politiker vor allen Dingen eines erwarten: eine Frau, die direkt und schnörkellos durch die Trak­tanden führen wird und pragmatisch genug bleibt, um in speziellen Situationen Lösungen zu finden. Auf sie ist Verlass. Das weiss auch Kyra, die wedelnd und tänzelnd mitläuft, als ihre Besitzerin wieder nach draussen geht. Manchmal ist es eben ganz gut, wenn eine Politikerin sagt: «Eigentlich bin ich gar keine Politikerin.»

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