Applaus hallt durch die leeren Korridore, in der Aula verneigen sich die Schülerinnen und Schüler geordnet. Nach der ersten Euphorie setzen sich alle schweigend und konzentriert an den Bühnenrand. Die soeben beendete Vorstellung ist ein erster Durchgang, noch gilt es nicht ernst. Trotzdem ist die Spannung hoch: Wie wird die Rückmeldung ausfallen? Denn im Publikum sitzen noch nicht Eltern, Freunde und Verwandte, sondern die Coaches der Jugendlichen. Corinne Bachmann und Michael Burren, die beiden Lehrkräfte der Klassen, und Thaddy Spörri, Schauspieler und Theaterpädagoge. Er führt dieses Jahr Regie und treibt die Jugendlichen mit strenger, aber konstruktiver Kritik zu Höchstleistungen an.
Entscheidung der Klasse
Das Abschlusstheater gehöre in Niederscherli zur Tradition, erklärt Corinne Bachmann. «Es ist ein Geschenk, das die Jugendlichen ihren Eltern machen können», erklärt sie, «ein Projekt, das sie zusammen auf die Beine stellen und sie zum Schulabschluss noch einmal zusammenschweisst.» Normalerweise führt sie selbst Regie und koordiniert die Arbeiten rund ums Projekt. Dieses Jahr wagte sie sich zusammen mit Michael Burren an eine neue Vorgehensweise. Burren war es auch, der die Idee zur Sprache brachte, einen Profi mit ins Boot zu holen. Die Schülerinnen und Schüler konnten nach einem ersten Treffen mit dem Theaterpädagogen als Gruppe entscheiden, ob sie die Zusammenarbeit wollen oder nicht. Der Fall war schnell klar, eine grosse Mehrheit wollte den Versuch wagen und damit fiel der Startschuss für eine intensive und anstrengende Zeit. Denn wo Thaddy Spörri den Lead übernimmt, ist es mit Text auswendig lernen und aufsagen längst nicht getan.
Selber erschaffen
In der Vorbereitung schaute sich Spörri erst einmal an, wie die Jugendlichen auf Theater- und Improvisationsübungen einstiegen. «Ich sehe sehr schnell, was ich mit den Schülern machen kann», verrät er. Die beiden Klassen überraschten ihn mit einer ganzen Palette an positiven Voraussetzungen – Feuer, eigene kreative Ideen, Spielfreude. Für Spörri war schnell klar, dass er diesen Jugendlichen viel zutrauen kann. Wieso nicht gleich Shakespeares «Sommernachtstraum»? Die Besetzung der einzelnen Rollen hatte der Regisseur bei der Stückwahl bereits im Kopf, die Jugendlichen akzeptierten die Entscheidung ohne Murren. «Wir hätten uns das nicht getraut», lacht Corinne Bachmann, «wir hätten es mit den Schülerinnen und Schülern ausgehandelt.» Zugeteilte Rollen, Textbuch, los – könnte man meinen. Doch auch hier geht Thaddy Spörri einen eigenen Weg mit dem jungen Schauspielensemble. «Es kommt kein Text von mir», so der Regisseur. Die Jugendlichen erarbeiten das Stück Szene für Szene selbst, improvisieren, probieren aus, fassen Shakespeares Rahmenhandlung in eigene Worte und feilen am Text, bis alles sitzt. Immer wieder geben die Schauspielerinnen und Schauspieler ihr Bestes, immer wieder kommen Verbesserungsvorschläge von Spörri. Anschaulich, aber sehr direkt. «Er verlangt viel, die Messlatte ist hoch», sagt Corinne Bachmann, «aber er erreicht damit auch viel.» Falls nötig springen die beiden Lehrkräfte als Coach ein, bauen die Jugendlichen auf und motivieren sie. Meist keine schwierige Aufgabe, die Teenager sind mit viel Herzblut dabei.
Grosse Disziplin
Nicht nur Herzblut, sondern auch eine grosse Portion Disziplin bringen die jungen Schauspielenden mit. «Ich arbeite mit rund dreissig Personen und alle hören zu», ist Thaddy Spörri beeindruckt. Konzentration, die es in der komplexen Handlung des «Sommernachtstraum» zwingend braucht – Timing ist alles, sowohl auf der Bühne wie auch bei Licht und Ton. Wirklich Sorgen bereiten diese kleinen Widrigkeiten Spörri aber nicht: «Es ist ein grosses Geschenk, dass ich mit diesen Jugendlichen Theater, ja Kunst machen kann und sie das auch wirklich wollen.» Selbstverständlich ist dieses Engagement nicht, schliesslich stehen andere Aktivitäten bei Jugendlichen hoch im Kurs. Genau das ist für Spörri einer der Gründe, um mit Schülerinnen und Schülern Theater zu machen: «Weg vom Computer, weg vom TV, weg vom Handy.» Theaterspielen heisst Auftritts- und Sozialkompetenz lernen, Selbstvertrauen aufbauen, selber kreieren. «Man sieht, dass die Jugendlichen gewöhnt sind, dass alles auf Papier daherkommt», stimmt Michael Burren zu, «jetzt muss alles aus ihnen selbst kommen.»
Es ist immer noch still in der Aula, sechzig Augen blicken aufmerksam zu Thaddy Spörri. Dieser gibt das erste Wort den Jugendlichen – wie schätzen sie sich selbst ein? Kritik, Lob, Vorschläge, Einwände wechseln sich ab und nach einer verdienten Pause ist klar: Einzelne Szenen noch einmal üben, Text wiederholen, in diesen Dialog noch mehr
Power bringen. Action.