Emotionen, Eltern und Eliten

Emotionen, Eltern und Eliten

Zwei Jahre lang können leistungsstarke Schülerinnen und Schüler die Spez-Sek Lerbermatt besuchen. Anstelle einer Spez-Sek in einem der anderen Oberstufenzentren der Gemeinde. Eine Ausnahme. Aber bei manchen eine beliebte, wie die Initiative zeigt, welche sich für den Erhalt des Angebots einsetzt.

Denn im Parlament war es beschlossene Sache: die Lerbermatt als Sonderfall muss weichen, damit Köniz wie alle anderen Gemeinden auch mit durchlässigen Oberstufenklassen arbeitet und an den verschiedenen Oberstufen Spez-Sek-Klassen anbietet. «Das System der Oberstufenzentren ist super, weil alle ihrem Niveau entsprechend unterrichtet werden. Die Idee der Volksschule fördert zudem die sozialen Kompetenzen, eine Durchmischung stärkt das Verständnis einer Gesellschaft und das ist Bestandteil der Bildung», betont Rahel Gall (SP). Die Parlamentarierin ist eine ausgewiesene Bildungspolitikerin.

Bildungsvielfalt

Das klingt einleuchtend. Dennoch wehren sich viele Menschen gegen die Schliessung der Spez-Sek Lerbermatt. Seit Längerem gibt es den Verein Pro-Spez-Sek Lerbermatt. Präsident Lutz Collet relativiert denn auch das Argument der Bildungsexpertin: «Auch die Lerbermatt ist ein Volksschulangebot; alle mit entsprechenden Noten dürfen dorthin gehen. Es zeichnet sich für mich durch ein förderliches Zusammenspiel aus Strukturen, Lehrern, Schülerschaft aus. Es ist so attraktiv, dass pro Jahr zwei bis drei Klassen eröffnet werden», gibt er zu bedenken. Der ehemalige Berner Stadtrat Pascal Rub (FDP) ergänzt: «Integrative Schulmodelle erzeugen eine Nivellierung nach unten, das zeigt die Stadt Bern.» Die Initianten werben deshalb mit dem Schlagwort «Bildungsvielfalt». Daran stört sich Gall: «Das ist wie eine Mogelpackung, weil ja genau das durchlässige System diese fördert. Die Lerbermatt erinnert eher an eine vermeintliche Eliteschule.» 

Die Rolle der Eltern

Nicole Amacher ist Mutter von Spez-Sek-Schülerinnen. Sie versteht diese Argumentation nicht: «Für mich als Mutter ist genau das die Wahlfreiheit. Kinder können wählen, ob sie an die Lerbermatt gehen wollen oder eines der Angebote an den Oberstufen nutzen möchten.» Die Initiaitve wird von einer Gruppe Eltern unterstützt, welche die Lerbermatt erhalten wollen und um den Verlust eines starken Angebots bangen. «Deshalb wird das Thema so emotional diskutiert. Fachleute sehen in der Lerbermatt keinen Mehrwert, die Spez-Sek-Schüler der Oberstufen kommen problemlos ins Gymnasium und machen die Matura», betont Monika Röthlisberger (Grüne). Sie war fünf Jahre in der Schulkommission, hatte zwei Töchter in der Spez-Sek Lerbermatt und positioniert sich in dieser Frage anders als Lutz Collet. Und was halten ihre Töchter davon? «Zugegeben, das haben sie nicht von Beginn weg verstanden; aber seit sie wissen, dass an den Oberstufen mit den gleichen Ressourcen mehr Schüler und Schülerinnen Zugang zu Spez-Sek-Unterricht haben, sieht es anders aus», sagt Röthlisberger mit einem Lächeln und ergänzt: «Zudem darf die Jüngere der beiden erstmals abstimmen und muss gleich über die Zukunft der Lerbermatt entscheiden.»

Ressourcen-Kampf

Würden die Eltern und Kinder, die sich für die Spez-Sek einsetzen, die Abstimmung gewinnen, hätten dann die Parlamentarier nicht am Volk vorbei politisiert? «In diesem Fall denke ich das ehrlich gesagt», meint Collet. «Das Parlament versteht nicht, wie attraktiv viele Eltern und Jugendliche dieses Modell finden. Im Parlament ging es nicht darum, Lösungen zu finden, das zeigt die bisherige Diskussion, auch um das Abstimmungsbuch, sondern Ideologie und Prinzipien. Die Abschaffung der Lerbermatt stand stets im Vordergrund. Irgendwie ging es nie darum herauszufinden, was man aus der Lerbermatt lernen kann, gerade für Standorte, von denen die Schülerschaft Richtung Lerbermatt abwandern.» ergänzt er. «Wenig», so Röthlisberger, denn «die Oberstufen bieten alles, was die Lerbermatt bietet und die Leistungsstarken können sich dort auch mit ihresgleichen messen. Wer zum Beispiel einmal in Wabern den Unterricht besucht und sieht, wie die Schülerinnen selbstständig, motiviert und engagiert  lernen, dann beeindruckt das», sagt die Grüne Parlamentarierin weiter. Ohne auf pädagogische Konzeptdiskussionen zurückzufallen entgegnet Pascal Rub: «Wir sind überzeugt, dass ein System, das nach 25 Jahren so viele Kinder erfolgreich begleitet hat, gut funktioniert. Das Schulsystem läuft am Rand und ein funktionierendes Modell sollte man nicht einfach abschalten.» «Doch. Gerade die unnötige Doppelspurigkeit mit der Spez-Sek Lerbermatt belastet unsere Schulen. Es ist nämlich eine Frage der Ressourcen», kontert Rahel Gall. Die Lerbermatt nimmt den anderen Oberstufen Ressourcen weg, das führt mitunter zu schwierigen Folgen. Im Sternenberg gibt es manchmal gar keine Spez-Sek-Klasse mehr, in Niederwangen musste eine Stelle abgebaut werden und im Spiegel hat man ein eigenes Schulmodell erfunden, das nun nicht umgesetzt werden kann, weil die Jugendlichen aus diesem Gemeindeteil mehrheitlich an die Lerbermatt gehen. Also doch eine Eliteschule – vom Spiegel an die Lerbermatt? «Nein», entgegnet Nicole Amacher. «Es darf doch auch etwas für jene Schülerinnen gemacht werden, die gerne lernen und sich schon lange wünschen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Das hat nichts mit Elite zu tun, sondern mit ganz normalen Bedürfnissen von gewissen Jugendlichen. Offensichtlich reicht ja hier das Schulmodell Spiegel eben nicht aus.»

Dass die Lerbermatt ein gutes, funktionierendes Angebot hat, ist Fakt. Dass aber das neue, durchlässige Schulmodell mancherorts in Köniz nie eine Chance erhalten hat, zu beweisen, wie es funktioniert, halt eben auch. Die Frage muss deshalb lauten: was nützt den jungen Menschen in Köniz mehr? Wenn die Lerbermatt ihr Angebot weiterhin anbieten darf oder das durchlässige Modell sich wie in allen anderen Gemeinden im Kanton auch ungestört entfalten darf? Die Antwort auf dem Stimmzettel ist dann ganz ohne Emotionen, Eltern und Elitefragen ein nüchternes Ja oder Nein.

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