Erwerbslos ab 50: Neue Armut im Alter?

Erwerbslos ab 50: Neue Armut im Alter?

Der Anlass «Erwerbslos ab 50: Neue Armut im Alter?» bestätigte es: Die Thematik ist vielschichtig und stark politisch geprägt. Es steckt eine hohe gesellschaftspolitische Brisanz darin. Und es gibt kein Patentrezept.

Britta Hildebrandt ist Sozialdiakonin der Thomaskirche in Liebefeld. Sie organisierte und moderierte den Anlass. In ihrer Einführung erwähnt sie die Projekte für Langzeitarbeitslose, die von der Kirchgemeinde durchgeführt werden. Dabei, so Britta Hildebrandt, gelinge es immer wieder, eine isolierte, gar verborgene Gruppe von Menschen anzusprechen. Dabei seien die materiellen Aspekte von Arbeitslosigkeit nur das eine. Oft überwiege der psychische Faktor, das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Dass es gar nicht so weit kommen sollte, darüber ist man sich einig. Nicht nur an diesem Anlass.
Allerdings: Was lässt sich dagegen tun? Ein Rezept kann niemand präsentieren, natürlich nicht. Auch nicht Heidi Joos. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins 50plus outIn work, einer gemeinnützigen Lobby-Organisation. Diese vertritt die Interessen von Erwerbslosen und Ausgesteuerten. Und von denjenigen, die von Altersdiskriminierung betroffen sind. Diskriminierung? Die amtlichen Statistiken sagen doch aus, dass die Älteren weder als Erste entlassen werden noch eine hohe Quote als Arbeitslose darstellen. Ja, führt Joos aus, allerdings weise eine Studie darauf hin, dass die Zahl der Erwerbslosen ab 50 Jahren markant steige und längerfristig eine sehr hohe Anzahl Menschen nicht mehr im Arbeitsprozess sein werden. Obschon sie noch könnten. Diskriminierung deshalb, weil die Altersstaffelung im Gesetz der beruflichen Vorsorge die Lohnnebenkosten so stark beeinflusse, dass die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sinken.
Dessen ist sich auch Lydia Studer bewusst. Wo sieht sie als Leiterin Recht in der Oberaufsichtskommission der Beruflichen Vorsorge mögliche Ansätze? Die Reform der Altersstaffelung bezeichnet sie als einen ersten Schritt. Aus ihrer Sicht müssen die Voraussetzungen für Frauen in der Arbeitswelt stark gefördert werden. Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde dazu führen, dass die Zahl der Wiedereinsteigerinnen auf dem Arbeitsmarkt zugunsten von durchgehend arbeitenden Frauen sinkt. Diese würden so eine berufliche Laufbahn analog derjenigen der Männer absolvieren. Das heisst, sie bleiben während der gesamten Lebensarbeitszeit dem Arbeitsmarkt erhalten. Und damit auch als Einzahlende in die berufliche Vorsorge. Mit der Situation der Frau auf dem Arbeitsmarkt setzt sich auch Claudia Lehnherr auseinander. Sie ist im Vorstand der Beratungsstelle fraw (frau arbeit weiterbildung). Wesentlich ist für sie, dass neue Standort-Bestimmungen im Leben einer Frau häufiger passieren als bei Männern. Veränderungen im privaten Leben nach einer Scheidung und die Aufgabe als alleinerziehende Person, beispielsweise. Die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt wird dadurch schwieriger, fährt Claudia Lehnherr fort, gerade für die Älteren.

«Kündigungsschutz gefährlich»
Ist der Arbeitsmarkt überhaupt bereit für ältere Arbeitnehmer? Rudolf Strahm, Ökonom und Alt-Nationalrat, scheut sich nicht, als Sozialdemokrat auch die Forderungen aus dem linken politischen Spektrum zu hinterfragen. So erachtet er die Forderung nach einem Kündigungsschutz für Leute über 50 als sehr gefährlich. Weil solche dadurch erst recht nicht eingestellt würden. Hingegen – und trotz Personenfreizügigkeit – ist er ein Verfechter eines flexiblen Inländervorrangs. Dieser biete Spielraum für die Firmen und könne dazu beitragen, dass diese weniger im Ausland rekrutieren. Was sich für Arbeitnehmer ab 50 positiv auswirken wird, ist er überzeugt.

Wie weiter?
Gibt es griffige Massnahmen, um die Chancen für die Betroffenen zu erhöhen? Die Diskussion mit dem Publikum macht deutlich, wie fragil und komplex das
Gebilde aus sachlichen und psychischen Faktoren ist. Und wie stark sich Interessensvertretungen bemerkbar machen. Vielleicht, Herr Strahm, die Erhöhung des Rentenalters? Unrealistisch, findet er, weil die Menschen im Durchschnitt bereits jetzt früher in Pension gehen als das Pensionsalter vorsieht. Braucht es viel mehr Ansätze, die visionär anmuten? So einen skizziert Heidi Joos: Bei erfolgreichen Projekten in skandinavischen Ländern werden in den Firmen die HR-Abteilungen ausgeschaltet, die Teams rekrutieren die neuen Kollegen selbstständig. Da auch ältere Mitarbeitende Teil dieser Gruppe sind, steigt naturgemäss die Solidarität, der Anteil Gleichaltriger steigt. Jedenfalls, ist man sich im Podium einig, die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei. Die Gesellschaft verändert sich, der Zeitpunkt zum Umbruch ist da. Wann, wenn nicht jetzt?

Teilen Sie diesen Bereich

Beitrag:
«Erwerbslos ab 50: Neue Armut im Alter?»

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt

Datenupload

Der einfachste Weg uns Ihre Daten zu senden!

Werbeberatung

Schritt 1 von 2