Dass man sich einbringen – und manchmal, sinnbildlich gesprochen, auch kämpfen muss – wenn man anderswo einen neuen Lebensmittelpunkt aufbauen möchte, hat das Ehepaar Garweg Anfang der 90er-Jahre selbst erlebt. Die Integration in der Schweiz, bei den Bernern, war am Anfang eine Herausforderung. «Vor allem wegen der Sprache: ‹Bei: Weiter a Sack u e Hudu› oder ‹dir müesst zur Chrüzig go, de rächts, ude dunge ichefahre…›, obwohl im gemächlichen Tempo gesprochen, verstanden wir nur Bahnhof», so Silvia-Daniela Garweg, die heute in Wabern das Institut für Integrative Medizin leitet. Doch nach über 30 Jahren fühlen sich die Garwegs, die zwei erwachsene Kinder haben, sehr heimisch, pflegen enge Freundschaften und schätzen die Lebensqualität, das Spazieren an der Aare oder Wandern in den atemberaubenden Alpen, z.B. im Diemtigtal oder beim Hexenkessel im Kiental.
Sehr engagiert – seit Jahren
Im Beruf hat Justus Garweg – seine erste Station in der Schweiz, 1991: Oberarzt bei der universitären Augenklinik Bern, Schwerpunkt Retinologie – immer schon ein hohes Pensum gehabt. Seit 2006 leitet er die Berner Augenklinik und hat in den letzten 10 Jahren nebenbei auch die Fortbildung der Berner Augenärzte organisiert sowie Qualitätskontroll-Standards im Bereich vitreoretinaler Intervention etabliert. Dass er und seine Frau im 2015 auch noch die Förderstiftung Fight4Sight gründeten, hat im Wesentlichen folgenden Auslöser: «Ein Besuch und die ehrenamtliche Tätigkeit im grössten Flüchtlingslager im Libanon haben mich mächtig beeindruckt. Man bedenke, der Libanon hatte schon damals keine funktionierende Infrastruktur, 4,5 Mio. Einwohner – davon waren 1,5 Mio. Flüchtlinge aus Syrien und Palästina. Zusammenrücken auf Kosten der eigenen Bewegungsfreiheit. Das nenne ich Gastfreundschaft!», so Justus Garweg tief berührt, und fügt an: «Es ist ein grosses Glück, in der Schweiz leben zu dürfen. Von diesem Glück wollen wir etwas weitergeben. Es liegt uns besonders am Herzen, Menschen, die in einem menschenunwürdigen Umfeld leben, zu helfen, eigene und bessere Perspektiven zu entwickeln.» Seit 2015 hat die Stiftung Fight4Sight in 16 Ländern, in den ärmsten Regionen der Welt, 36 Projekte unterstützt. Das neuste Projekt startete 2023 in Uganda.
Eines der ärmsten Länder
In Uganda leben 16 von 46 Millionen Menschen in extremer Armut (< 2,15 Dollar pro Tag). Hohes Bevölkerungswachstum, hohe Flüchtlingszuströme im Norden (aus Südsudan, Somalia), Monokulturen, extreme Entwaldung und Bodenerosion verschärfen die Nahrungsmittelknappheit im ganzen Land. Das ostafrikanische Binnenland steht gemäss Index der menschlichen Entwicklung (HDI_2022) auf Platz 166 von 189 Ländern. Der Index berücksichtigt u. a. Indikatoren wie reale Kaufkraft pro Kopf, Lebenserwartung bei Geburt, Alphabetisierungsrate, oder Bildungsniveau.
Regeneratives, hochproduktives System
Diesen April begann das Bethany Land Institute, das «Future Leaders in Integral Ecology» ausbildet, im Auftrag der Stiftung Fight4Sight, zusammen mit erfahrenen Beratern mit dem Aufbau eines systematischen, regenerativen und vor allem hochproduktiven Agroforstkonzeptes. Auf dem 100 Hektaren grossen BLI-Campus, der in Nandere (ca. 50 km nördlich von der Hauptstadt Kampala) liegt, wurde eine Hektare Land als Demofläche vorbereitet und hochverdichtet bepflanzt. Bedürfnisgerecht wurden in verschiedenen Distanzen, Ansätzen und Kombinationen in und zwischen den Baumreihen Früchte, Futter, Brenn- und Brauchholz, Gemüse, Medizinalpflanzen und die wichtigsten Feldfrüchte (Mais, Bohnen, Linsen) angebaut. Dabei soll aufgezeigt werden, wie die Wasser-, Kohlenstoff/CO2- und Nährstoffkreisläufe – die entscheidenden Grundlagen bei einer nachhaltigen Landwirtschaft – regeneriert und zur natürlichen Funktion gebracht werden können. Gleichzeitig werden die wichtigsten Prinzipien von Agroforstsystemen sichtbar gemacht: hohe Biodiversität, Verdichtung/Beschleunigung des Wachstums, Stratifikation (Schichtung), natürliche Pflanzennachfolge und Pestkontrolle, ganzjährige Bodenbedeckung und Photosynthese, Reproduktion des Pflanzenmaterials.
Bis nächsten Frühling liegen die Arbeitsschwerpunkte auf der Erhebung von Daten in den für das Projekt ausgewählten Schulen und Dörfern sowie der Vervielfältigung von Pflanzenmaterial, damit bei der nächsten Regenperiode im März, April das regenerative Agroforstsystem beim Bethany Land Institute auf einer grösseren Fläche skaliert und in den Schulen und Gemeinden mit dem Aufbau der Agroforesty-Demoplots begonnen werden kann. Die Projektleitung vor Ort haben der Einheimische Lucky Mukasa und Roland Frutig inne. Letzterer ist ein Berner Jurist und Agroforst-Experte, der in Afrika und Asien Hilfsprojekte – teilweise zusammen mit Universitäten und Forschungsinstituten – aufbaut und dabei junge, bildungshungrige Menschen unterrichtet und befähigt, eine eigene wirtschaftliche Zukunft aufzubauen.
In grossen Dimensionen skalierbar
Innerhalb von drei Jahren sollen gemäss Fight4Sight-Projekthauptziel in den Distrikten Luweero, Nagaseke und Nakasongola in 36 Schulen Gärten zur Nahrungsmittelproduktion und als Schulungsgärten und in 15 Dörfern jeweils 1000m² grosse Agroforst-Demoflächen aufgebaut werden. Zusätzlich werden die Dorfbewohnenden geschult und befähigt, das regenerative und hochproduktive Agroforstsystem selbständig weiter zu entwickeln und zu vergrössern. Ray Archuleta, ein renommierter Experte für bodenregenerative Landwirtschaft, der im Oktober den BLI-Campus besichtigte, ist begeistert von den Fortschritten, vom starken und dichten Pflanzenwachstum und von der Biodiversität auf dem Demofeld. «Dieses hochproduktive Agroforestry-Konzept sollte man im ganzen Land verbreiten», meinte Archuleta und fügte an, dass er bereits mit dem Bischof darüber gesprochen habe und das kirchliche Oberhaupt bereit sei, sich für das Fight4Sight- und BLI-Projekt zu engagieren, damit es in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden könne (Anmerkung des Redaktors: Die katholische Kirche in Uganda besitzt viel ungenutztes Land und betreibt viele Schulen). Das Ehepaar Garweg sowie Mitarbeitende der Berner Augenklinik arbeiten ehrenamtlich für die Stiftung Fight4Sight, für den Aufbau von Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekten in Gebieten, wo extreme Armut herrscht, mit der Überzeugung, dass es wichtig ist, hinzusehen und für eine «bessere» Welt zu kämpfen.
Online Spenden
