Frauen an die Macht

Frauen an die Macht

Es ist selten, dass die Politik schneller ist als die Wirtschaft. Doch bei der Gleichstellung von Frauen scheint genau dies einzutreffen. Weibliche Führungskräfte sind in Firmen nach wie vor selten; zu selten. Ein Blick in regionale Unternehmen zeigt, dass es durchaus anders geht.

Als 66% der Männer schliesslich vor 50 Jahren «Ja» sagten zum Frauenstimmrecht, war das gleichbedeutend mit einem Start in eine neue Epoche. Die Frauen sind aus ihrer Rolle im Hintergrund herausgetreten. Ein gesellschaftlicher Wandel hat begonnen. Vorkämpferinnen wie eine Christiane Brunner oder Ruth Dreyfuss haben den politischen Weg geebnet. Das Gleichstellungsgesetz im Jahre 1996 beschleunigte die Entwicklung; zumindest politisch. Denn offenbar heisst gleichgestellt nicht vorangestellt. In den Chef-Etagen der Firmen sieht es vielerorts noch so aus wie vor 50 Jahren. Der Direktor sitzt in der Firmenleitung, die Frau am Empfang. Je nach Statistik und Betrachtungsweise haben gerade mal zirka 20% der Unternehmen eine Frau in einer Führungsposition. «Es ist deshalb wichtig, die positiven Beispiele in den Vordergrund zu stellen und von ihnen zu lernen», rät Julia Kalenberg, eine erfahrene Unternehmensberaterin, Netzwerkerin bei «Business & Professional Women BPW» und Co-Vizepräsidentin der Fachkommission für Gleichstellung Kanton Bern.

Rollen und Stereotypen
Ein solches Beispiel ist Carmen Angstmann. Sie ist die Direktorin des Betagtenzentrums Laupen und führt rund 200 Mitarbeitende. «Seit 35 Jahren bin ich in Führungspositionen und seither hat sich nur wenig verändert. Erstaunlich, weil ich in einem Bereich arbeite, in dem der Frauenanteil bei 80 bis 90% liegt», stellt sie fest. Sie sieht einen Grund dafür in den Stereotypen und Rollenvorstellungen. «Es wird einem nicht ganz einfach gemacht, gerade wenn man an eine Familie denkt; es hat aber auch mit der Förderung und Erziehung zu tun», vermutet sie. Kalenberg drückt es ganz ähnlich aus: «Die Rollenbilder sind nach wie vor zu stark vorhanden. Beim nationalen Zukunftstag will man dem entgegenwirken, in dem Jungen und Mädchen die Seiten wechseln.» Seit dieser neuen Epoche sind zahlreiche vermeintlich typische Frauenberufe entstanden. In einem davon arbeitet Salome Riesen. Sie leitet zusammen mit ihrem Ehemann eine Drogerie in Riggisberg und Wichtrach mit rund 20 Angestellten. «Vor 50 Jahren gab es praktisch ausnahmslos nur Männer in unserem Beruf. Heute sind es fast nur Frauen. Ich würde mir mehr Durchmischung wünschen». Die Berufswahl ist Teil des Rollendenkens, Richtung Männer- und Frauenberufe. Ziehen wir deshalb eine Frau hinzu, die früher einmal Coiffeuse war und nun in einer regelrechten Männerdomäne ein Team führt: Sara Marti-Habegger. Sie ist bei den MARAG Garagen AG in Toffen und Wabern in der Geschäftsleitung und Mitinhaberin. «Einen Familienbetrieb zu leiten bedeutet auch, dass die strikte Trennung von Privat und Arbeit nicht möglich ist. Das Thema ist omnipräsent, unsere Kinder wissen deshalb genau, was wir tun, begleiten uns in den Betrieb und wachsen wie selbstverständlich damit auf.» Dass Mama Autos verkauft, ist für sie also so selbstverständlich wie kochen oder bei den Hausaufgaben zu helfen. Genauso so geschieht das bei Salome Riesen und ihrem Mann. Diese Kinder kennen weder Rollenbilder noch Stereotypen.

Vereinbarkeit
«Rollenmodelle sind historisch gewachsen. Jedes Paar oder jeder Mensch mit Erziehungsaufgaben muss sich bewusst sein, was vorgelebt wird, Erziehungsaufgaben und Haushalt partnerschaftlich zu teilen, etwa», gibt Kalenberg zu bedenken. Riesen und Marti-Hab­egger teilen sich die Verantwortung mit ihren Ehemännern. Beide haben aber ihr Pensum in den jungen Jahren ihrer Kinder reduziert. Also doch ein typisches Rollenbild? «Ich möchte die Kinder nicht fremdbetreut haben, sondern bewusst miterleben und für sie da sein», begründet Marti-Habegger ihre Entscheidung. Riesen teilt diese Sichtweise weitestgehend. Zwar nutzt sie die Tagesschule, weist aber auch darauf hin, dass mit den Arbeitszeiten in Führungspositionen die Öffnungszeiten der betreuten Plätze oft noch nicht gut harmonieren. Für sie ist es aber durchaus natürlich, dass eine Mutter möglichst viel Zeit mit den Kindern verbringen möchte. «Ich kenne Familien, in denen beide 80% arbeiten. Mir persönlich wäre das aber zu wenig Zeit für die Kinder», gibt sie zu. Bei Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist es oft so, dass Frauen reduzieren; durchaus aus eigenem Antrieb. Wo Riesen und Marti-Habegger mit eigenen Betrieben nahtlos wieder anknüpfen können, gestaltet sich diese Pause in grösseren Unternehmungen schwieriger. «Da bist du weg vom Fenster. Angebote, um beides unter einen Hut zu bringen, mehr Krippenplätze mit geeigneten Öffnungszeiten, Modelle, um führen zu können, ohne 100% zu arbeiten, da gibt es noch viel zu tun», findet Angstmann und ergänzt: «Die Partnerschaft hat in meinem Fall durchaus gelitten, vor allem in jener Zeit, als ich zudem noch Präsidentin der Vormundschaftsbehörde war.»

Selbstzweifel
Partner und Firmen müssen die Rollenbilder überwinden. Solange «braucht es Biss und Durchhaltewillen», weiss Angstmann. Etwas, was sie als eine der wenigen Frauen in einer solchen Führungsposition über Jahrzehnte bewiesen hat. «Traut euch etwas zu», muntert sie die Frauen auf. Eine einfache Aufforderung, hinter der doch so viel steckt. «Wir brauchen Frauen, die andere animieren und ermutigen. Mentorinnen», appelliert Kalenberg. Wie wichtig diese Unterstützung ist, verdeutlicht eine Aussage von Marti-Habegger: «Ich dachte immer, ich muss alles erklären können, alles wissen. Perfekt sein in Beruf, Familie, Haushalt und dazu noch gut aussehen.» Diese Zweifel kennen alle vier nur allzu gut. Bei Marti-Habegger war es der Mann, der den Druck wegnehmen konnte. «‹Das kannst du, ich glaube an dich›. Solche Aussagen hören junge Frauen oft noch viel zu wenig», sagt Angstmann. Riesen glaubt auch einen Grund in diesen Selbstzweifeln zu sehen, weshalb die Lohngleichheit noch nicht selbstverständlich ist: «Manche verdienen weniger, weil sie weniger fordern und sich weniger zutrauen.»

Belastung
Der Mann schaut in den Spiegel, sieht sein Bäuchlein, klopft sich drauf und meint: passt schon. Die Frau hingegen seziert jede Problemzone minuziös auf kleinste Veränderungen. Ja, auch ein Stereotyp; auch eines, das besiegt werden sollte. Männer können von Frauen profitieren und umgekehrt. Gleichstellung wäre eine gute Durchmischung von Männern und Frauen im Arbeitsumfeld, damit man eines Tages nicht mehr sagen muss: Das ist eine weibliche Führungskraft, sondern eben nur noch eine Führungskraft. Bis es so weit ist, braucht es Frauen wie Sarah Marti-Habegger, Carmen Angstmann und Salome Riesen, die als Mentorinnen den Weg für viele weitere Frauen ebnen. Im Falle der MARAG gibt es da schon viele Erfahrungswerte. Als die Schwiegermutter Elisabeth Marti schon vor Jahrzehnten mit ihrem Mann Rudolf begann, Autos zu verkaufen, hörte sie noch die Sprüche, ob man hier denn gar nicht bedient werde, weil kein Mann zugegen war. Heute wird ihre Beratung beim Autokauf explizit von Kunden gewünscht. Heute arbeiten in der Carosserie vornehmlich Frauen und heute teilen sich Sohn Rudolf Patrick und Schwiegertochter Sara die Verantwortung und vereinen damit Familie und Beruf. Für jene, die noch nicht in einem Betrieb arbeiten, der diese Selbstverständlichkeit an den Tag legt, mag Angstmann als Beispiel dienen. «Solch dumme Sprüche wie: ‹Hast du gerade deine Tage?› können mich nicht provozieren. Ich weiss, dass ich dieselbe Kompetenz habe wie sie. Ich habe Biss und Durchhaltewillen.» Und für alle, denen es schwerfällt, die Selbstzweifel abzuschütteln, denen verrät die französische Feministin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir: «Niemand ist den Frauen gegenüber arroganter, aggressiver oder verächtlicher als ein in seiner Männlichkeit verunsicherter Mann.»

Dem wäre eigentlich fast nichts mehr hinzuzufügen. Mit Betonung auf fast. «Die Vergangenheit zeigt, dass die vorhandenen Gesetze nicht genügen und dass wir nach 50 Jahren noch immer keine Gleichstellung haben. Es bräuchte noch weitere Jahrzehnte. Ich denke, es braucht deshalb eine Quote, damit alle die grossartige Chance erleben, wenn ein gut durchmischtes Team die Geschicke einer Firma leitet», glaubt Kalenberg. Keine Quotenfrau, sondern ein Quotenteam. Auf zur Gleichstellung. Frauen an die Macht. Und wer auf dem Weg zur Gleichstellung spicken muss, der darf einen Blick ins Betagtenzentrum Laupen, die MARAG Garagen oder die Drogerie Riesen werfen. Beispiele aus der Region, die zeigen, dass Frauen in Führungspositionen weder eine Frage der Firmengrösse noch der Verfügbarkeit sind, sondern einzig und allein des (Durchhalte-)Willens.

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