Mit einem Lächeln öffnet Shadi Momeni die Türe. Die Begrüssung, auch von ihrem Bruder Shahriar und ihrem Vater Farshad, ist herzlich und mit einem Händeschütteln – mit Verlaub – ziemlich schweizerisch. Mitten in Mittelhäusern, eine unscheinbare Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Von hier aus pendelte Shadi Momeni täglich nach Huttwil, um ihre Lehre als Fachfrau Gesundheit in einer Demenzabteilung zu absolvieren.
Was niemanden interessiert
Dann kam er, jener Brief vom Kanton Bern an die Arbeitgeberin, der verlangte, dass Shadi Momeni sofort die Lehre abbrechen muss. Der Grund: ein negativer Asylentscheid, den sie zuvor (Ende 2023) erhalten hatte. Shadi Momeni hat per Brief angefragt, ob sie die Lehre dennoch antreten dürfe, die Absage kam, nachdem sie die Lehre schon begonnen hatte. Die Arbeitgeber wehren sich – vergeblich. Es folgen weitere Briefe vom ehemaligen Gemeinderat Thomas Brönnimann. Sie zeigen auf, welch ausserordentliche Leistung Shadi Momeni erbracht hat. Als eine von wenigen schafft sie es, eine EFZ-Lehre zu starten. Sie ist beliebt, integriert und sprachgewandt. Doch Sie ahnen es. Aus behördlicher Sicht tut dies nichts zur Sache. Massgebend für den Migrationsdient ist einzig der negative Entscheid. «Ob eine Person in der Schweiz Asyl erhält, entscheidet das Staatssekretariat für Migration (SEM) unter Berücksichtigung von asylrelevanten Gründen und nicht aufgrund ihres Verhaltens in der Schweiz. Es steht nicht in der Kompetenz der Kantone, die Verhältnismässigkeit des Entscheides des SEM zu prüfen oder in Frage zu stellen», schreibt das Amt für Bevölkerungsdienste (ABEV) auf Anfrage. Niemand interessiert es also, dass die Deutschkurse den beiden Geschwistern nicht ausgereicht haben und sie mit YouTube selbstständig mehr gelernt haben, um das Niveau B2 zu erreichen. Bruder Shahriar ist demnächst an den Prüfungen für das Niveau C1. Niemand interessiert es, dass Shadi Momeni bei den Bewohnenden in Huttwil so beliebt ist, dass alle fragen, wo denn die nette Frau geblieben ist. Niemand interesiert es, dass Shadi eigentlich studieren könnte, aber sich extra für eine Berufslehre in einem Bereich stark gemacht hat, in dem die Schweiz dringend Fachkräfte benötigt. «Wenn ich arbeite, kann ich mehr für dieses Land machen, das mich aufgenommen hat. Ich kann ihm etwas zurückgeben», sagt sie.
Sicher? Sicher nicht
«Sicher.» Es ist das erste Wort, das Shadi Momeni zückt, um die Schweiz zu beschreiben. Nicht die Berge, nicht die Schokolade, nicht das Postkartenidyll, nein es ist die Sicherheit. Wer aus dem Iran flieht, der flieht vor Folter, Todesstrafe und einer Revolutionsgarde, die Angst und Schrecken verbreitet. Frauen, die sich bilden, leben besonders gefährlich. Eine Flucht vor der Angst hin zur Sicherheit. Das SEM will nun die Rückführung in ein Land, das die Menschenrechte schwerwiegend verletzt. Und das stellt nicht etwa ein kleiner Regionaljournalist fest, sondern immerhin die UNO. Über 300 Geflüchtete aus dem Iran leben derzeit mit einem Wegweisungsentscheid in der Schweiz. Viele von ihnen in der Nothilfe. Klar, denn eine Zwangsrückführung verstösst gegen das völkerrechtlich zwingende Non-Refoulement-Gebot (verbotene Rückführung wenn die Vermutung besteht, dass im Zielland Folter oder unmenschliche Behadlung droht). Also landen sie in der Nothilfe, in den sogenannten Rückkehrzentren und verharren dort in der Ungewissheit. Genau das droht auch der Familie Momeni. Verdammt zum Nichtstun statt einer Lehre. Und was kann der Kanton Bern tun? «Dem Kanton ist es nicht möglich, den Antritt einer Berufslehre nach einem erstinstanzlichen negativen Asylentscheid des Bundes zu bewilligen. Der Kanton hat hier keinerlei Handlungsspielraum», sagt Regierungsrat Philippe Müller.
Höflichkeit trotz Angst
Weil sich das im Fall der Familie Momeni nicht gerecht anfühlt, suchen Freunde und Bekannte aus Mittelhäusern für Momenis nach Handlungsspielräumen. «Merci» ein weiteres Wort, das Shadi oft über die Lippen kommt. Die iranische Höflichkeit und Dankbarkeit, sie ist bei der Familie Momeni in jeder Sekunde spürbar. Und sie gipfelt in einem enormen Fleiss, sich zu integrieren. Während der Vater Farshad im Dorflädeli in Mittelhäusern mithilft, absolviert Shadis Bruder Shahriar das Vorbereitungsjahr an der Universität Bern. Daneben treffen sie sich mit den Schweizern Nachbarn, auf dem Fussballplatz oder einfach so, um zusammenzukommen. «Wir sind geflohen, um Sicherheit zu finden. Wir bemühen uns, unseren Beitrag für diese Gesellschaft zu leisten. Ich habe Angst, was nun mit uns geschehen könnte», erzählt der Vater. Und Angst ist wohl nur die höflich iranische Untertreibung. Der Vater ist seither in psychologischer Behandlung – eine suizidale Gefährdung schliesst der psychologische Dienst nicht mehr aus. Der negative Entscheid und damit verbunden der sofortige Lehrabbruch für Shadi hat die Familie hart getroffen. Angst beschleicht sie. Dennoch: Niemand am Tisch verliert auch nur ein wütendes Wort. Die Höflichkeit ist allgegenwärtig. «Ich weiss nicht mehr, was ich jetzt machen soll. Ich wollte freiwillig weiterarbeiten, aber das darf ich auch nicht. Weil ich in einem medizinischen Beruf gearbeitet habe, muss ich ein Gesuch stellen, um freiwillig arbeiten zu dürfen», verrät Shadi weiter.
Neues Gesetz – altes Problem
Im Verteilgebiet dieser Zeitung kennen wir schon ähnliche Fälle wie jenen von Shadi. Dank vieler freiwilliger Helfer ist es gelungen, dass Tesfom heute Maler bei der Malerei Lüthi ist und Ghulam Käser in Mamishaus. Beide würden – wenn es nach dem SEM ginge – heute noch in der Notunterkunft hocken. Die damaligen Fälle liefen noch unter dem alten Asylgesetz und betrafen Menschen, die seit vielen Jahren ohne Möglichkeit einer Rückkehr in Notunterkünften festsassen. Seit 2019 gilt das neue Asylgesetz. «Der Entscheid über das Asylgesuch wird vom Bund getroffen. Bei diesem Entscheid geht es um die Frage, ob jemand in seinem Heimatstaat verfolgt wird, nicht ob die geflüchtete Person gut arbeitet. Wir haben in der Schweiz ein humanitäres Asylsystem, nicht ein wirtschaftliches (wie z.B. Australien). Die Emotionen zu Einzelschicksalen weiter zu bewirtschaften bringt in dieser Frage nichts», sagt der Regierungsrat weiter. Wie war das nochmal – diese vielzitierte schweizerische humanitäre Tradition? Da ist ja auf dem Tisch der Rösti- und Racletteliebenden Momenis mehr Schweizer Tradition zu finden als in diesem Fall. Shadi lässt sich, trotz dieser Ausgangslage, wenig anmerken. Sie spricht stattdessen von den liebgewordenen demenzbetroffenen Menschen. Es ist erstaunlich, mit welcher Fassung sie diesen Schicksalsschlag erträgt. Die gut schweizerische humanitäre Tradition kommt statt von den zuständigen Behörden von der Nachbarschaft. Niemand im Umfeld der Momenis empfindet das geltende Recht auch als gerecht. Nun sollen die Medien den Fall breitschlagen; es soll eine Kampagne mit möglichst vielen Unterschriften zustandekommen. Ob die Behörden einen Weg finden, dass aus Recht auch gerecht wird? «Ich bleibe hoffnungsvoll», sagt Shadi zum Schluss. Zeit, Abschied zu nehmen. Klar, was nun kommt: die ausgestreckte Hand zum Abschied, ein Lächeln und ein herzliches «Merci» von Shadi. Schamgefühl macht sich breit. Tiefe Scham über meine eigene Heimat, in der es für Shadi heisst, sie ist in die «Sicherheit» geflohen, um zu fürchten.
INFO:
Wer die Kampagne unterstützen will, kann dies über folgenden Link tun: https://act.campax.org/petitions/bleiberecht-fur-familie-momeni-aus-dem-iran
Stellungnahmen von Regierungsrat Philippe Müller sowie dem Amt für Bevölkerungsdienste (ABEV)
Die Fragestellungen an den Kanton suggerieren eine Verantwortung bzw. «Schuld» des Kantons für das Schicksal der betroffenen Person, die nicht richtig ist – von der Leserschaft aber so verstanden wird.
Aus persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Gründen dürfen wir uns zu Einzelfällen nicht äus-sern. Grundsätzlich ist es jedoch so, dass der Antritt einer Berufslehre nach einem erstinstanzlichen negativen Asylentscheid des Bundes nicht bewilligt werden darf. Auch eine hängige Beschwerde gegen den Asylentscheid ändert nichts an dieser Regelung. Hierbei hat der Kanton keinen Handlungsspielraum. Für Jugendliche besteht nach Beendigung der obligatorischen Schulzeit die Möglichkeit, ein Brückenangebot zu nutzen.
Nur wenn eine Lehre bereits vor einer erstinstanzlichen Wegweisung gemeldet, bewilligt und begonnen wurde, kann ausnahmsweise sichergestellt werden, dass rechtskräftig weggewiesene Personen, die kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung stehen, diese bis zur definitiven Ausreise aus der Schweiz noch beenden können. Die Ausreisefrist wird in diesem Fall bis zum Ende der Ausbildungszeit verlängert (SEM-Weisung Wegweisung und Vollzug, Ziff. 2.2.5.1). Über die Ausreisefrist entscheidet das SEM. Zudem ist eine Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Härtefall auf Gesuch hin möglich, sofern eine Person mindestens zwei Jahre die obligatorische Schule in der Schweiz besucht hat und mindestens seit fünf Jahren ohne Unterbruch in der Schweiz lebt wie auch sämtliche Integrationskriterien erfüllt. Seinen Handlungsspielraum diesbezüglich nutzt der Kanton Bern aus, allerdings obliegt die finale Entscheidung auch hier beim SEM.
Das Amt für Bevölkerungsdienste und sein Migrationsdienst werden vorliegend kritisiert, weil sie die Gesetze vollziehen. Kritik gegen die vollziehende Behörde auszuüben, ist der einfache aber nicht zielführende Weg. Der richtige Ansatz wäre, wenn Kritikerinnen und Kritiker eine Gesetzesänderung lancieren. Dies wird aber wegen politischer Aussichtslosigkeit gar nicht erst versucht.