Es begann vor rund 20 Jahren, als der damalige Teenager Peter Elstner in der Jugendgruppe seiner Kirchgemeinde dem Vortrag einer Pilgerfahrt von Leipzig nach Santiago de Compostela in Spanien lauschte. Damals beschloss er, dass auch er einmal diesen Weg gehen wolle. Wie so oft im Leben kam erstmal einiges dazwischen. Mit 30 sprach das Ehepaar Elstner über die Zukunft und Maria erinnerte ihren Mann an seinen Traum. So pilgerte der gebürtige Deutsche nach Spanien. Auf der Pilgerfahrt wurde die Idee geboren, etwas Ähnliches zu wiederholen, aber diesmal sollte die Reise nach Jerusalem führen. Nachdem das Paar beschlossen hatte, dass es für Kinder noch zu früh sei, fragte die Therapeutin in der Paartherapie, was sie denn machen wollten. «Zu Hause diskutierten wir darüber, welche Träume wir verwirklichen wollen, bevor die Kinder kommen. Einer davon war die Reise nach Jerusalem. Anfangs war geplant, dass Peter alleine geht, während ich die Zeit nutzen wollte, etwas für mich zu machen», erklärt Maria Elstner. Doch dann las ihr Ehemann das Buch eines Pilgers, der von Frankreich nach Israel lief. «Er erzählte mir immer wieder davon und so bin ich auf den Geschmack gekommen.»
Die Motivation der beiden für diese Pilgerfahrt war unterschiedlich. Für Peter Elstner standen die Suche nach Gott und der spirituelle Weg im Vordergrund. «Es war auch wie ein Abenteuer. In mir steckt ein kleiner Junge, der mal aus der Routine ausbrechen möchte», sagt er lachend. Für seine Frau dagegen ging es darum, sich weiterzuentwickeln. Das habe sie auch am Buch des französischen Pilgers fasziniert, betont sie. Der Planungsprozess war lang, schliesslich sei es etwas anderes, zu zweit unterwegs zu sein als allein. Ursprünglich war die Reise für dieses Jahr angedacht. Als klar war, dass Maria Elstner mitkommen würde, entschieden sie sich dazu, ein Jahr früher zu starten, um keine Zeit zu verlieren. Das stellte sich als glückliche Fügung heraus, denn heuer wäre es aufgrund der aktuellen Situation nicht möglich. «Wir haben im Juli 2018 den Entschluss gefasst und sind dann am 2. Juli 2019 gestartet», erläutert Peter Elstner. Seine Frau ergänzt: «Es war ein Jahr voller Höhen und Tiefen. Wir mussten viele Entscheidungen treffen. Aber mit jeder Lösung eines Problems rückte die Reise näher.» Erst wurden Prioritäten gesetzt, was sie unbedingt sehen wollten, dann kam der Kauf der Ausrüstung. Ein halbes Jahr habe sie dieses Thema beschäftigt. «Wir haben viel gelesen und ausprobiert, bis uns klar wurde, was wir wollen und uns leisten können.»
Für seine Pilgerfahrt nach Spanien hatte Peter Elstner noch richtig trainiert: «Ich bin an einigen Tagen und am Wochenende gewandert. Musste dann aber feststellen, dass es ganz andere Bedingungen sind. Jeden Tag laufen, der schwere Rucksack usw. Das kann man kaum simulieren.» Daher machten die beiden kein spezielles Training, sondern beschlossen, mit kurzen Etappen zu starten und langsam loszugehen. «Während sich die meisten nach 7 bis 10 Tagen einlaufen, habe ich länger gebraucht. Die Schuhe waren zu klein und es hat am Rücken gedrückt, aber nach 2 Wochen war ich drin», berichtet Maria Elstner. Die ersten 4 Etappen planten sie, um eine gewisse Sicherheit zu haben. «Die ersten 2 haben wir uns noch ‹durchgebissen›, an der 3. sind wir gescheitert und in Interlaken hängengeblieben. Die schöne Illusion war dahin», berichtet der gebürtige Deutsche. Es sei aufgrund vieler Faktoren, wie Wind, Schlafqualität, Sonne, mentale Verfassung usw., schwer zu planen, so wurden sie flexibler: «Wir haben uns ein Tagesziel nach 10 bis 15 Kilometern gesucht und dort entschieden, ob wir noch weiterlaufen oder nicht.» Was beide unterschätzten, war das unterschiedliche Laufbedürfnis. So gingen sie später dazu über, dass Maria Elstner länger an einem Ort verweilte und mit öV weiterreiste, während ihr Mann die Strecke zu Fuss zurücklegte. «Wichtig war, dass wir uns abends wieder treffen.» Es gab auch schwierige Zeiten: «In Budapest hatten wir eine Krise. Wir fragten uns, ob es weitergeht, ob es zu zweit weitergeht, da die Bedürfnisse verschieden waren. Ein ungarischer Pilger, den wir übers Internet kennengelernt hatten, erwies sich als unser ‹Engel›. Er hatte uns eingeladen und sagte, wir könnten so lange bleiben, wie wir wollten. Er hat uns gut zugeredet und uns unterstützt. Das hat uns gerettet», meint Peter Elstner. Ansonsten blieb ihnen Ungarn in weniger guter Erinnerung als andere Länder. «In Österreich waren wir überwältigt von der Gastfreundschaft. Uns haben viele Leute angesprochen und Hilfe angeboten. Über der Grenze war es dann fast ein Kulturschock», so die Riggisbergerin: «Wir hatten die Erfahrung gemacht, dass die Menschen in Grenznähe ähnlich sind. Aber die Ungarn waren das Gegenteil von den Österreichern, fast ängstlich. Sie wollten nichts mit uns zu tun haben und es war schwer, Hilfe zu bekommen. Es war, als ob sie Respekt vor Fremden haben.»
Sonst machten sie durchweg positive Erfahrungen. «Es waren spannende Begegnungen, beeindruckende Landschaften. Es sind aber auch immer wieder Kleinigkeiten, die uns wachgerüttelt haben. Man merkt, wie wenig man eigentlich vom Leben und der Welt weiss. Es ist eindrücklich, was man lernen und Neues erleben konnte», erklärt Peter Elstner. Für ihn als Gläubigen sei es auch speziell gewesen, biblische Orte, die man sonst nur aus der Bibel kennt, zu entdecken. Er hat seine Eindrücke in einem Blog festgehalten. Seine Frau ergänzt: «Liebe ist überall, man muss sie nur sehen. Arme Leute gaben uns alles, was sie erübrigen konnten. Diese Gastfreundschaft hat mich beeindruckt.» Sie sei durch die Erlebnisse offener geworden. «Wenn ich in Riggisberg einen Pilger sehe, werde ich ihn heute ansprechen, das hätte ich früher nicht gemacht.» Auch viele Ängste hätte sie abgelegt. So konnte sie am Anfang der Reise in geschützten Gärten schlecht einschlafen, später in der Türkei sei sie trotz Wolfsgeheul in der Nähe sofort weggenickt.
Stille Orte, wo man zur Ruhe kommen konnte, gab es wenige. Während sich Maria Elstner gerne an ein griechisches Kloster zurückerinnert, hatte ihr Mann ein Erlebnis der besonderen Art in der Türkei. Durch Zufall stiess er auf eine Kirchenruine und stellte fest, dass die frühen Christen dachten, der Apostel Johannes sei dort begraben. «In Ruhe und Frieden dazusitzen, den Moment auf sich wirken lassen, das war toll. Ich hatte das dort nicht erwartet, umso länger blieb es hängen.»
Durch seine Rückkehr an die Schule für Gestaltung in Bern, wo er als Lehrer arbeitet, war der zeitliche Rahmen vorgegeben. So habe ihn die Schule für ein Semester sowie die Sommerferien freigestellt. «Das gab uns Sicherheit. Ich habe eine Rückkehr zwar anfangs offengehalten, doch unterwegs mussten wir eine Entscheidung treffen. Die Flüge werden ja auch immer teurer und wir mussten uns auf ein Rückflugdatum einigen. Da wir Syrien nicht durchwandern wollten, mussten wir uns ebenfalls auf ein Datum für den Flug von der Türkei festlegen. Das war nicht so schön, da man sich einschränkt. Das fiel mir nicht leicht», gibt der 33-Jährige zu. Am Ende stellte es sich heraus, dass 7 Monate genügen. In den letzten 2 Wochen seien sie nicht mehr so aufnahmefähig gewesen. «Jerusalem war faszinierend, aber es löste keine so grossen Emotionen aus, wie das am Anfang der Reise noch der Fall war», erklärt Peter Elstner.
So schnell das Ehepaar den Alltag hinter sich lassen konnte, so schnell war es nach der Rückkehr im selbigen zurück: «Gewisse Automatismen greifen sofort wieder, es war, als ob wir nie weg waren.» Das Reflektieren der Reise habe erst später angefangen, «der Körper und der Geist brauchten erstmal Ruhe». Nun liegt die Pilgerfahrt etwas länger zurück und die Erinnerungen kommen hoch. Die jetzige Situation ist auch speziell für die beiden, von totaler Freiheit zu den momentanen Einschränkungen, aber das bereite ihnen wenig Schwierigkeiten, «auch wenn wir es uns schlimmer vorgestellt haben». Ein wenig mehr Mühe als ihr Mann hatte Maria Elstner: «Die Wohnung war noch so, wie wir sie verlassen hatten, aber ich bin nicht mehr dieselbe. Mein neues ‹Ich› passte nicht mehr rein. Anfangs griffen die Automatismen, doch ich wollte es anders machen. Jetzt versuche ich das umzusetzen, was ich mir unterwegs vorgenommen habe.» Ein Pilgerberater in Wien habe ihr auf Nachfrage, was er mache, erzählt, dass viele Probleme haben, wenn sie wieder zurück sind. Diesen Leuten helfe er. Das habe die 33-Jährige nicht gewusst und lächelt: «Ich habe gelesen, dass man so lange zum Verarbeiten braucht, wie man unterwegs war. Wir haben also noch Zeit.»