«Ich löse meine Probleme gerne selbst»

«Ich löse meine Probleme gerne selbst»

Ein grossgewachsener junger Mann tritt der Kundin mit einem gewinnenden Lächeln auf dem Gesicht entgegen und begrüsst sie in perfektem Berndeutsch. Es ist Alain Hamdi, angehender Drogist im vierten Lehrjahr, gerade 22 Jahre alt geworden und als syrischer Kurde 2013 vor dem Bürgerkrieg in Syrien in die Schweiz geflüchtet. Aktuell absolviert er seine Lehre in der Drogerie Riesen in den Filialen Riggisberg und Wichtrach.

Im Frühjahr 2011 entwickelte sich in Syrien nach jahrelangen Unruhen ein Bürgerkrieg. Auch in der Stadt Hasakeh im Nordosten des Landes, wo Hamdi mit seinem älteren Bruder und seinen Eltern wohnte und zur Schule ging, wurde das Leben immer schwieriger. Alain Hamdi erzählt von Entführungen, bei denen Geld erpresst wurde, von Explosionen auf dem Schulweg und tagelangen Stromausfällen. Seine Hausaufgaben konnte er oftmals nicht fertig lösen, weil es im Winterhalbjahr bereits um 16 Uhr dunkel wird und er ohne Strom nichts mehr sehen konnte. Der Preis für ein Fladenbrot habe stündlich gewechselt und konnte in einem Tag von 50 Syrischen Lira (SYP) auf 300 Lira steigen. (Anm. der Redaktion: Wegen der enormen Inflation ist der Preis für 500g Weissbrot Anfang Februar bei 2051 SYP – umgerechnet rund 75 Rappen.)

Diktatur und Willkür

Hamdis Vater, ein Pflegefachmann, arbeitete in der Praxis seines Bruders. Dieser floh bereits kurz nach Ausbruch des Krieges und der Vater verlor daraufhin seine Stelle. Hamdi erwähnt wiederholt, dass es schwierig war. Er bringt ein Beispiel aus der Schulklasse seines Bruders, das sich in den zwei Jahren vor der Flucht abgespielt hat und wohl übertragbar auf viele Situationen in Syrien ist. Da sagte jemand etwas Schlechtes über den Präsidenten, worauf das Militär in der Klasse auftauchte. Niemand wollte aussagen, wer der Schuldige war. «Die Soldaten schlugen die ganze Klasse und sie hatten Glück, dass man sie nicht ins Gefängnis brachte. Irgendwann kamen Menschen wegen solcher Sachen ins Gefängnis und die Familienangehörigen wussten nie, ob sie jemals zurückkehren würden oder nicht», erinnert er sich an diese Zeit.

Berufswunsch Drogist

«Der Mann meiner Tante war Apotheker und als der Krieg ausbrach, waren viele Medikamente nicht lieferbar. Mein Onkel fing an, Medizin bei sich zuhause herzustellen», erzählt Hamdi. Die Gerüche und die Tatsache, dass man lernen kann, welche Pflanzen für welche Beschwerden einzusetzen sind sowie Salben und Tinkturen selber herzustellen, hätten ihn fasziniert. Deshalb sei bereits zu Beginn seiner Ausbildung ein Grundinteresse da gewesen und jetzt, im vierten Lehrjahr, liebt er den Beruf mehr denn je. Als der junge Syrer in der Schweiz ankam, besuchte er bald mit Gleichaltrigen den Deutschunterricht. Dort konnte er spielerisch und langsam die Sprache erlernen. Als er genug Deutschkenntnisse hatte, konnte er ab der 6. Klasse eine reguläre Schule besuchen. Seinem besten Freund, mit dem Alain Hamdi immer noch in regem Kontakt ist, teilte er bald einmal mit, dass sie nun Berndeutsch zusammen sprechen sollten. Klar, manchmal sei es noch schwierig mit den sprachlichen Barrieren. Vor allem dann, wenn ältere Kundinnen oder Kunden mit Ausdrücken daherkämen, die Hamdi noch nicht kennt, oder wenn sie einen Witz reissen.

Türöffner Schweizerdeutsch

Auf die Frage, was Hamdi anderen geflüchteten Menschen mitgeben möchte, antwortet er: «Etwas, dass ich herausgefunden habe: Wer in der Schweiz wirklich Freunde finden will, muss Schweizerdeutsch sprechen. Ich denke, dass es wichtig ist, sich auf die Sprache zu konzentrieren. Dann hat man im Leben bessere Chancen.» Seine positive Einstellung zum Leben hat der angehende Drogist auch der Tatsache zu verdanken, dass er sich abends vor dem Spiegel zwei, drei positive Worte zuspricht. «Ich bin jemand, der seine Probleme gerne selbst löst. Wenn mich etwas beschäftigt, nehme ich ein Blatt Papier und schreibe alle meine Gedanken auf.»

Nach der hoffentlich erfolgreich abgeschlossenen Lehre will Alain Hamdi ein paar Jahre als Drogist EFZ arbeiten, laufend Weiterbildungen machen und sich dann an der höheren Fachschule zum Drogisten HF ausbilden lassen. Der junge Mann spricht fasziniert von seinem Beruf und man merkt ihm die Begeisterung und das Interesse für das, was er tut, bei jedem Wort an.

Yvonne Rossel ist die Geschäftsführerin der Drogerie in Riggisberg und kennt Alain Hamdi gut. Darauf angesprochen, was sie für eine Chance bzw. für einen Mehrwert in der Anstellung und Ausbildung von Geflüchteten sieht, antwortet sie ohne zu zögern: «Der Kulturaustausch.» Sie sei stolz auf die Drogerie Riesen, dass dies so funktioniere, und sei extrem stolz auf Alain Hamdi, der zielstrebig, ehrgeizig und an allem interessiert sei.

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