Was für gewöhnlich hinter Laborwänden bleibt, stand in den vergangenen zwei Jahren im grellen Licht der Weltöffentlichkeit: die Virologie und Immunologie. Jedoch stehen mitten in unserer Region eine Handvoll Gebäude, in denen bereits seit 30 Jahren an Viren geforscht wird – und zwar auf Weltspitzenniveau: Im Institut für Virologie und Immunologie (IVI) in Mittelhäusern.
1972 – 1992 – 2022
1992 wurden die Bauten fertiggestellt, bereits seit 1942 existierte es als Eidgenössisches Vakzine-Institut EVI in Basel. Mitte der 60er-Jahre grassierte die Maul- und Klauenseuche. Man wollte die Impfstoffentwicklung und -produktion vorantreiben, aber nicht mehr so grenznah sein. 1972 erwarb der Bund darum das Gelände des heutigen IVI. In den beiden grün gestrichenen Gebäuden würde kaum jemand Hochsicherheitslabore vermuten. «Sie wurden absichtlich im Stil von Landwirtschaftsbetrieben gebaut, damit sich die Gebäude ins Landschaftsbild einfügen», erklärt die Leiterin Kommunikation, Nathalie Rochat. Bis heute ist das IVI eines der wichtigsten Schweizer Forschungs- und Diagnostiklabors für aktuelle Tierseuchen wie die «Afrikanische Schweinepest», die Vogelgrippe, die «Pest der kleinen Wiederkäuer» oder die «Newcastle Disease». Das Team um Professor Volker Thiel forscht seit 15 Jahren an Coronaviren beim Tier. So war auch beim Ausbruch von Covid-19 Expertise am IVI vorhanden.
Nach der Arbeit dreimal duschen
Neben dem Biosicherheitslabor Spiez mit der höchsten Sicherheitsstufe 4 für Krankheitserreger beim Menschen verfügt schweizweit nur noch das IVI über die höchste Sicherheitsstufe gegenüber der Umwelt und kann daher auch mit Zoonosen arbeiten – Krankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Im Arbeitsalltag braucht man eine knappe Viertelstunde, um vom Eingang des Gebäudes bis ins Labor hineinzukommen. «Dabei ist hineingehen nicht ‹das Pro-
blem›», lacht Rochat. Denn wichtig ist, dass nichts Ansteckendes nach draussen gelangt. So sorgt ein Unterdrucksystem dafür, dass die Luft nur nach innen fliesst, «von sauber in Richtung Dreck». Mensch und Material müssen je nachdem, wo gearbeitet wurde, mehrere Schleusen passieren, in denen eine Dekontamination oder Sterilisation stattfindet. Weil das Prozedere einige Zeit in Anspruch nimmt, geht man nicht mal eben für eine Pause an die frische Luft. Eine laboreigene kleine Kantine sorgt dafür, dass erst bei Schichtende der Schleusenmarathon in Angriff genommen werden muss. Eine IVI-Virologin, die während dem Gespräch mit Nathalie Rochat zufällig vorbeikommt, forscht aktuell an SARS-CoV-2-Viren. Sie erzählt von den mindestens drei Duschen «mit richtig viel Schaum», die sie täglich bei Arbeitsende vornehmen muss. «Darum habe ich meine Haare immer kürzer abgeschnitten – es wäre sonst zu mühsam», erläutert sie.
Zoonosen – auch bei uns
Vor 30 Jahren stand die Präven-
tion gegen die Maul- und Klauenseuche im Zentrum. Auch heute dreht sich die Arbeit der rund 110 Angestellten am IVI in Mittelhäusern sowie am IVI-Standort an der Universität Bern mehrheitlich um Tierseuchen oder Zoonosen. Beispiele aus dem 21. Jahrhundert sind «SARS-CoV-1», die Schweinegrippe, die Vogelgrippe sowie Coronaviren wie «MERS» (Middle-East Respiratory Syndrome Coronavirus) und «Covid-19». Sie sind eine ernste Bedrohung für die Nutztierindustrie wie auch für den Menschen. Laut einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und des «International Livestock Research Institute» stammen ungefähr 60 bis 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen ursprünglich von Tieren. «Zoonosen wie ‹BSE› oder die Schweinegrippe können im Zusammenhang mit der Nutztierhaltung stehen, wobei Massentierhaltung natürlich beträchtlich die Verbreitung und Anreicherung von Erregern beschleunigt», erläutert Rochat. Gleichzeitig breiten sich aufgrund der Klimaerwärmung Insekten immer weiter nach Norden aus – und damit von ihnen übertragene Krankheiten für Mensch und Tier. Dem IVI wird die Arbeit darum so schnell nicht ausgehen.
Im August feiern die Mitarbeitenden das 30-jährige Bestehen des Instituts. Es ist eine Feier, die gemischte Gefühle auslöst: Ernüchterung darüber, dass es so viele Zoonosen gibt und es darum Hochsicherheitslabors für den Kampf gegen sie braucht. Gleichzeitig Dankbarkeit dafür, dass es die Labors gibt – und dass engagierte IVI-Mitarbeitende sich täglich für neue Erkenntnisse einsetzen.