Zurückhaltung gegenüber Multikulti-Sentimentalitäten ist legitim und verständlich. Auch in Riggisberg. Tatsächlich war Weltoffenheit in vergangenen Abstimmungen nicht gerade das Merkmal der dortigen Bevölkerung.
Ausgerechnet Riggisberg als leuchtendes Beispiel im Asylwesen?
Christine Bär-Zehnder ist parteilose Gemeindepräsidentin und war bei der Umsetzung des Projektes «Asylzentrum» eine der treibenden Kräfte. «Nein», versichert sie, «die Einwohner von Riggisberg sind nicht einfach die besseren Menschen». Allerdings habe man mit einer (erneuten) Anfrage des Kantons gerechnet. Diese kam denn auch prompt, im Frühsommer 2014, und der Gemeinderat stimmte sofort zu. Einstimmig, also 7:0.
Die sehr kurze Zeit zur Planung sei wohl ein Vorteil gewesen, stellt Bär rückblickend fest und findet darin Gründe für das Gelingen: speditive, sachpolitische Entscheidungen, rasche Solidarität der Bevölkerung und den Aufbau eines überschaubaren Zirkels mit Vertrauenspersonen. Die Gemeindepräsidentin ist sich bewusst, dass die Bevölkerung keine Gelegenheit hatte, über das Vorhaben abzustimmen. Hingegen wurden die Einwohner nach dem Entscheid rasch informiert und es folgte einen Tag der offenen Tür. Vor allem hätten alle beteiligten Gremien und Personen ihre Verantwortung sofort wahrgenommen und grosse Aufgaben sehr schnell gemeistert. Schliesslich, rundet Christine Bär dieses Thema ab, dürfe auch ein Gemeinderat mutig sein und nicht alle negativen Eventualitäten zum vornherein als gegeben
betrachten.
Die Opposition bildete sich als «IG Asylzentrum Riggisberg» umgehend. Die Interessengemeinschaft wurde ebenfalls eingeladen, am wöchentlichen Rapport teilzunehmen. Mit der IG hatte der Gemeinderat einen Partner, der die Anliegen der Anwohner konsolidiert und sachbezogen gegenüber den Behörden vertrat. Anlässlich der einzigen Teilnahme der IG am runden Tisch wollte deren Sprecher insbesondere Parameter festgelegt haben, welche die bisherigen Lebensgewohnheiten der Anwohner garantieren.
Was folgte, war sehr ernüchternd: Etwa fünf Wochen nach dem Einzug der ersten Asylsuchenden kam es unter diesen zu wüsten Ausschreitungen. Die sechs verhafteten Personen, so stellte sich heraus, waren als renitent bekannt. Gegenseitige Schuldzuweisungen des kantonalen Migrationsdienstes und der Heilsarmee waren die Folge. In Riggisberg hingegen hatte man Wichtigeres zu tun: Während die Behörden für mehr Sicherheit und Betreuung im Zentrum kämpften, trieb Doris Eckstein in Zusammenarbeit mit der Kirchgemeinde das von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) gemeinsam mit der Heilsarmee Flüchtlingshilfe erarbeitete Projekt der Freiwilligenarbeit entschlossen voran. Von nun an koordinierte sie die rund 40 Freiwilligen in Zusammenarbeit mit der Leitung des Asylzentrums. Die SFH hat die Erfahrungen aus Riggisberg ausgewertet und sieht vor, das Projekt an weiteren Standorten zu realisieren.
Ist es genau dieses Engagement der Freiwilligen, das Riggisberg zum Modellfall macht und für das sich auch das Staatssekretariat für Migration (SEM) interessiert?
Doris Eckstein war und ist stark betroffen von den Schicksalen der Asylsuchenden. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – fasst sie realistisch zusammen. Ihre wichtigsten Erkenntnisse: ein breites Angebot von sinnvollen Aktivitäten für die Asylsuchenden unter Einbezug der Bürger. Dadurch wurden Geduld und Toleranz aufgebaut, aus Fremden wurden Freunde. Was wiederum zu Offenheit, Entspanntheit und Toleranz der Asylsuchenden gegenüber den Einwohnern führte. Allerdings, so Doris Eckstein, werde Integrationsarbeit auch erschwert, beispielsweise durch die hohen Hürden, was die Integration in die Arbeitswelt betrifft.
Wie immer das Projekt Riggisberg beurteilt wird, etwas bleibt: Viele Leute haben vieles sehr gut gemacht. Viele von ihnen erst noch freiwillig.
Wie Generationenwohnen gelingen kann
Er gehört zu den Urgesteinen der Könizer Politik. Der ehemalige Parlamentarier Christian Roth hat sich…