Lachend verstehen

Lachend verstehen

In ihrem Stück «Abefahre!» bringt Regisseurin Livia Anne Richard Menschen aller Couleur in einem Anti-Stress-Seminar zusammen. Das Credo ist klar: weg vom immer eingeschalteten Handy, zurück zur Natur und den inneren Ressourcen.

Die Berner Mundart-Band «Züri West» ist mit Köniz verbunden. Leadsänger Kuno Lauener wuchs im Spiegel auf. Auch Markus «Küse» Fehlmann wohnte zwischenzeitlich im Liebefeld. Er sagt: «Für mich ist Köniz ein Teil von Bern. Es gehört dazu.» Vor 35 Jahren spielte «Küse» mit Beat Rufi, einem der beiden Organisatoren des Open Air-Konzerts in Köniz, in einer Band. «Ich kenne sowohl Beat Rufi als auch seinen Kollegen Robi Maurer gut. Der Veranstaltungsort ist sehr schön und die Stimmung im Schlosshof ist etwas ganz Besonderes», betont Küse Fehlmann im Gespräch.

Die Messlatte sei hoch, sagte Veranstalter Robi Maurer, denn bei Stefan Eichers Konzert 2013 habe alles gepasst. Der Musiker war die erste Schweizer Musikgrösse, die den Schlosshof gerockt hat und das Schloss Köniz auf einen Schlag berühmt machte. Solche Aussagen bereiten Fehlmann aber kein Kopfzerbrechen: «Es war damals ein sehr stimmiges Konzert, Eichers Musik passte wunderbar in den Schlosshof. Aber auch wir werden alles geben und es wird hoffentlich ein Konzert mit einer ebenso tollen Stimmung. Der Schlosshof und sein Ambiente laden dazu ein. Wir freuen uns auf einen schönen Abend.» Ein Heimspiel sei etwas Besonderes, aber man dürfe sich trotzdem nicht unnötig unter Druck setzen, ergänzt der Gitarrist: «Wir spielen einfach möglichst freudvoll und konzentriert und hoffen, es kommt gut. Es hängt ja auch noch von anderen Faktoren ab, zum Beispiel vom Publikum oder vom Wetter.» Die Konzertbesucher können auf jeden Fall gespannt sein, denn sie werden mehr visuelle Effekte zu sehen bekommen als zum Beispiel letztes Jahr auf dem Gurten, wo die Band im Hellen spielte. Apropos Gurtenfestival, nach dem Konzert im letzten Jahr gab es Kritik, «Züri West» habe einfach nur ihre Lieder runtergespielt, sei nicht auf das Publikum eingegangen und ähnliches. Auf die Frage, ob die Band von solcher Kritik getroffen sei oder drüberstehe, antwortet Fehlmann: «Natürlich, Kritik trifft einen immer. Aber wenn sie sachlich und korrekt ist, dann kann ich gut damit umgehen. Es gab aber auch viel positives Feedback. Ein Auftritt auf dem Gurten ist immer speziell. Wir wollten natürlich ein super Heimspiel geben – wollten auch unsere neuen Songs spielen und nicht nur die sicheren Hits. Vielleicht haben wir uns und dem Gurtenpublikum zuviel zugemutet, alle haben auf den grossen ‹Gurtenmoment› gewartet, wie zu lesen war. Zudem hatten wir als Band sicher nicht unseren besten Tag». Das Ganze sei nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen, sie entschlossen sich, zusätzlich mehr alte Songs ins Programm zu nehmen. Ein ehemaliger Mitmusiker, der Keyboarder Oli Kuster, wurde wieder an Bord geholt: «Wir wussten, dass gewisse ältere Songs mit Keyboards einfach besser tönen oder überhaupt erst live spielbar sind. Oli war unser Wunschkandidat und hat glücklicherweise zugesagt, einzusteigen und mit uns die Tour zu Ende zu spielen», erklärt «Küse» diese Entscheidung.

Ein voller Terminkalender, pausenlose Verfügbarkeit durch soziale Medien und Smartphones und hohe Anforderungen im Job – Leistungsdruck und Stress sind allgegenwärtig. Phänomene wie Erschöpfung und Burnout gehören bereits so zum Alltag, dass sich nicht unbedingt die Frage stellt ob, sondern wann es einen selbst trifft. Die Palette an Betroffenen ist bunt gemischt und reicht von Hausfrauen und Landwirten bis zu Verkaufsleitern und Managerinnen. Genau so bunt gemischt zeigen sich die Figuren, die im Theater Gurten an einem fünftägigen Anti-Stress-Seminar teilnehmen. Livia Anne Richard, Autorin und Regisseurin des Stücks «Abefahre!», gibt Einblick in die Welt der BurnoutPrävention. Zwischen kruden Übungen und überzeichneten Protagonisten schafft sie die Gratwanderung zwischen Komik und Ernsthaftigkeit und hält dem Publikum den Spiegel vor, ohne mit dem Moralfinger zu wedeln.

Aus heiterem Himmel
Livia Anne Richard ist erfahrene Regisseurin und Autorin und hat auf dem Gurten in den letzten Jahren bereits zahlreiche Stücke inszeniert. Dass sich das diesjährige Stück ausgerechnet um Burn­out-Prävention dreht, hätte sie selbst vor ein paar Jahren nicht voraussagen können. Die Eingebung kam aus heiterem Himmel, wie sie erzählt. Sie sei in Florida im Urlaub gewesen. Bei einem Strandspaziergang sei am Himmel zwischen zer­zausten Wolken klar und deutlich der Begriff «Burnout» aufgetaucht – ähnlich einem Flieger mit Werbebanner. Ein Zeichen? «Ich machte mir viele Gedanken», so Richard. Doch in erster Linie nahm sie die Inspiration an, machte Notizen und begann zu recherchieren. Immer mehr faszinierte sie das Thema, immer tiefer tauchte sie ein. «Mich interessierte das Vorfeld, was mit betroffenen Menschen vor dem Burnout passiert», so Richard. In Gesprächen mit Fachpersonen fand sie einige Antworten. In einem Selbstexperiment besuchte sie diverse Kurse, alles floss in ihr Stück ein. «Keine der Übungen ist erfunden», erzählt die Regisseurin, «aber für die Bühne natürlich etwas ‹überspitzt› dargestellt.» Daraus ergebe sich ein schöner Boden für Komik.

Keine Perfektion
Resultat dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema ist das Stück «Abefahre!» Das Ausrufezeichen hinter dem Wort sowie der Untertitel «Stressfrei in 5 Tagen» lässt bereits einiges an Konfliktpotenzial erahnen. Während rund 90 Minuten kämpfen die Protagonisten mit Schein und Sein, versuchen ein Bild von sich aufrechtzuerhalten, während sie Fastentee schlürfen und ungeschickt durch Natur und Achtsamkeitsübungen stolpern. «Ich wollte Prototypen von Menschen im Kurs», so Richard. In der einen oder anderen Figur werden sich die Zuschauer auf jeden Fall wiederfinden. Das soll auch so sein, denn trotz Witz und entspannter Unterhaltung kann das Publikum etwas aus dem Abend mitnehmen – sofern es denn will. Nichts liegt Livia Anne Richard jedoch ferner als eine Moralpredigt. Viel mehr versucht sie, das Publikum über das Lachen, das Berührtwerden zu erreichen. «Wir alle haben Situationen im Alltag, in denen wir gestresst sind», erklärt die Regisseurin, «die Idee ist nicht, einen Kurs zu besuchen und dann ist alles gut. Es ist ein stetiger Prozess, es braucht Mut, sich früh genug raus zu nehmen.» Auch muss nicht immer alles perfekt sein. «Wenn ich sagen kann, ich habe es so gut gemacht wie ich konnte, ist das das Bestmögliche», so Richard, «Perfektion gibt es nicht!» Eine Erkenntnis, die sie auch dem Publikum wünscht. Ob das der Chef genauso sieht, sei dahingestellt. Allerdings besteht die Hoffnung, dass die zahlreichen Besucher aus der Chefetage – es gibt deutlich mehr Firmenbuchungen als bei anderen Stücken – sich einige Inhalte zu Herzen nehmen.

Feilen an den Details
Bis zur Premiere am 20. Juni dauert es nicht mehr lange, das Ensemble ist im Schlussspurt. Livia Anne Richard ist zufrieden mit dem Stand der Dinge: «Ich darf sagen, dass wir sehr gut drin sind.» Auch mit ihren Schauspielerinnen und Schauspielern ist sie sehr zufrieden, sie spricht gar von einem «Traumensemble». Tatsächlich hatte Richard beim Schreiben des Stücks ihre Darsteller bereits im Visier und konnte ihnen die Rollen entsprechend auf den Leib schreiben. Da die diesjährige Crew im Vergleich zu anderen Jahren klein und fein ist, bleibt viel mehr Zeit für den Feinschliff. Während den Proben hält die Regisseurin die Zügel in strenger Hand. «Streng, aber fair», lacht sie, «ich bin sonst ein ungeduldiger Mensch, aber in der Regie habe ich eine Engelsgeduld und bleibe dran, bis alles passt.» Auch mit sich selbst geht die Powerfrau hart ins Gericht. Oftmals liegen ihre beiden Funktionen miteinander im Zwist – die Regisseurin Richard muss dem Spielfluss zuliebe Vieles weglassen, was der Autorin Richard eigentlich am Herzen liegt. Doch diesen inneren Konflikt meistert Livia Anne Richard mit Erfahrung und Bravour. Auch wenn bis zur Premiere nicht mehr viel Zeit bleibt und noch hier und da ein Detail justiert, eine Passage angepasst werden muss: Stress scheint für das Ensemble Theater Gurten nicht unmittelbar anzustehen.

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