Medizinische Versorgung für alle

Medizinische Versorgung für alle

Es sind in der ganzen Schweiz die gleichen Bilder: Personal eilt an den überfüllten Warteplätzen vorbei und verarztet Menschen, die immer häufiger das Spital aufsuchen. Zwar steigen die Eintritte seit Jahren, was jedoch nicht mit einer Erhöhung der Aufnahmekapazitäten einhergeht.

Diesen Eindruck bestätigt auch der Riggisbeger Notfallarzt Reinald Dieckmann: «Seit 2018 besuchen uns jedes Jahr mehr Menschen als im Jahr zuvor», sagt er. Eine Folge ist, dass die Kapazitätsgrenze bereits mehrfach überschritten wurde, was wiederum wiederholt zu Beschwerden seitens der Patienten führte. Doch nicht nur die Wartezeiten verlängern sich, viel schlimmer ist die Aussicht, dass vermehrt Behandlungsfehler vorkommen könnten. Doch die Mitarbeitenden wollen ihren Job dennoch so gut wie möglich erledigen: «Auch für uns ist es schwierig, wenn wir Patienten warten lassen müssen», sagt Pflegefachfrau Debora Aebischer. Denn auch wenn der Weg ins Spital nicht notwendig ist und ein Hausarzt-Besuch am Folgetag gereicht hätte, weisen sie und ihre Kollegen niemanden ab. «Als medizinisches Personal legen wir primär das Kriterium der Notwendigkeit an, und ebenso den Grundsatz, dass wir alle zu uns Kommenden versorgen.»

Situation hat viele Ursachen

Logischerweise entsteht aus diesem Anspruch sowie den immer häufiger werdenden Notfallbesuchen ein nicht von der Hand zu weisendes Dilemma. Wer bei der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin SGNOR nach Gründen für die geschilderte Entwicklung fragt, erhält eine differenzierte Antwort: «Landesweit herrscht Konsens darüber, dass Patienten, die Notfallstationen wegen Bagatellen aufsuchen, die Überalterung der Bevölkerung sowie das ungünstige Verhältnis zwischen Grundversorgermangel und steigenden Patientenzahlen die entscheidenden Treiber sind», sagt Simon Bosbach. Dieser arbeitet neben seiner Tätigkeit für die SGNOR hauptberuflich als Ärztlicher Leiter der Notfallstation im Tiefenauspital sowie als dortiger stellvertretender Chefarzt der Medizinischen Klinik. Das Tiefenauspital ist, wie das Spital in Riggisberg, Teil der Insel Gruppe. Die von Bosbach geschilderten Veränderungen haben wiederum Auswirkungen auf die Spitäler: «Beim Pflegepersonal kommt es vermehrt zu Ausfällen, zudem beobachten wir schweizweit, dass manche in andere Branchen abwandern.» Und er ergänzt, dass es je nach Dienstauslastung Tage gibt, an denen sich das Notfallpersonal nicht ausreichend von seinen Schichten erholt und teilweise Überzeit leisten muss. Der Notfallmediziner sieht aber nicht nur die Spitäler, sondern vor allem die Gesundheitspolitik in der Pflicht. So muss laut Bosbach die Versorgung effizienter werden, ohne an Qualität einzubüssen. Zudem sollen Spitalberufe wieder attraktiver werden. Mitverantwortlich für die Verwirklichung dieser Ziele sind laut der SGNOR auch die Behörden, dies durch die Schaffung besserer Rahmenbedingungen.

Spitäler Riggisberg und Tiefenau reagieren

In der Branche herrscht also Klarheit über die Situation und auch die Lösungsansätze wären da. Doch diese sind wohl erst mittel- bis längerfristig umsetzbar, weshalb die Verantwortlichen in Riggisberg und im Tiefenauspital bereits mit Sofortmassnahmen reagierten. So führten sie etwa in Letzterem den im Berner Inselspital bereits etablierten «Fast Track» ein. Dabei handelt es ich um Praxen in den Notfallsta-
tionen, die Hausarzt-Leistungen anbieten und so den Notfall entlasten. Und in Riggisberg helfen Hilfskräfte aus anderen Abteilungen mit und schaffen so ebenfalls mehr Ressourcen für lebenserhaltende Massnahmen. Weiter arbeiten Fachpersonen, die etwa den Beruf gewechselt haben, aber dort nur Teilzeit angestellt sind,
wochenweise im Spital mit. Die Massnahmen wirken, was sich unter anderem daran zeigt, dass die medizinischen Angebote in vollem Umfang erhalten bleiben.

Spitalberufe bleiben faszinierend

Neben all diesen Verbesserungen ist auch der Zusammenhalt der Mitarbeitenden untereinander ein nicht zu unterschätzender Faktor: «Sowohl unter der Ärzteschaft als auch unter den Pflegenden spielt das Team eine grosse Rolle», sagt Aebischer. Sie mag ihren Job nach wie vor, auch wenn sie sehr erschöpft ist. Kraft gibt ihr das private Umfeld, das Team und die Wertschätzung, die sie täglich erfährt. Diese Ansicht teilt auch Bosbach: «Dank einem starken Team sind wir vergleichsweise gut aufgestellt, und dies trotz einer jährlichen Zunahme der Eintritte um rund 1500 Personen.» So gesehen greift es, wie Dieckman sagt, zu kurz, die Notfallstationen einfach als überlastet zu bezeichnen. Denn wer eine solche Aussage macht, darf nicht vergessen, dass sich dessen Personal bei Tag und Nacht für die bestmögliche Versorgung aller Hilfesuchenden stark macht.    

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