Rotgrüne Städte müssen sich warm anziehen

Rotgrüne Städte müssen sich warm anziehen

Das Parlament wird bürgerlicher. So die prägnante Zusammenfassung vieler Berichterstattungen. Jein, sagt die Könizer Zeitung | Der Sensetaler. Insbesondere mit Blick auf die etwas dichter besiedelten Gebiete.

Warum ist Bern so langsam, hat sich wohl ein guter Teil der Schweiz gefragt. Erst um 22.30 Uhr stand fest, wie die Wahlen im Kanton ausgegangen waren. «Schuld» war die Stadt Bern, auf deren Auszählung alle warten mussten. Staatsschreiber Christoph Auer meinte entsprechend: «Niemand hört gerne, dass alle auf Bern warten.» Das ist verständlich und schürt die Klischees über die Berner Langsamkeit. Doch dahinter steckt eine interessante Erkenntnis und eine noch bessere Erklärung.

Interessierte Wählerschaft

Die Stadt Bern trumpft mit einer Wahlbeteiligung von 58 % auf. Zum Vergleich: Der Schweizer Schnitt lag bei 46,6 %.  Die hohe Wahlbeteiligung gilt auch für das Gantrischgebiet und die Agglomerationsgemeinden wie etwa Köniz, denn deren Wahlbeteiligung liegt bei fast 50 % und damit ebenfalls weitaus höher als der Schweizer Durchschnitt. Im Kanton Freiburg war es genau umgekehrt, mit 45 % liegen die Saanestädter unter dem Schweizer Schnitt. Der Sensebezirk hat im kantonalen Vergleich aber deutlich besser abgeschnitten und ein ähnliches Wahlverhalten an den Tag gelegt wie die benachbarten Berner Gemeinden. Doch zurück zur Stadt Bern und deren Verspätung: Es gab also deutlich mehr Zettel auszuzählen als anderswo. Und damit nicht genug: Viele Wählerinnen hätten veränderte Listen eingeworfen, verrät Stadtschreiberin Claudia Mannhart. Statt einfach die «Partei des Vertrauens» zu wählen, haben sich in der Stadt Bern besonders viele Menschen die Mühe gemacht zu «panachieren», also Menschen aus verschiedenen Parteien zusammenzustellen und sich selbst die ideale Besetzung für Bundesbern zu bauen. Es ist also durchaus als Kompliment an die Berner Stadtbevölkerung zu verstehen, wenn man so lange auszählen musste, weil eine interessierte Wählerschaft sich überdurchschnittlich mit den Wahlen auseinandersetzte. Was sich daraus ablesen lässt, ist, dass dieses gesteigerte Interesse auch für das Verteilgebiet dieser Zeitung gelten dürfte – geht es nach der Wahlbeteiligung. Es gab überdurchschnittlich viele interessierte Wählerinnen und Wähler. Ein weiteres Indiz hierzu dürfte sein, dass auch viele Gemeinden aus dem Verteilgebiet im kantonalen Vergleich eher etwas länger benötigten, um die Stimmen auszuzählen.

Der neue Nationalrat 

aus dem Gantrischgebiet

Schweizweit hat die SVP zu recht viel Aufmerksamkeit erlangt. Sie zementiert ihre Position als stärkste Partei, baut diese aus und legt im Kanton Bern um einen Sitz zu,  im Kanton Freiburg  äussert sich diese Tendenz gar noch etwas stärker. Die SVP ringt ausgerechnet jener Partei den Sitz ab, die im Kanton Bern als grosse Wahlsiegerin erstrahlt: der SP. Verliererin bei den Sozialdemokraten ist Ursula Schneider Schüttel aus Murten. Die SVP hingegen legt um über 5 % zu und erobert – wie die Mitte – zwei Nationalratssitze. Der neue Mann neben Pierre-André Page (SVP) heisst Nicolas Kolly. Für den Sensebezirk bleibt unbestritten Christine Bulliard (die Mitte) aus Ueberstorf fest im Sattel. Auf der Berner Seite gewinnt die SVP zwar auch einen Sitz hinzu, prozentual aber geht klar die SP als Siegerin hervor. Nicht aber, wenn es um die Nationalräte aus dem Verteilgebiet dieser Zeitung geht. Da hat die SVP – mit Verlaub – ebenfalls um einen Sitz zugelegt. Neben Lars Guggisberg (SVP), der das zweitbeste Wahlresultat des Kantons erzielte, schaffte auch der Riggisberger Hans Jörg Rüegsegger den Sprung in den Nationalrat. Er ist damit der neue und einzige Nationalrat aus dem Gantrischgebiet.  Der ehemalige Präsident des Berner Bauernverbands geniesst über die Partei hinweg viel Anerkennung. Wo seine Partei ab und an etwas poltert, sind Rüegsegger und Guggisberg eher für ihre Seriosität und Konstruktivität bekannt. Und im Falle des Riggisbergers sicherlich auch für das vermutlich beste Namensgedächtnis jenseits des Gäggerstägs. Wenn Rüegsegger die Vorlagen so schnell im Griff hat wie alle die Namen, dann dürfte er sich mit seinem Elefantengedächtnis schnell auch in Bundesbern einen Namen machen.

SP heisst auch Siegerpartei

So halbwegs hat das Gantrischgebiet eigentlich einen zweiten Nationalrat: Matthias Aebischer. Der SP-Politiker lebt zwar in Bern, stammt aber aus Schwarzenburg. Er steht einerseits als wiedergewählter Nationalrat wie auch als amtierender Bundesratskandidat stellvertretend für den bernischen Wahlsieg der SP.

Den Sozialdemokraten gelingen gleich zwei Überraschungen. Einerseits erhielt ihre Ständeratskandidatin Flavia Wasserfallen gar mehr Stimmen als der bisherige Ständerat Werner Salzmann (SVP), anderseits gewinnen die Sozialdemokraten ebenfalls einen Nationalratssitz dazu und das wohlbemerkt mit 4 % Zuwachs und damit noch mehr Wachstum als die SVP. Die SP ist so gesehen die Wahlsiegerin im Kanton Bern. Welcher Unterschied zum Kanton Freiburg, in dem die SP gar als Wahlverliererin vom Platz geht. Die SVP hat prozentual in der Agglomeration Bern lediglich etwa 10 %, statt – wie auf dem Land – dreimal mehr. Die SP hingegen trumpft in den dichter besiedelten Gebieten klar als stärkste Partei auf und baut diese Position gar noch aus. Die Grünen wiederum können einen doppelten Sitzverlust im Kanton Bern dank der Stadt in extremis abwenden. Oder besser – dank Politikerinnen, die für ihre Brückenbauerfähigkeiten bekannt sind. Christine Badertscher etwa, die auch im Gantrischgebiet viel anzutreffen ist und auch schon mal mit einem wie Rüegsegger den konstruktiven Dialog sucht. Köniz verfügt über eine starke Grüne Kommunalpartei und es darf zumindest vermutet werden, dass gerade dieser starke Flügel der Grünen einige wichtige Stimmen einbrachte, um noch mehr Verluste abzuwenden.

Und die anderen Parteien?

So stark auf nationaler Ebene der enge Zweikampf zwischen der Mitte und FDP beobachtet wurde, insbesondere im Zusammenhang mit dem Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz, so sehr unterscheiden sich auch in diesem Punkt die Kantone Bern und Freiburg. In Bern verliert die FDP einen Sitz, damit haben die Experten vor dem Wahlsonntag nicht gerechnet. Die Liberalen haben insbesondere im Grossraum Bern einen erstarkten Jungfreisinn. Noch fehlt diesen jungen Menschen die Erfahrung und die Bühne, um sich in einem breiteren Feld zu präsentieren, aber ein Wiedererstarken dürfte wahrscheinlich sein. Dass die FDP aber aktuell ein Generationenproblem hat, stimmt eben auch. Anders sieht die Situation bei der Mitte aus. Sie hält ihre Sitzzahl just in dem Kanton, in dem sie nicht annähernd so stark ist wie im benachbarten Freiburg. Grund zur Freude hat die Stadt Bern zudem, weil der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (die Mitte) neu in den Nationalrat zieht. Im Kanton Freiburg verliert zwar die Mitte langsam ihre alleinige Vormachtstellung, verteidigt aber souverän ihre beiden Sitze und lässt im Ständerat mit der allseits beliebten Isabelle Chassot keinen Zweifel daran, wer das Sagen hat. Johanna Gapany (FDP) hingegen gab als bestehende Ständerätin nicht unbedingt eine gute Figur ab. Selbst im zweiten Wahlgang schaffte sie die Wiederwahl gegen die SP nur äusserst knapp. Mit Gapany politisiert in Freiburg schon eine Frau der jungen FDP-Generation, aber die Greyerzerin war für viele Wählerinnen und Wähler als Ständerätin zu wenig präsent – im Vergleich zu Chassot ist das mit Blick auf die Voten und Eingänge der letzten Legislatur sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Mitte hingegen hat in Freiburg das Niveau gehalten und in Bern gar etwas überrascht. Für Parteipräsident Gerhard Pfister keine Überraschung. Er kündigte vor rund zwei Jahren in Belp an einer Rede schon an, dass die Mitte in diesen Wahlen gut dastehen würde. Er sollte Recht behalten.

Die GLP, in Köniz eine der stärksten Parteien, verteidigt ihre drei Sitze. Davon können die Kandidaten Casimir von Arx aus Köniz und Tobias Vögeli aus Frauenkappelen nicht profitieren. Dazu wäre ein Sitzgewinn vonnöten gewesen. Aber die junge Partei dürfte ihre Lehren aus diesen Wahlen ziehen. Finanzpolitisch und in der Klimapolitik ist die GLP klar positioniert und wird von der Bevölkerung entsprechend eingeschätzt. Doch die in diesem Jahr so zentralen sicherheitspolitischen oder sozialen Themen sind von anderen Parteien gut besetzt und bedient. Hier dürfte sich die GLP zukünftig noch klarer positionieren, auch wenn Vögeli als Gemeinderat und von Arx als Grossrat schon vermehrt in all den brennenden Punkten eine klare Haltung ihrer Partei dargelegt haben. Einen Achtungserfolg erzielt im Verteilgebiet dieser Zeitung Katja Streiff (EVP). Es war unwahrscheinlich, dass die kleine Partei einen Sitz dazugewinnt. Doch die Verteidigung desselben gelang. Damit wird die Wangentalerin zur Ersatzkandidatin. Sollte die EVP den Sitz neu besetzen müssen, rückt Streiff vor. «Ich bin überglücklich mit meinem Resultat», freut sich die Grossrätin entsprechend.

Einmittung der Extreme

Fasst man diesen Streifzug zusammen, bleiben einige wertvolle Erkenntnisse übrig: Mit Lars Guggisberg (SVP) und Hans Jörg Rüegsegger (SVP) auf der Berner Seite sowie Christine Bulliard (die Mitte) im Sensebezirk, sind die Nationalräte aus dem Verteilgebiet dieser Zeitung eher bürgerlich. Und genau dieses Resultat dürfte für die rotgrünen Städte entscheidend werden. Da der Grossrat sowohl in Bern wie auch in Freiburg in seiner Mehrheit bürgerlich ist und nun auch die Berner Nationalrätinnen und Nationalräte sowie ihre Freiburger Kolleginnnen in der Mehrheit  rechts des Spektrums liegen, dürfte dies den Druck auf die rotgrünen Städte erhöhen. Nicht direkt, aber von aussen. Denn die rotgrüne Mehrheit wird ausserhalb der Stadtgrenzen vielleicht auch vermehrt an Verständnisgrenzen stossen. Dann etwa, wenn es um Wirtschaftsfragen geht. Denn dieser Bereich findet in der Legislaturplanung vieler Städte nach wie vor nur sehr wenig Platz. Erhöhter Druck von aussen dürfte namentlich von den Wirtschaftsverbänden zu erwarten sein. Dass Verwaltungsangestellte gegenüber den Löhnen in KMUs Vorteile haben, dass die KMUs selbst von Verwaltungen oft administrativ umhergescheucht werden, dass dürften Themen sein, welche die Städte zukünftig nicht mehr einfach mit der schieren Ohnmacht der politischen Kräfteverhältnisse wegwedeln können. Eine SP-Frau, welche die Bedeutung der Wirtschaft in der Region mehr als nur verstanden hat, ist Tanja Bauer. Die Gemeindepräsidentin von Köniz lanciert ein Wirtschaftsapéro, nimmt die Vernetzung mit den lokalen Arbeitgebern mit auf ihre Agenda und erntet in den Wirtschaftsverbänden prompt viel Lob dafür.

Jein, insgesamt wird die Politik  nicht einfach nur bürgerlicher, hierfür ist die SP viel zu stark. Aber die SVP ist klar stärkste Partei und das wiederum spricht dafür, dass vermehrt Druck auf die rotgrünen Städte ausgeübt werden wird. Von aussen, vom Land und von der Wirtschaft. Die rotgrünen Städte müssen sich pünktlich zum Einbruch des Winters warm anziehen.

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