3 davon sind die Stiftung «Ar Sunnsyste» in Schwarzenburg, die «tilia» Stiftung im Grossraum Bern und das «Betagtenzentrum Laupen». Experten aus diesen Institutionen verraten, was sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie geändert hat, worauf sich die Häuser längst eingestellt haben und welche Pläne für eine erneute Verschärfung vorhanden wären.
Verantwortung im Privatleben
«Soweit wie möglich in Normalität zu leben, ist besonders wichtig», fasst Markus Wyss zusammen. Der Geschäftsführer des Hauses «Ar Sunnsyste» in Schwarzenburg legt grossen Wert darauf, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner möglichst frei bewegen können und Besuch empfangen können. Das klingt bei Carmen Angstmann, der Leiterin vom «Betagtenzentrum Laupen» ganz ähnlich: «Die Bewohner wissen, dass etwas auf der Welt ist, das vieles verändert hat. Sie haben den Anspruch, dass wir sie schützen, und das möglichst in dem Masse, dass sie trotzdem eine hohe Lebensqualität haben.» Der Leiter Pflege und Betreuung Sanel Jasksic ergänzt: «Wir haben viel informiert, damit dieses Bewusstsein entsteht.»
Um diese Freiheit garantieren zu können ist das Personal gefordert. Was sie in ihrer Freizeit machen, hat Auswirkungen auf ihren Beruf und den Kontakt mit den Bewohnern. «Wir haben eine Verantwortung zu tragen und das wissen eigentlich alle», erklärt Christine Chappuis, die Kommunikationsbeauftragte der «tilia» Stiftung. Dabei gibt «tilia» keine Empfehlungen oder gar Weisungen für das Freizeitverhalten der Angestellten ab, sondern sie setzen auf regelmässige Informationen. Mit diesem Konzept habe man sehr gute Erfahrungen gemacht und sie windet dem Pflegepersonal umgehend ein Kränzchen, indem sie ergänzt: «Das Ausmass der Verantwortung ist ungewohnt gross. Es ist fantastisch zu sehen, wie vorbildlich alle agieren.» Es ist eine Aussage, die Wyss und Angstmann vollends teilen. Ein Beispiel von Carmen Angstmann verdeutlicht dies: «Die Pflegenden haben in der Familie besprochen, was möglich ist, und haben ihr ganzes Leben angepasst. Das hat mich tief beeindruckt.» Aus dem gewundenen Kränzchen wird ein Kranz. Denn die Pflegenden leisten nach wie vor einen besonderen Effort. «Sobald die Lockerung kam, hiess das für uns: Die Bedrohung nimmt zu», resümiert Wyss. Corona ist nicht verschwunden. Für die Alters- und Pflegezentren bedeutet das, weiterhin Überragendes zu leisten – und dies kaum von der Öffentlichkeit bemerkt wird.
Verantwortung beim Besuch
Lockerung versus zunehmende Bedrohung ist eine Gleichung, die zudem Einfluss auf die externen Besucher hat. Die Gäste sind wichtig, das schliesst zudem die Freiwilligen mit ein. Diese gehören oft selber zur Risikogruppe und sind seit Ausbruch der Pandemie vermehrt ferngeblieben. Um also die von Wyss beschriebene Normalität leben zu können bedarf es wieder vermehrt der Freiwilligen und Besucher. Für die Häuser ist es aber wichtig, dass sämtliche Besucher sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Sanel Jaksic erklärt: «Wir haben alle Angehörigen schriftlich informiert, und wenn sie zu Besuch kommen, orientieren wir sie nochmals mündlich über die Schutzmassnahmen.» Eine notwendige Aufgabe für Angstmann, denn «die Freiheit der Besucher hört dort auf, wo die Gesundheit der Bewohner tangiert sein könnte. Unsere primäre Aufgabe ist es, für die Gesundheit unserer Bewohnerinnen und Bewohner zu sorgen in einer Zeit, in der sich Menschen nach Normalität sehnen und deshalb vielleicht dazu tendieren, etwas nachlässiger zu werden», fasst sie zusammen. Und dürfen Berührungen mit Angehörigen erfolgen? «Berührungen kann man nicht vermeiden, weder in der Pflege noch bei Besuchern. Es ist also immer eine Art Gratwanderung. Information ist einmal mehr zentral», schliesst Chappuis die Besucher in den Häusern von «tilia» mit in die Verantwortung ein.
Verantwortung im Haus
Zum neuen Alltag gehören unter anderem das regelmässige Des-
infizieren der Hände und das Tragen der Masken, wo immer nötig. «Das ist längst für alle klar», weiss Wyss. Bei 30 Grad über viele Stunden eine Maske zu tragen, kann für das Pflegepersonal zusätzlich belastend sein. Manche ermüden schneller, bekommen einen Ausschlag oder hinter den Ohren kommt es zu Hautirritationen. Es erfordert einmal mehr viel Herzblut und Verständnis ab. Die neuen Alltagshilfsmittel in ausreichendem Mass an Lager zu haben, war zeitweise gar nicht so einfach und eine weitere Herausforderung. Hat man aus dem Notstand gelernt oder neue Lösungen finden können? Bei allen Häusern sind die Lager wieder für Monate gefüllt und erneute Lieferengpässe könnten gut abgefangen werden. «Der Preis war hoch, die Teuerung für das rare Gut belief sich bis auf das 13fache des normalen Preis», erinnert sich Wyss. Der Kanton verlangt, ein Lager zu führen, das für 4 Monate ausreichen soll. Bund und Kantone haben keine Hilfe geleistet. Angstmann ist deshalb mit dem Vorgehen nicht ganz einverstanden und bringt gleich selber einen Vorschlag: «Lange hatte man Mühe, überhaupt Material zu finden. Die Folge waren steigende Preise und bei manchen Bestellungen bestand die Unsicherheit, ob die Ware überhaupt geliefert werden kann. Damit war zweitweise ein ganzes Team beschäftigt. Ich frage mich, ob vielleicht ein zentrales Lager nicht effizienter und zielführender wäre, als die aktuelle Situation, dass nun alle soviel Material bewirtschaften müssen.»
«tilia» hat sogar versucht, eigene Prototypen herzustellen, um im Notfall selber Masken oder Überwürfe zu machen. So sagt Chappuis: «Unsere Erkenntnis war, dass wir selber Ressourcen hätten für den Notfall.» Trotz gefüllter Lager und Prototypen: Handschuhe sind und bleiben Mangelware.
Verantwortung in der Strategie
Würde dieser besagte Notfall wieder eintreten, hätten alle ihr Szenario griffbereit. Um das Leben in der ausserordentlichen Lage zu erleichtern, würde man nicht Einzelpersonen, sondern eher Wohngruppen isolieren, damit diese wenigstens noch untereinander Kontakt haben. Chappuis bringt es folgendermassen auf den Punkt: «Vielleicht ist eine Vereinsamung bei uns sogar weniger der Fall, wie bei jemandem, der alleine lebt.» Eine schwere Aufgabe für die Häuser ist sicherlich, wie genügend Personal zur Verfügung gestellt werden kann, wenn isoliert werden muss, und wer den Kontakt mit Erkrankten auf sich nimmt. «Der Zivilschutz wäre bei grösserem Personalausfall eine mögliche Hilfe», berichtet Wyss. Auch Laupen und «tilia» bauen auf diese Möglichkeit. Zudem gilt es abzuklären, «wer bereit ist, mehr zu machen als üblich und, wenn ja wieviel. Natürlich absolut freiwillig», erklärt Chappuis. Letztendlich ist es zentral über genügend Personal zu verfügen, mehr, als eigentlich vorgeschrieben wäre.
Einmal mehr halten die 4 Befragten auch in diesem Zusammenhang den Kranz hoch: Die Bereitschaft sei beim Personal enorm hoch, bis heute. Dieses Herzblut und diese Verantwortung bekommen noch mehr Bedeutung, wenn man weiss, dass während des Lockdowns manche dieser Menschen ihre Kinder oder Eltern nicht sehen konnten oder an Beerdigungen nicht teilnehmen konnten.
Verantwortung im Alltag
«Ich bin doch nicht giftig», lautete eine Aussage einer Bewohnerin, als die Gäste von ausserhalb während des Lockdowns fernblieben. Wie erleben die Bewohner diesen neuen Alltag. Verstehen Sie die Problematik? Hier gibt es keine allgemeine Antwort. Menschen, die zum Beispiel stark an Demenz leiden, können die Masken oder Abstandsregeln nicht immer nachvollziehen. «So nehmen sie doch den Teller aus dem Gesicht», meinte etwa eine Demenzkranke gegenüber einer Aktivierungsfachfrau, die eine Maske trug. Das geduldige Erklären und das Sicherstellen einer neuen Normalität sind die zentralen Pfeiler und eine weitere Herausforderung für, wie Sie ahnen werden, das Pflegepersonal.
Die Vorgaben des BAG oder der Berner Gesundheitsdirektion ändern sich ständig. «Wir dürfen nichts verpassen, deshalb wären wir manchmal froh, wenn die Informationen seitens der Behörden etwas schneller und klarer fliessen würden», erklärt Wyss. Angstmann blickt auf die Lockdown-Phase zurück: «Das Hauptproblem war, die verzögerte Kommunikation des Kantons. Oft kamen Informationen erst am Freitagnachmittag und wir waren angehalten, diese übers Wochenende umzusetzen.»
Die Zentren haben den neuen Corona-Alltag im Griff und sind für eine erneute Verschärfung gerüstet – trotz teilweise nicht idealer Versorgungslage und nicht ausreichendem Informationsfluss. Vor allem dank all der Menschen, die tagtäglich die «Normalität» sicherstellen. Das Lob von Wyss, Angstmann und Chappuis an die Adresse des Personals geht weit über die Höflichkeitsfloskeln hinaus. Was die Menschen in und rund um die Zentren leisten, ist nach wie vor schlicht und ergreifend heldenhaft.