Diese Kurzgeschichte handelt ausdrücklich nicht von einem kurz zuvor im IC Bern–Zürich ebenfalls unfreiwillig mitgehörten (und diskret mitprotokollierten…) Gespräch zwischen dem Topshot der Tetra Pak und einem Profax der Hochschule St. Gallen, wo frischfröhlich und ausführlich Strategien, Marktanalysen, Machenschaften (!) und Zahlen ausgeplaudert wurden. Es geht auch nicht um das Gespräch jener zwei bekannten Nationalräte aus der Wirtschaft, die kräftig «Internes» (um nicht zu sagen «Intimes») von sich gaben. Nein, heute geht es um einen vermeintlich vertraulichen Dialog zweier Bankenvertreter.
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Eines sei vorweg zur Ehrenrettung der beiden Bankenplauderis verraten: Sie konnten wirklich nicht ahnen, dass meine scheinbare Schreib- und Rechentätigkeit im Nebenabteil nur schlitzohrig vorgetäuscht war und ich ihnen mit Argusohren zuhörte und alles mitschrieb. Aber es war ganz einfach zu gluschtig, was die beiden aufzutischen wussten. Wegzuhören wäre einer Beleidigung gleichgekommen. Echt.
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«Wir haben nur ein Ziel. Wir wollen raus aus diesem verdammten Verfahren, aber das können wir nur, wenn wir Namen nennen, und das wollen wir nicht», würde wohl jeden halbwegs interessierten Journalisten aufhorchen lassen. Zwar bin ich keiner, aber interessiert. Es geht in der Konversation munter weiter, ich schreibe mit: «Um 16.15 Uhr kommt das Telefon aus dem Bundesamt für Polizeiwesen. Es kommt darauf an, wie die Amerikaner das Rechtshilfeabkommen interpretieren.» Ich schreibe mit. «Wir wollen Liechtenstein nicht an die grosse Glocke hängen, weil verschiedene Generaldirektoren im Stiftungsrat sitzen.» Und: «Es ist übrigens ausgesprochen dumm, wie er das angestellt hat. Immer wieder taucht der Name S* auf.» Oder: «Wir blockieren die Vermögenswerte und er bezahlt die laufenden Kosten. Mit den Kontoeröffnungsunterlagen halten wir bewusst zurück.» Undsoweiterundsofort. Details noch und noch.
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Zu dumm, in Bern heisst es Abschied nehmen. Da, plötzlich! Auch die beiden Bankenmanager stehen auf. In Sachen Personenobservation völlig unerfahren, begehe ich den unverzeihlichen Fehler, zuerst auszusteigen. In der Unterführung tue ich dergleichen, als ob die Plakate der Zugsankünfte von Interesse wären. Die Bankheinis gehen an mir vorbei, ich ihnen nach. Derrick lässt grüssen. Die beiden «Verfolgten» verabschieden sich im Untergrund. Wem folgen? Und weshalb überhaupt? Ich entscheide mich für den Jüngeren der beiden. Rolltreppe rauf. Dank des eingeschlagenen Wegs lässt sich vermuten, zu welcher Banken-Zweigstelle er gehen könnte.
Zufall (immer diese Zufälle…): Am Hauptsitz eben dieser Bank kenne ich jemanden, der auf der Direktionsetage arbeitet. Ein privater Anruf mitsamt Personenbeschreibung reicht aus. Meine beiden Mitreisenden arbeiten tatsächlich bei der vermuteten Bank. Bingo. Ich plaudere die Sache einem Wirtschaftsjournalisten aus – und jener wird sehr rasch fündig. Es geht um die vom Bundesamt für Polizeiwesen BAP verlangte Rechtshilfe an die amerikanische Börsenaufsicht SEC in der Insideraffäre P*. Davon betroffen sind acht sogenannte Schweizer Geldinstitute, eines davon die in Frage stehende Bank, ein anderes die Firma S* (merken Sie öppis?). Kurz: Happiges braut sich da zusammen, zumal weder dem BAP noch der SEC die «Zuginfos» bekannt sind. Bankintern brennt es lichterloh, weil die offene Panik ausbricht, der Journalist, der inzwischen die Pressestelle offiziell kontaktiert hat, könnte die Story publizieren. Durch meinen direkten Bankendraht sind wir immer à jour, was sich beim Geldinstitut exakt tut und welche Strategie man dem Journalisten gegenüber zu verfolgen gedenkt. Wunderbar.
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Wie die Sache ausgegangen ist? Nun, als die Lage der Bank derart ungemütlich wird, dass sie bei einer Publikation mit echten Nachteilen rechnen müsste, da lässt sie diskret, aber unmissverständlich ihre Muskeln spielen, sodass sich der Journalist nach Rücksprache mit mir entschliesst, den an sich druckfertigen Artikel zurückzuziehen. Der oberste Bankenboss himself lässt sich daraufhin nicht lumpen. Für die Nichtveröffentlichung kommen 24 Flaschen feinen Rotweins daher. Volnay, Clos des Chênes, für alle, die es genau wissen wollen. Santé.