«Die Haare sind Ausdruck unseres Selbst.» Davon ist Martin Burri aus Thörishaus überzeugt. Einst ein erfolgreicher Schweizer Friseur, stellte er in seinen Dreissigern sein Handwerk vermehrt in Frage und begann, einen anderen Ansatz – seinen Ansatz – des Haareschneidens zu entwickeln. Wobei er das Wort Schneiden nicht gerne in den Mund nimmt. Dies verweise auf einen brutalen Akt, lieber spricht er davon, Haare dorthin zu begleiten, wo sie sich wohlfühlen. Bevor er sich in Richtung Naturcoiffeur orientierte, war seine berufliche Laufbahn die eines erfolgreichen, traditionellen Friseurs. In jungen Jahren hatte er das Geschäft seiner Eltern übernommen und erfolgreich erweitert. Er hatte sieben Angestellte und 14 Bedienungsplätze, daneben war er als Präsident in der Sektion Bern des CAS (Coiffeur Artistik Suisse) aktiv. An Wochenenden frisierte er Models an Berufsschauen noch attraktiver. All dies fühlte sich für ihn aber irgendwann nicht mehr richtig an. «Ich konnte mein Gschpüri nicht zum Wohle meiner Kunden einsetzen. Die Arbeit war nur oberflächlich», sagt Burri. Also machte er sich auf die (Sinn-)Suche. Antworten fand er in der Natur, beim Marathonlaufen und Bergsteigen. Damals habe er begonnen, sich und seine Umgebung genauer zu beobachten. «Nicht nur mit den Augen, sondern vor allem mit dem Herzen», betont er. «Ich realisierte, dass die Natur ähnliche Mechanismen hat wie die Haare», sagt Burri. «Wie zum Beispiel bei einem Ährenfeld. Wenn die Pflanzen gesund und stabil sind und der Wind bläst, bewegen sich die Ähren alle miteinander in einem Guss», vergleicht er.
Natürlich schön
Ein Prozess setzte sich in Gang: er arbeitete wieder alleine. Auf dem gleichen Stockwerk besass seine Frau noch eine Praxis für Medizinische Massage. Ganz alleine sei er also doch nicht gewesen, sagt er schmunzelnd. Im Coiffeur-Geschäft waren jedoch nur noch er und die Kundin. Für diese habe er sich all die Zeit genommen, die es brauchte. Kein Telefonklingeln störte die Ruhe, da die Kunden nur noch auf die Combox sprachen. Die Spiegel kamen weg. Er begann, eine auf Wertschätzung basierende Beziehung zu den Menschen und ihren Haaren aufzubauen, indem er die Haare und deren Trägerin achtsam zu lesen und zu verstehen versuchte. Statt Trendfrisuren schnitt er die Haare in Wuchsrichtung, entsprechend ihren natürlichen Bewegungen. «Es geht weniger darum, ein Bild nach aussen zu vermitteln, sondern ein stimmiges Gefühl nach innen zu erwecken und so die authentische und natürliche Erscheinung zu fördern», ist Burri überzeugt, der das Haar als ein lebendiges Organ versteht, das eng mit der Psyche verbunden ist. «Wird das Haar entsprechend seiner natürlichen Bewegung geschnitten, muss dieses nicht aufwendig frisiert werden, es fällt natürlich schön», sagt er. Eine «erzwungene» Frisur müsse alle paar Wochen erneuert werden, sei mit grossem Aufwand verbunden. «Wer möchte das schon?»
«Sehr oft werden Haare mit einer Sehnsucht gleichgesetzt», so Burri. Hinter dem Wunsch nach einer anderen Haarfarbe könne beispielsweise der Wunsch nach einer Veränderung im eigenen Leben stehen. Nach mehr Farbe im Leben. «Im Kern geht es immer um den Wunsch nach grös-
serer Wertschätzung», ist er überzeugt.
Haare mehr bürsten
Seit einem Hirnschlag vor acht Jahren kann er seiner Berufung, dem Haareschneiden, nicht mehr nachgehen. Die Haare stellen aber nach wie vor den Mittelpunkt seiner Tätigkeit dar. Als Referent reist er im In- und Ausland herum, er gibt Seminare und bietet in seinem Zuhause in der Praxis seiner Frau in Thörishaus Haarsprechstunden an. Zusätzlich hat er in den letzten vier Jahren ein Buch geschrieben über seinen Lebensweg, und damit verbunden, über die Haare, die gemäss Burri «der Faden der Seele» sind. In diesem erfährt der Leser viel über dessen Philosophie gesunder und somit schön fallender Haare. Man müsse kein Experte sein oder viel Geld ausgeben, um seine Haare gesund zu halten, betont er. «Bauen Sie eine Beziehung zu Ihren Haaren auf, seien Sie achtsam und waschen Sie diese nicht täglich», so ein paar seiner Empfehlungen. Wer seinen Haaren Gutes tun will, sollte diese zudem regelmässig bürsten. «Am besten morgens und abends», betont Burri. «Beim Bürsten wird der Talg bis in die Spitzen verteilt und damit das Haar gepflegt. Zudem wird die Durchblutung des Kopfes angeregt, was wiederum das Wachstum der Haarwurzeln fördert.» Unsere Mütter und Grossmütter würden ihm wohl zustimmen, schon sie wussten: «Hundert Bürstenstriche am Tag lassen das Haar glänzen.»