Es ist seltener als selten. Zum einen, dass überhaupt eine Initiative zustande kommt, wenn das Könizer Parlament einmal einen Entscheid gefällt hat; zum anderen, dass alleine die Formulierungen in der Abstimmungsbotschaft zu einer mehrstündigen Debatte führen.
Sonder- oder Glücksfall?
Elf Seiten umfasst das strittige Dokument, in dem die Gegnerschaft der Initiative ihre Änderungsanträge aufführt. «Eine Parlamentsmehrheit hat Angst vor der Wählerschaft und dieser Initiative, deshalb all die Änderungen», mutmasst Reto Zbinden (SVP). Rahel Gall (SP) kontert und zitiert Zbindens Parteikollegen und Nationalrat Lars Guggisberg: «Gefordert sind mehr und gute Lernende für Gewerbe und KMU. Die Spez-Sek Lerbermatt ist keine Vorbereitung darauf, wir brauchen nicht nur Akademiker.» Dominic Amacher (FDP) sieht das anders: «Die Lerbermatt ist ein bewährtes, beliebtes und gut funktionierendes, ja sogar ein einmaliges Angebot. Seit Jahren versucht man das abzuschaffen, seit Jahren wehrt sich das Volk erfolgreich dagegen.» Casimir von Arx (GLP) richtet seine Worte gleich an die Schülerschaft, die in grosser Zahl der Parlamentssitzung im Rossstall beiwohnt: «Wieso will das Parlament euer Schulangebot abschaffen? Nicht, weil wir die Lerbermatt schlecht finden, sondern weil wir auf die Bildungslandschaft als Ganzes schauen müssen.» Die Lerbermatt ist ein Sonderfall, weil der Kanton dieses Angebot – zumindest theoretisch – abschaffen könnte, auch wenn es in der Gemeindeordnung verankert ist. Lehrerin und SVP-Parlamentarierin Corina Burren entgegnet: «Keine andere Gemeinde hat ein solch gutes Angebot, das sie ihren Bürgerinnen und Bürgern bieten kann. Die Gegner der Ini-
tiative haben mit pädagogischen Argumenten begründet. Das stelle ich als Lehrerin in Frage. Tendenziell sind starke Schülerinnen und Schüler mit anderen Starken besser gefördert, als wenn es durchmischt ist.» Merken Sie etwas? Eigentlich ginge es noch immer um das Abstimmungsbüchlein, die Diskussion ist aber längst wieder in eine Grundsatzdebatte abgedriftet.
Was ist objektiv?
Genützt hat es wenig, die Kräfteverhältnisse im Parlament sind klar verteilt, sämtliche Änderungsbegehren auf diesen elf Seiten fanden eine Mehrheit. Die SP und die Grünen haben fast geschlossen dafür plädiert, die Mitte ist etwas aufgeweichter, aber mehrheitlich ebenfalls gegen die Initiaitve. Die Frage ist also, welches Büchlein ist nun objektiver; das vor den Änderungen oder das nachher? Die Antwort liegt in den Inhalten der Änderungen verborgen. Unter anderem wollen die Gegner stärker betont haben, dass die Schulleitungen ebenfalls gegen den Erhalt der Lerbermatt sind. Es sollte aber auch einiges gestrichen werden, etwa die letzte Volksabstimmung, die allerdings schon viele Jahre zurückliegt, in der sich die Bevölkerung für den Beibehalt der Lerbermatt ausgesprochen hat oder aber dass alle Fächer auf Spez-Sek-Niveau unterrichtet würden, weil das von der Gegnerschaft bezweifelt wird.
Bildungsvielfalt?
Letztendlich liegt der Zankapfel, sowohl bei dieser Änderungsflut wie auch beim Thema selbst, hinter den Begriffen Chancengleichheit und Bildungsvielfalt verborgen. Zwei Begriffe, die beide Seiten für ihre Argumente beanspruchen. Die Gegner wollen keinen Sonderfall Köniz und stützen das kantonale Schulmodell; sie erkennen Stärken in der Druchlässigkeit und einem breiten Angebot. Die Befürworter der Lerbermatt hingegen unterstreichen mitsamt vielen Schülerinnen und Schülern, wie gut das System funktioniert, und wollen den Abbau dieses Angebots verhindern. Ist also der Erhalt nun Bildungsvielfalt oder wäre dies eher die Stärkung der Spez-Sek-Angebote in allen Oberstufen? Ist die Chancengleichheit erhöht, wenn es die Lerbermatt-Spez-Sek nicht mehr gibt? Diese Fragen gilt es am 19. November zu beantworten.
«Grotesk», «Mythos», «Fake-News». Harte Worte hallen durch die ehrwürdigen Räumlichkeiten des Rossstalls. Der Grund ist fast so alt wie jene Zeiten, in denen effektiv noch Pferde im Rossstall Heu frassen. Die Parlamentsmitglieder liefern sich erneut einen Schlagabtausch in einem der ältesten Traktanden – und dabei geht es lediglich um den Text in der Abstimmungsbotschaft. Was nach der Debatte zurückbleibt sind: viele Emotionen und noch mehr Änderungen.