Vor wenigen Wochen starteten die Schachspieler in die Saison 2024 zur Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft SMM. Mit dabei auch der Schachklub Köniz-Bubenberg, der in der 1. Liga spielt. Aussergewöhnlich ist seit einigen Monaten ein Mitglied des Teams, nämlich der 56-jährige Igor Yarmonov aus der Ukraine, fünffacher Schachweltmeister (und Weltmeister als sogenannter Schachkomponist) unter Menschen mit eingeschränkter körperlicher Mobilität. Er erlitt bei seiner Geburt einen Sauerstoffmangel, mit Folgen bis heute. Weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht mit anderen Kindern draussen spielen konnte, brachte ihm sein Vater Schach bei, wo Igor schnell zu einem begnadeten Spieler avancierte.
Zwei Kriege, kein Frieden
Die Umstände seines heutigen Schweizer Aufenthaltes sind für einen Schweizer unvorstellbar. Die «Times of Israel» beschreibt den ersten Teil seines Leidenswegs in einem ausführlichen Bericht. Igor Yarmonov und seine Frau Galina Gurina lebten in Mariupol, einer der Städte in der Ukraine, die von den Russen in Trümmer geschossen wurden. So wurden zum Beispiel gezielt Brandbomben auf Wohnblöcke abgeschossen, deren Feuer sich nicht löschen liessen, weil die Wasserversorgung zuvor zerstört wurde. Auf weitere Details zu den menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Mariupol verzichten wir an dieser Stelle bewusst. Was Galina Gurina uns anschliessend über ihre Flucht erzählt, wobei sie Fotos auf dem Handy zeigt, gleicht dem Trauma durch die Finsternis einer Apokalypse. Den Film «20 Tage in Mariupol», der als bester Dokumentarfilm mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, könne sie sich «nicht anschauen», sagt sie.
Erster Zeitsprung: Ihre Reise endete dank der Unterstützung von Schachfreunden aus aller Welt nach einer Odyssee in Israel. Vorerst. An ein gemütliches neues Zuhause war indes nicht zu denken. Nicht bloss, weil ein Mangel an Wohnraum für Flüchtlinge und Asylsuchende vorhanden ist. Igor Yarmonov und Galina Gurina haben beide Einschränkungen und verschiedene gesundheitliche Probleme – Igor Yarmonov Asthma bronchiale bei geschwächtem Immunsystem, Galina Gurina leidet unter Zöliakie – ganz abgesehen von den psychischen Belastungen, die auf die Erlebnisse in der Ukraine zurückzuführen sind. Israelische Freiwillige haben in einem Crowdfunding Geld für einen elektrischen Rollstuhl für Igor gesammelt. Die beiden Geflüchteten werden schliesslich in einem Zimmer in einem Zentrum für Menschen mit Einschränkungen in Ashdod untergebracht. Die sechstgrösste Stadt Israels liegt nur ungefähr 50 Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt. Es folgte der 7. Oktober 2023.
Grosser Bär weckt Glücksgefühl
Zweiter Zeitsprung: Igor Yarmonov und Galina Gurina flüchten ein weiteres Mal vor einem Krieg. Seit Ende Oktober 2023 sind sie dank der Unterstützung vieler Freiwilliger in der Schweiz. Von den Schweizer Behörden und allen im Asylwesen Engagierten fühlen sie sich gut unterstützt. Galina erzählt von einem Höhepunkt in der Schweiz: «In Oberhofen sahen wir in einer klaren Nacht die Sterne des Grossen Bären, in der gleichen Konstellation wie in der Ukraine.»
Im Mai konnten sie übrigens eine rollstuhlgängige Wohnung in Bümpliz beziehen. Wie aber kam das Ehepaar zum Zeitpunkt unseres Treffens von Oberhofen nach Köniz zu den Spielen an den SMM? Hier kommt Michael Weber ins Spiel, Sportchef des Schachklubs Köniz-Bubenberg: Er holte Igor Yarmonov und Galina Gurina jeweils mit dem öV ab, brachte sie nach Köniz und zurück nach Oberhofen. Dies, weil beide kein Englisch oder Deutsch sprechen. Anna Butan ist Dolmetscherin und hilft in besonderen Situationen aus, so auch bei unserem Treffen in Köniz.
Zurück in den Versammlungssaal des Pfarrei St. Joseph, wo der Schachklub Köniz-Bubenberg gegen den stärker eingeschätzten Klub aus Court unentschieden spielt. Sogar ein Sieg wäre möglich gewesen. An Igor Yarmonov lag es nicht. Er gewann seine Partie gegen den besten Spieler des Gegners. Als wir uns verabschieden, schenken wir Igor Yarmonov die Doppel-CD «Chess», von Björn Ulvaeus sowie Benny Andersson komponiert, den beiden «B» von ABBA.