Von einer spontanen Idee zum Erstlingswerk

Von einer spontanen Idee zum Erstlingswerk

Normalerweise war für diese Ausgabe ein Bericht über das Theater Gurten und Livia Anne Richards neues Stück «ALTER! – Experiment Generationenhaus», das ab Juni aufgeführt werden sollte, geplant. Aufgrund von Corona mussten die Aufführungen jedoch abgesagt werden. Zeit für die Regisseurin, an der Fortsetzung ihres Romans zu schreiben.

Als Anna 4 Jahre alt ist, realisiert sie, dass sie beim Cowboy-und-Indianerspielen immer die Squaw sein muss, weil sie das einzige Mädchen im Quartier ist. Das akzeptiert sie nicht und erklärt den Jungs: «Ab morgen bin ich Winnetou.» Die Reaktion: ungläubiges Lachen und Weigerung. Das Mädchen schlägt vor, eine Mutprobe zu machen. Sie besteht diese und gibt danach das Amt des Häuptlings nicht mehr ab. Ab da macht sie die Regeln. Dieses prägende Erlebnis zieht sich wie ein roter Faden durch Annas Leben. In Livia Anne Richards Buch «Anna der Indianer» begleitet man die Hauptfigur auf ihrem Weg vom Mädchen zur reifen Frau und erlebt, wie sie sich nicht mit der ihr angedachten weiblichen Rolle zufriedengibt. Ein Buch über das Finden der eigenen Identität, über das «Draufpfeifen», was die Gesellschaft von einem will.

«Es ist in erster Linie ein Buch für Frauen in jedem Alter. Es könnte sein, dass sie danach anders durchs Leben gehen. Ich habe solche Rückmeldungen schon erhalten», erklärt die Autorin. Feed­backs hat sie viele erhalten. Die Jüngste, die ihr schrieb, war 11, die Älteste 87. Deren Post freute Richard besonders: «Sie meinte, dass es ihrer Frauengeneration gutgetan hätte, wenn es unter ihnen mehr ‹Indianer› gegeben hätte.» Aber auch Männer äusserten sich zum Buch, einer meinte etwa: «Ich sehe in die Seele von einem Mädchen, das zur Frau wird, wie ich es bisher nicht gelesen haben.»

Der Schreibprozess
«Vor ca. 5 Jahren hatte ich das Bedürfnis, nicht nur Dialoge fürs Theater zu schreiben, sondern Prosa», berichtet die 51-Jährige. «Ich schrieb 12 Seiten über eine Frau, die lachend bei einer Beerdigung steht. Es ist die Anfangsszene meines Buches, nur wusste ich das damals noch nicht. Die Hauptfigur hiess auch noch nicht Anna.» Danach legte sie den Entwurf beiseite und er geriet in Vergessenheit, bis sie ihn beim Aufräumen wiederentdeckte. «Da hat es mich wieder gepackt. Ein paar Wochen lang habe ich Tag und Nacht daran gearbeitet», sagt die Autorin. Die Geschichte habe sich erst während des Schreibens entwickelt: «Es ist, als würde ich einen Raum betreten, in dem die Figuren auf mich warten und dann zu mir reden.» Erst im Schreibprozess habe sie erkannt, dass da vielleicht ein Buch entstehe. «Ich habe das Manuskript an die ehemalige NZZ-Literaturkritikerin Beatrice Eichmann-Leutenegger geschickt mit der Bitte, mir ehrlich zu sagen, was sie davon hält», erläutert Livia Anne Richard das weitere Vorgehen. Ihre Erwartungen wurden übertroffen, die Kritikerin war nicht nur begeistert, sondern gab auch direkt Tipps an welche Verlage sie sich wenden könnte. Ein Glück für Richard, die selbst «keine Ahnung von dieser Branche hatte», wie sie sagt.

Von den 4 Verlagen, die sie anschrieb, waren 2 interessiert. Darunter ein sehr grosser, der aber verlangte, dass sie den Schluss ändere, was «für mich nicht in Frage kam», und der «Cosmos Verlag» in Muri, mit dem sie jetzt zusammenarbeitet. Ein kleiner, familiärer Betrieb, bei dem sie sich wohlfühle. Die ausverkaufte Vernissage im «Stauffacher Bern» musste aufgrund der Coronasituation abgesagt werden. «Ich habe die Leute dann alle angeschrieben, in der Art, dass sie wohl jetzt Zeit zum Lesen hätten und ich hätte Zeit zum Signieren», lacht Livia Anne Richard. Die Aktion war ein Erfolg, es folgten viele Bestellungen und viele positive Rückmeldungen.

Wie alles begann
Romanautorin ist Richard erst seit kurzem, bekannter ist sie als Theaterautorin und Regisseurin des Theaters Gurten. Auch hier verlief der Weg ungewöhnlich. Dass sie während ihrer KV-Lehre ein Austauschjahr in den USA machte, sollte sich als Wink des Schicksals herausstellen. In der «Highschool» wurde ihr Talent fürs Schauspiel entdeckt. Zurück in der Schweiz baute die in Kehrsatz aufgewachsene Regisseurin 1997 zusammen mit Peter Leu das Freilichttheater Moosegg auf. Dort war Franz Matter Regisseur und sie seine Assistentin. Matters Schicksal ist dafür verantwortlich, dass die damals 30-Jährige ihre wahre Berufung fand: «1999 rief Franz mich an, nachdem er erfahren hatte, dass er todkrank ist und nur noch wenige Wochen leben würde. Er bat mich, in Ittigen seine Freilichtinszenierung mit 120 Darstellenden zu übernehmen», erzählt Livia Anne Richard. Sie sei quasi wie die «Jungfrau zum Kind» zu diesem Job gekommen. Dadurch entdeckte sie, dass sie mit der Regiearbeit glücklicher ist als mit dem Schauspielen. Sie fing mit Inszenieren an und im Jahr 2000 erschien ihr die Idee eines Theaters auf dem Gurten im Traum. Daraus entstand die feste Kulturinstitution Theater Gurten, die bis heute über 180’000 Menschen begeistert hat. Die Uraufführung von Richards «ALTER! – Experiment Generationenhaus» wird nun im Sommer 2021 stattfinden. «Ich werde das Stück noch leicht umschreiben, denn die Welt vor und nach Corona unterscheidet sich», meint die Schriftstellerin, die der momentanen Situation auch Positives abgewinnen kann: «Ich habe Zeit zum Schreiben. Eigentlich dachte ich, die Geschichte von Anna sei fertig, aber dann hat sie sich wieder in meinem Kopf eingenistet.» Wenn es weiter so gut läuft, wird die Fortsetzung von «Anna der Indianer» im Herbst fertig sein und im Frühjahr 2021 erscheinen.

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