Jacqueline Grosjean, wo sind Sie aufgewachsen?
In Kehrsatz, 2001 sind wir nach Niederwangen gezogen und nach einem Abstecher in Thörishaus wohne ich seit 2011 mit meiner Mutter und meinem Bruder in Oberwangen.
Und was arbeiten Sie?
Ich bin seit 1987 zu 40 % im Naturhistorischen Museum Bern beschäftigt, ich arbeite dort als Insektenpräparatorin.
Hoppla… Mit einer Insektenpräparatorin hatte ich noch nie zu tun. Wie kommt das?
Da müssen wir in meine Kindheit zurück. Als kleines Modi habe ich tote Wespen zu sammeln begonnen. Das erstaunt mich heute noch, weil ich damals eine Wespenphobie hatte. Plötzlich war die weg, keine Ahnung, weshalb. Eine Therapie habe ich jedenfalls nicht gemacht.
Und was haben Sie mit den toten Wespen angestellt?
Das tönt jetzt vielleicht blöd, aber ich habe mit ihnen gespielt. Ich weiss, ich weiss… als Mädchen spielt man mit Puppen, aber ich hatte plötzlich Interesse an Insekten, über die Wespen hinaus (schmunzelt). 1983 konnte ich eine Schnupperwoche im Naturhistorischen Museum absolvieren, Schwerpunkt Insekten. Das hat mir gefallen und von diesem Moment an wusste ich, womit ich mich später beschäftigen wollte. Daheim habe ich mich darauf spezialisiert, Insekten korrekt zu präparieren.
Dazwischen liegen fast vier Jahre. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
(Überlegt) 1984 habe ich beim Band in Bethlehem gearbeitet, an einem geschützten Arbeitsplatz. Seit meiner Geburt leide ich nämlich an einer cerebralen Bewegungsstörung, habe Gleichgewichtsstörungen und Angst davor, einen Misstritt zu machen.
Respekt, wie Sie das einfach so sagen.
Wieso Respekt? Ich finde, die Menschen, mit denen ich in Kontakt komme, dürfen und sollen das wissen. Das erspart ihnen nicht gestellte Fragen, aus falsch verstandenem Schamgefühl.
Trotzdem, ich finde das nicht selbstverständlich. Zurück jetzt aber ins Naturhistorische Museum. Die Insekten – wie viele sind es insgesamt? – befinden sich meistens in Schubladen unter Glas.
Das stimmt. Es sind über eine Million Exemplare, die für die Besucherinnen und Besucher entweder ausgestellt sind oder sich in einer Art Sammellager befinden, welches auf 14 Grad gekühlt wird.
Das tönt fast wie in einem Weinkeller… Weshalb denn das?
Wegen der Anthrenus verbasci, den winzigen Wollkrautblütenkäfern, auch Museumskäfer genannt, die sich über tote Insekten hermachen. Bei 14 Grad schlüpfen ihre Eier nicht. (Ihre Mutter ergänzt, mit der Materie vertraut) In der Natur sind diese Käfer nützliche Insekten, sie bauen tote Tiere ab, ähnlich den Schmeiss- und Fleischfliegen. Aber im Museum haben sie definitiv nichts verloren.
Jacqueline Grosjean, eine Million Insekten… Ich könnte mir vorstellen, dass es immer mehr werden.
Dem ist so! Und wenn Sie bedenken, dass es unzählige Insekte auf der Welt gibt – und dazu zählen auch Schmetterlinge –, so werden Sie sich vorstellen können, was da alles zusammenkommt. Nicht bloss, weil man immer neue Mutationen entdeckt. Vielfach ist es nämlich so, dass wir peinlich genau geführte Sammlungen geschenkt erhalten, meistens durch Erben von verstorbenen Menschen, die einen Bezug zu Bern hatten. Anders gesagt: Uns geht die Arbeit nicht aus! Übrigens arbeite ich in einem tollen Team.
Nun haben Sie bestimmt ein Lieblingsinsekt. Wir hören.
Die Gottesanbeterin. Und das kommt so: Als Mädchen habe ich immer die Biene Maja im Fernsehen verfolgt, aber auch ihre Comicbücher angeschaut. Und da kamen Gottesanbeterinnen vor. In die habe ich mich sozusagen verliebt.
Wenn ich mich an meinen eigenen Naturkundeunterricht erinnere – ist allerdings schon ein paar Jahre her –, da gibt es Spezielles zur Gottesanbeterin, nicht wahr?
Wie zahlreiche andere Fangschrecken praktiziert auch die europäische Gottesanbeterin sexuellen Kannibalismus, das heisst, dass das Männchen in freier Wildbahn in den meisten Fällen während oder nach der Paarung vom Weibchen aufgefressen wird. Passiert aber bei mir zuhause nicht.
Weil?
Ich halte mir sechs Gottesanbeterinnen in einem Terrarium, Weiblein und Männlein schön getrennt. Sie wissen jetzt ja, weshalb (lacht).