Es waren Minuten des Schreckens: Kurz nach Mitternacht überflogen rund 100 britische Avro Lancaster am frühen 13. Juli 1943 die Schweiz. Wegen der Föhnlage und heftigem Unwetter mussten einzelne Flugzeuge Ballast abwerfen, um an Höhe zu gewinnen. Es kam zu ungewollten «Bombardierungen» in Riggisberg, aber auch im Val de Ruz, in Flamatt, Lutry, bei Interlaken und im Saanenland wie auf b17museum.ch nachzulesen ist. Fragen wirft ein Augenzeugenbericht auf, wonach ein «Einzelgänger aus dem Schwarm», also der Staffel, ausgeschert sei und dann über Riggisberg seine tödliche Last von rund 1,2 Tonnen abgeworfen habe, wie in «Der Bombenabwurf von Riggisberg» des Luftschutzverbandes der Stadt Bern zu erfahren ist. Zwei Bomber stürzten ausserdem nach Beschuss durch die Schweizer Luftwaffe bei Le Bouveret und Sion ab, wobei die Crews ums Leben kamen.
Bilder des Schreckens
Augenzeugen erinnern sich an die «Nachtflieger» über Riggisberg und die vom Himmel fallende «Marmorkugel», eine Bombe mit grossem Zerstörungspotenzial. Und einige haben das Brummen der Motoren, den Lärm von Kanonen der Fliegerabwehr bei Thun noch heute in den Ohren.
Insgesamt fielen etwa 230 Bomben vom Himmel, darunter 200 Stabbrandbomben, 25 Phosphorbrandbomben, eine Hochbrisanzbombe und eine Sprengbombe. Die Einschläge waren auf einer Fläche von einem Kilometer auf 250 Meter zu sehen, quer durch das Dorfgebiet. Betroffen waren etwa die Haselmatt, der Hirzboden, die Moosmatt, das sogenannte alemannische Bauernhaus im Dorfzentrum, die heutigen Gebäude Hintere Gasse 3, Moosmattweg 5 und Stockhornweg 12. Trotz grosser Schäden kam jedoch niemand ums Leben.
Am 15. Juli 1943 war das Ereignis auch im Gemeinderat Thema. «Präsident Ernst Brand streift noch das Unglück, welches den Verhältnissen entsprechend doch noch so schonungsvoll verlaufen sei. Er hebt im Besonderen hervor, dass die Regierung (…) der Bevölkerung und namentlich der Feuerwehr und Ortswehr ihre vollste Anerkennung ausgesprochen habe», heisst es im entsprechenden Protokoll. Vor dem heutigen Tea-Room Steiner erinnert ein Gedenkstein an das tragische Ereignis vor 80 Jahren.
Kein Einzelfall
Gemäss Wikipedia gingen Bomben bereits Ende 1940 auf Basel, Binningen und Zürich-Wipkingen nieder sowie Mitte 1943 auf Zürich-Oerlikon und Ende 1944 auf Le Noirmont, Glattfelden-Rheinsfelden und Thayngen. Und knapp vier Monate vor Kriegsende, genauer am 11. Januar 1945, wurde die Gotthard-Bahnlinie bei Chiasso bombardiert. Relativ viele Abwürfe erfolgten am 22. Februar 1945, nämlich in Stein am Rhein, Vals, Tägerwilen, Neuhausen, Beringen, Otelfingen und Rafz, sowie am 4. März auf die Landwirtschaftliche Schule Strickhof in Zürich-Oberstrass und auf den Güterbahnhof Wolf in Basel. Das folgenschwerste Ereignis war allerdings jenes vom 1. April 1944 in Schaffhausen, bei dem 40 Menschen starben und 270 verletzt wurden.
Auf Druck Deutschlands hin hatte die Luftwaffe ab Juni 1940 ihre Abfangmassnahmen wieder aufgenommen. Trotzdem blieb es 1941 und 1942 relativ ruhig; die Verdunkelung von Städten und Dörfern erschwerte den Piloten die Orientierung. Als Gründe für Bombenabwürfe wurden offiziell Navigationsfehler angegeben. Andererseits ist anzumerken, dass Schweizer Firmen Waffen für die Achsenmächte produzierten, weshalb die Alliierten die gezielte Bombardierung von Produktionsstandorten und Bahnstrecken erwogen. Die USA leisteten 1944 und 1949 Reparationszahlungen von rund 18,5 Mio. Dollar oder damals etwa 85 Mio. Franken.
«Bereit sein ist alles»
«Die Erfahrungen von 1943 zeigen, dass auch ein neutrales Land von Kriegsereignissen im Ausland betroffen sein kann», bilanziert der in Riggisberg wohnhafte Walter Steiner im «Riggisberger Info» vom Januar 2023. «Man hörte nur die Stimme des Brandmeisters, der die Weisungen gab. Aber es klappte; es klappte lautlos. Wer will behaupten, er sei von solchen Ereignissen ausgenommen? Bereit sein ist alles!», wie es wiederum im «Der Bombenabwurf von Riggisberg» steht. Beide Aussagen scheinen zeitlos angesichts der Kriegsschauplätze in aller Welt.