Steile Abschnitte, enge Kurven, Haltestellen zwischen zwei Ortschaften, oft ohne Bank oder Perron: Mit dem Postauto erreicht man Orte, die sonst vom öV abgehängt wären. Ohne die gelben Busse wären Gegenden wie Zimmerwald oder Englisberg kaum an Bern angebunden – zumindest nicht für jene ohne Auto, die nicht mehr gut zu Fuss sind.
«Es regen sich alle auf»
Auch Marie Spichiger aus Zimmerwald nutzt regelmässig die Linie 340. Seit rund einem Jahr sind dort neue Fahrzeuge unterwegs – und sorgen besonders bei älteren Fahrgästen für Ärger. «Der hohe Tritt ist für uns viel schwerer zu meistern», sagt die 80-Jährige, als sie sich bei dieser Redaktion meldet. Eine Freundin von ihr, die kleiner und weniger beweglich sei als sie, schaffe den Einstieg ohne Hilfe kaum mehr, während sie bei den älteren Modellen keine Probleme hatte. Doch damit nicht genug: Die Sitzreihen seien so eng, dass man mit dem Rollator nicht durchkomme. «Sogar beim Behindertenvierer hat es einen Absatz», sagt Spichiger. Ihr Fazit: «Die neuen Postautos sind nicht altengerecht. Es regen sich alle auf.»
«Fahrer helfen beim Einstieg»
Mit den Vorwürfen konfrontiert erklärt die Postauto AG, alle gesetzlichen Vorgaben seien erfüllt und rund 1800 der 2300 Fahrzeuge seien Niederflurbusse. Doch das neue Modell nicht – wieso hat Postauto gerade dieses ausgewählt? «Wir beschaffen Fahrzeuge passend zur Topografie», lautet die Antwort. Immerhin: «Unsere Fahrerinnen und Fahrer sind gerne bereit, Fahrgästen beim Ein- und Ausstieg zu helfen.» Doch ist das Inklusion – angewiesen zu sein auf Hilfe unter den Blicken aller Mitreisenden und von Fahrern, die oft unter Zeitdruck stehen? Barrierefreiheit, so Postauto weiter, hänge vor allem von den Haltestellen ab. 99,6 % davon seien im Besitz von Gemeinden oder Städten. Seit Anfang 2024 biete man Shuttles an, die gehbehinderte Fahrgäste kostenlos zur nächsten behindertengerechten Haltestelle bringen.
«Sollen wir zuhause bleiben?»
Doch sind hohe Perrons auf Landlinien wirklich die Lösung? Viele Haltestellen liegen mitten im «Bitz» – Rampen wären hier kaum realistisch. Früher, mit den alten Bussen, ging es ja auch ohne. «Es kommt mir vor, als sollten die, die nicht mehr mögen, zuhause bleiben», sagt Spichiger. Immer öfter höre sie in ihrem Umfeld: «Man sollte gar nicht mehr da sein.» Sie sei grundsätzlich zufrieden mit dem Postauto, frage sich aber, warum Neuerungen wie die neuen Fahrzeuge gerade Ältere ausschlössen.
Moderner, aber enger
Ein Augenschein zeigt den Unterschied: Das alte «Poschi», ein Mercedes, hat 35 Sitz- und 54 Stehplätze, zwei grosse sowie tiefere Einstiege und die Sitze in der vorderen Hälfte stufenlos erreichbar. Das neue, ein Scania-Dreiachser, hat einen höheren Einstieg und eine schmale Hintertüre mit mehreren Stufen. Er kann mit 50 Sitz- und 65 Stehplätzen deutlich mehr Gäste transportieren. Der erhöhte hintere Bereich bietet Aussicht, doch auch im Vorderteil ist der Gang so schmal, dass kaum ein Rollator durchpasst. Beim 4er-Abteil links soll eine Stange beim Einstieg zu den Sitzen helfen – sofern man die Kraft dafür hat.
Die neuen Postautos sind moderner, vermutlich auch sicherer und effizienter – und sie bieten mehr Platz. Doch was für die einen Komfort bedeutet, wird für andere zur Hürde. Die Linie 340 zeigt exemplarisch, dass Fortschritt auch zur Barriere werden kann. Sicher musste Postauto bei der Fahrzeugwahl Kompromisse eingehen, etwa wegen der Topografie oder des Angebots. Dennoch bleibt die Hoffnung, dass bei künftigen Anschaffungen die Alltagstauglichkeit stärker ins Gewicht fällt – besonders für jene, die am meisten darauf angewiesen sind.


