Wenn Tina Turner plötzlich zur Nachbarin wird

Wenn Tina Turner plötzlich zur Nachbarin wird

Die vermutlich meist gestellte Frage: «Bo, färbst Du deine Haare?» Nein, tue ich nicht, hiermit haben Sie es schriftlich. Ich werde mich auch nicht über die Fülle meiner Haare beklagen, um die mich sogar Teenager beneiden. Weil zudem ein derart pflegeleichter Haarwuchs, habe ich in den 70ern die Haare dann und wann selber geschnitten, da konnte man gar nichts falsch machen. Auch Hairstylisten im Ausland heute nicht. Ist ganz interessant, was da abgeht (ausser bei den Haaren).

Beispiel Türkei, als man dort noch ohne Angst und/oder schlechtes Gewissen die Ferien verbringen konnte (mir tun die Tausenden von Leuten im Tourismus leid, die aufgrund der bekannten Ereignisse ihre Stellen als offenbar vernachlässigbarer Spielball der Politik verloren
haben). Der Hotelcoiffeur in Side in der Südtürkei zum Beispiel zieht eine echte Show ab, jongliert mit seinen Werkzeugen, als stünde er auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Zum Schluss macht er sich an die Ohrenhaare heran, mit einer brennenden Fackel, mit der er mir – im wahrsten Sinne des Wortes – einen Satz warme Ohren verpasst.

* * * *
Und nun glauben Sie es – oder auch nicht. Als ich Stunden später den Strand entlang spaziere, kommt mir wer entgegen? Unglaublich: Es ist mein Berner Coiffeur, Peter Berset, mit seiner Familie, von dem ich keine Ahn-
ung hatte, dass auch er in Side ist. Herzliche Begrüssung, voller Erstaunen, dann der technische K.O.: «So, symer bim Guafför gsi?» Peinlich, peinlich.

* * * *
Szenenwechsel, nach Warschau, wo ich kürzlich war (siehe auch meine letzte Kurzgeschichte in dieser Zeitung, samt der Erlebnisse mit Swiss). Weil es während meines Aufenthaltes drei Tage lang nonstop regnet – bestes Wetter, um für einen düsteren Kriminalroman ebenso düstere Schwarzweiss-Fotos zu schiessen – entschliesse ich mich, einen polnischen Coiffeursalon aufzusuchen, um dem Regen zu entgehen.

* * * *
Staunen erlaubt: Die Türen sind bereits ab 7 Uhr geöffnet. Beim Eintreten werde ich herzlich mit «Dzien dobry» begrüsst, der polnischen Version von
«Guete Tag». Eine Garderobière (!) nimmt mir die Jacke ab, ich bekomme im Gegenzug – wie im Theater oder in der Oper – eine Nummer auf einem Plastikschild, das mich berechtigen wird, zum Schluss das mir gehörende Kleidungsstück wieder in Empfang zu nehmen.

* * * *
Mein Hairstylist stellt sich als Tadeusz vor, ungefähr 30, unübersehbare Tattoos an den Unterarmen. Er bittet mich auf seinen Stuhl, offeriert gleich einen Kaffee, den ich gerne annehme, aus der Kälte kommend. Er fragt, wie ich es denn gerne hätte, ob mit oder ohne Waschen. Ich erkläre mich in Englisch, er versteht mich offenbar, denn sogleich kann ich den Stuhl wechseln, um mir die Haare waschen zu lassen, auf einem wohligen Rückenmassagestuhl, anschliessend geht es wieder zum Ausgangspunkt für das Schneiden. Obwohl ich vorhandene Englischkenntnisse bei ihm vermute, kommt kein Gespräch in Gang, er antwortet jeweils nur mit «yes» oder «no». Weil ich im Ausland gerne mit Taxifahrern und Coiffeuren über die Verhältnisse im Land spreche, überlege ich mir, was ich mit Tadeusz anstellen soll.

* * * *
Im Hintergrund ist Tina Turner mit «Simply the best» zu hören. Geistesblitz! «Das ist meine Nachbarin, die da singt», bekommt Tadeusz zu hören. «Sie kennen Tina Turner?» kommt es mit hörbarer Bewunderung zurück. «Ja, gewiss, ich wohne in der Nähe von Zürich» (Lüge Nummer 1), «Tina Turner lebt mit ihrem Mann Erwin Bach mir gegenüber» (Lüge Nummer 2), «wir sehen uns regelmässig beim Einkaufen» (Lüge Nummer 3), «sie ist eine sehr freundliche und zuvorkommende Dame» (keine Lüge, weiss ich aus den Medien).

* * * *
Damit ist der Bann gebrochen, Tadeusz spricht plötzlich fliessend Englisch, will mehr über Tina Turner wissen. Zum Glück habe ich das eine oder andere aus ihrem Leben verfolgt, samt den Anfängen mit ihrem Mann Ike, der sie aber alles andere als eine Lady behandelte. Immerhin, die Konversation mit meinem Coiffeur kommt in die Gänge, mit der Zeit spricht er auch über die Verhältnisse in Polen, ich erfahre, weshalb in Warschau keine E-Bikes, dafür relativ viele Leute mit E-Zigaretten zu sehen sind. Auch auf die politische Situation kommen wir zu sprechen, über einen «Marsch für die Freiheit» gegen die na-
tional-konservative Regierung, die bekanntlich Medienschaffende sowie Richter einschränken und den Umweltschutz aufweichen will. Nicht weiter erstaunlich: Tadeusz erzählt das alles wertungsneutral, ohne seine eigene Meinung preiszugeben.

* * * *
Als der Maestro sein Werk nach ungefähr 45 Minuten mit einem Auswaschen und Fönen beendet hat, begleitet er mich zuerst zur Kasse, anschliessend zur Garderobe und zum Ausgang. Des Polnischen unkundig, habe ich beim Hinausgehen bloss aufgeschnappt, dass er seinen Kolleginnen etwas über «Tina Turner» sagt, worauf mir die Damen nachschauen. An meiner Person kann es nicht liegen. Womöglich ist der Haircut derart brillant. Und, Pesche: Ich verrate nicht, was mich der Aufenthalt ge-
kostet hat inkl. Kaffee, Massagestuhl und Trinkgeld, es wäre schlicht anmassend und unfair.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitrag:
«Wenn Tina Turner plötzlich zur Nachbarin wird»

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt

Datenupload

Der einfachste Weg uns Ihre Daten zu senden!

Werbeberatung

Schritt 1 von 2